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Christoph Kukulies
28.11.2000 23.00
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Tippfehler

einmal mehr ein Grund, an 'Tip' festzuhalten.



Christoph Kukulies

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Reinhard Markner
28.11.2000 23.00
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Entgelt

Solange man jemandem etwas entgelten kann, wird man die Schreibung „Entgeld“ wohl schwerlich legalisieren können.



Reinhard Markner

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Gast
28.11.2000 23.00
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Schreibreform und Geiselnahme

Zu Ihren Reaktionen auf meine Stellungnahmen
Den Boom an Reaktionen habe ich freilich so nicht erwartet. Natürlich kann, wie man ja sieht, über alles gestritten werden. Wenn Herr Dörner sagt, »heute früh« und »heute Abend« sei ein Problem, zu dem ich nichts gesagt habe, hat er Recht. Aber es ist halt nun mal so, dass »früh« und    »spät« auf einer anderen Ebene zu sehen sind (Wann kommt er? früh oder spät? früher oder später?), als »heute Abend«. Aber es gibt eben auch »in der Früh(e)« und ja auch noch die »Herrgottsfrühe« usw. Drum finde ich es eigentlich ganz gut, wenn dieses »morgen Früh« im Duden 2000 nicht als falsch bezeichnet wird.
Aber allein an diesem Beispiel sieht man, wie schwierig so eine Reform ist, weil ja sofort der Vorwurf    kommt: »früh« hat hier was mit »spät« zu tun, also ist die Großschreibung doch absurd. Die Schüler wiederum fragen aber, warum »morgen früh« weiterhin eine Ausnahme sein soll.
Herrn Ickler wollte ich nur noch fragen, ob er den Geisel-Vergleich tatsächlich so passend findet. Hat er es wirklich nötig, mit solch absurden Vergleichen auf sein Anliegen aufmerksam zu machen? Was eine Geiselnahme wirklich bedeutet (geht es da nicht um Leben und Tod?), hat doch mit der Situation der Schüler nicht das Geringste zu tun. Mir ist jedenfalls ein solches Gefühl der massiven Bedrohung durch diese (für die meisten relativ unwichtige) Schreibreform bei keinem meiner Schülerinnen und Schüler begegnet. Wenn Sie schon die Reform auch in die semantische Ecke drängen und so pingelig, sicher manchmal auch zu Recht, Ungenauigkeiten herausstellen, dann sollten Sie den Begriff »Geiselnahme« besser auch dort verwenden, wo er hingehört.
Im Übrigen könnte Herr Dörner nochmal im »Ickler-Duden« bei »Cleverneß« nachschlagen. In der Wortliste steht nur diese Form.
Nach dieser (meiner auch etwas pingeligen) Bemerkung muss Schluss sein. Aber Sie wollten ja eine Reaktion zu den Ungereimtheiten. Die Fehler in den Texten meiner Gegner zähle ich grundsätzlich nicht. Schön finde ich aber: Fehler beim »Tippen« und das Beharren auf den »Tip«. Klar, ist ja auch wieder ganz was anderes!
Mit freundlichen Grüßen
Sigi Müller



Sigi Müller
86956 Schongau

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Theodor Ickler
28.11.2000 23.00
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Metaphern und Vergleiche

Die Pingeligkeit bei Vergleichen und Metaphern führt zu nichts. Unsere Sprache ist voll von Metaphern z. B.    auch aus dem militärischen Bereich. Übrigens war es Augst selbst, der seinerzeit (1982) Skrupel hatte, die Reform über das „schwächste Glied der Kette“, nämlich den Schüler zu erreichen. Wie unmenschlich, Schüler mit Kettengliedern zu vergleichen! Aber solche Überempfindlichkeit gegenüber einzelnen Wörtern müßte uns verstummen lassen, wenn wir es ernst meinten. Eine Geisel ist ein Bürge, den man nimmt, um die Gegenseite zu einer bestimmten Leistung zu zwingen. Wer die Vorgänge in Erinnerung hat, weiß, daß dies ziemlich genau auf die Einführung der Rechtschreibreform zutrifft.
Was die „Früh“ betrifft: Die Reformer waren, wie ich nachgewiesen habe, zunächst durchaus der Meinung, daß „abend“ in „heute abend“ kein Substantiv sein kann. Irgendwann haben sie ihre Meinung geändert, obwohl „abend“ hier keines der drei Kriterien erfüllt, die im Regelwerk für Substantive angegeben sind. Dann kam meine Kritik, wobei ich auch die Analogie „heute früh“ (ganz klar mit Adverb „früh“) anführte. (Diese Wendung wird ja auch dort gebraucht, wo man „die Früh“ gar nicht kennt.) Daraufhin traten die Reformer die Flucht nach vorn an und führten 1999 bzw. 2000 auch „morgen Früh“ als zulässig ein, vergaßen allerdings, „Dienstagfrüh“ usw. ebenfalls anzugeben. Flickwerk der einfältigsten Art, und weit von der Sprachwirklichkeit entfernt.



Theodor Ickler
91080 Spardorf

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Christian Dörner
27.11.2000 23.00
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Vereinfachungen durch die Rechtschreibreform?

Lieber Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Antwort. Trotzdem kann ich Ihren Ausführungen nicht zustimmen. Zu den von Ihnen genannten Punkten möchte ich kurz Stellung beziehen.
Die Kleinschreibung der sogenannten Pseudosubstantivierungen ist in der modernen deutschen Rechtschreibung ein fließender Prozeß. In einer lebenden Sprache kann man oft keine allgemeingültigen Regeln aufstellen; die Schreibung folgt jedoch im großen und ganzen dem natürlichen Sprachgefühl. Nun gut, dies kann man kritisieren und die durchgängige Großschreibung der Pseudosubstantivierungen fordern. Das wäre ein geschichtlicher Rückschritt, aber zweifelsohne eine Vereinfachung. Aber geht die Reform diesen Weg? Nein. Aus 'alles in allem', 'im allgemeinen', 'seit langem', 'bis ins kleinste', 'bis auf weiteres', 'des weiteren', 'bei weitem', 'im voraus' und 'von klein auf' wird 'alles in allem', 'im Allgemeinen', 'seit langem', 'bis in Kleinste', 'bis auf weiteres', 'des Weiteren', 'bei weitem', 'im Voraus' und 'von klein auf'. Sehen Sie da eine Vereinfachung? Die wenigen alten Ausnahmen waren hier viel einfacher zu lernen, zumal sie zusätzlich der gewachsenen deutschen Rechtschreibung, nicht einem Kunstprodukt entsprachen.
Und bei der ß/ss-Schreibung. Die sogenannte Heysesche ss-Schreibung ist bereits im 19. Jahrhundert gescheitert. Aus 'fließen', 'es fließt', 'es floß', 'der Fluß', 'schießen', 'er schießt', 'er schoß' und 'der Schuß' wird 'fließen', 'es fließt', 'es floss', 'der Fluss', 'schießen', 'er schießt', 'er schoss' und 'der Schuss'. Auch hier also keine Vereinfachung zu erkennen.
Zu 'Cleverneß/Cleverness' und 'Wellness': Bei 'Cleverneß' läßt Theodor Ickler aus gutem Grund beide Schreibweisen zu, da dieses Wort sich bereits in einem Eindeutschungsprozeß befindet. Das 'Wellness' ist dagegen noch ein echtes englisches Wort, dessen Eindeutschung sich, wie im übrigen auch bei 'Uniqueness', bisher verbietet.
Zur Silbentrennung: Die alte st-Regel wurde in der Tat oft angegriffen, aber auch hier sehe ich keinerlei Handlungsbedarf. Man trennt eben zuerst nach Sinnbestandteilen, also 'Diens-tag', 'Hals-tuch' und 'voll-enden'. Erst nach Abschluß der Sinntrennung werden die restlichen Trennregeln auf die Wörter angewandt, wobei die st-Regel dem Schreiber eine Sicherheit gibt und zu schönen Trennungen führt: 'am günstig-sten', 'Kon-struktion', 'ab-strus', 'kon-statieren' usw. Die neue Schreibung läßt sogar 'vol-lenden' zu. Trägt das zu einem verbesserten Sprachgefühl bei?
Bei ck ist die Sache wieder anders: Noch 1984 schlugen die Reformer 'Zuc-ker' vor. Das wäre sinnvoll gewesen: Andeutung eines kurzen Vokals wäre gegeben gewesen und keine Umwandlung in 'k-k' mehr nötig gewesen. Aber 'ck' ist nun mal die typographische Variante von 'kk', also ein Doppelbuchstabe. Wer 'Zu-cker' trennt, der muß auch 'Wa-sser', 'ne-nnen' und 'Be-tten' trennen, ebenso ist 'tz' die typographische Variante von 'zz'. Nun deutet 'Bä-cker' aber einen langen Vokal an. Das Lesen wird also durch die neue Regel behindert. Bei 'ch' ist die Sachlage anders: 'ch' ist ein einziger Laut und auch keine typographische Variante eines Doppelkonsonanten, insb. nicht von 'hh'. Eine Trennung wäre hier sinnwidrig.
Zu 'in bezug auf' kann ich nur nochmals wiederholen, daß die Großschreibung regelkonform mit der alten Rechtschreibung ist. Es handelt sich hier um eine der Einzelfestlegungen des Duden, die von Theodor Ickler zu Recht kritisiert worden sind. Um ein bißchen zynisch zu sein: Hier hätte man nur die Duden-Redaktion austauschen müssen, nicht die Rechtschreibregeln.
Zu 'numerieren': Leider berücksichtigt die Reform nicht, daß 'numerieren' des öfteren richtigerweise mit langem 'u' gesprochen wird. Auch 'Schlegel' sprechen die meisten Leute mit 'e'. Trotzdem heißt es jetzt 'Schlägel'. Auf die Aussprache wird im allgemeinen durch die Reform sowieso keine Rücksicht genommen, sonst müßte man in Süddeutschland 'Grüss Gott' zulassen, was aber nicht der Fall ist. Dafür läßt der neue Duden jetzt die 'Mass Bier' zu. Zwar regelwidrig, aber durchaus interessant.
Leider nehmen Sie zu meinen anderen Aussagen, z. B. 'heute Abend' usw., keine Stellung.
Wie reagieren Sie jetzt eigentlich, wenn ein Schüler 'heute Früh' schreibt? Sie müssen es ihm ankreiden, da diese Schreibweise sowohl nach der modernen als auch nach der sog. neuen Rechtschreibung falsch ist. Der Duden 2000 läßt diese Schreibweise jedoch zu. Sehen Sie hier kein Problem.
Noch eine allerletzte Frage: Wie schreiben Sie eigentlich 'jmd. todfeind/spinnefeind sein'? Nach dem Duden 1996 müssen Sie schreiben: 'jmd. todfeind sein, jmd. Spinnefeind sein. Der Duden 2000 schreibt vor: 'jmd. Todfeind sein, jmd. spinnefeind sein'. Hier haben Sie sogar als Lehrer ein Problem. Auch eine Erleichterung beim Lernen sehe ich hier nicht, genausowenig wie ich sie bei 'leid tun, weh tun', jetzt 'Leid tun, wehtun', erkennen kann. Von der grammatischen Unrichtigkeit von 'Leid tun', 'Recht haben' und 'heute Abend' ganz zu schweigen.
Leichter wird es sicher nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Dörner



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Reinhard Markner
27.11.2000 23.00
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Bäcker und Becher

Die Trennung von Bäcker hat mit der von Becher nichts zu gemein. „ck“ vertritt „kk“ so wie „tz“ „zz“. Diese Doppelkonsonanten, welche die Kürze des vorangehenden Vokals anzeigen, werden im Deutschen immer in der Mitte getrennt: Ham-mer, Mut-ter usw. „ch“ hingegen steht genaugenommen für zwei Laute, den „ich“-Laut und den „ach“-Laut. Ebenso wie „sch“ ist diese Buchstabenkombination natürlich nicht trennbar.
Daß von seiten des IdS tatsächlich eine Analogiebildung zwischen der Untrennbarkeit von „ch“ und der neu eingeführten Untrennbarkeit von „ck“ hergestellt worden ist, mag als Beispiel für das linguistische Anfängerniveau der Reformbetreiber dienen.



Reinhard Markner

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Reinhard Markner
27.11.2000 23.00
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Nichts gemein

oder nichts zu tun, sollte es natürlich heißen.



R. M.

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Christian Dörner
27.11.2000 23.00
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Lieber Herr Müller,

beim Durchlesen meiner Antwort sind mir soeben noch ein paar Tippfehler aufgefallen, für die ich mich entschuldigen möchte (insb. oft Punkt statt Fragezeichen). Ich hoffe, sie nehmen mir dies nicht übel; aber ich gebe zu, ich hätte ein bißchen langsamer schreiben sollen.

Viele Grüße

Christian Dörner



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Theodor Ickler
27.11.2000 23.00
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Zur Erinnerung

Auf die Einwände von Herrn Müller hat Herr Dörner schon alles Notwendige geantwortet, und Herr Markner hat dankenswerterweise auch noch eine wichtige Beobachtung beigesteuert. Ich möchte daran erinnern, daß alle angesprochenen Fragen in der Literatur, vor allem in Munskes Buch „Orthographie als Sprachkultur“ und in meinem Kritischen Kommentar, ziemlich erschöpfend abgehandelt sind. Munske ist übrigens „schuld“ an der Trennung Zu-cker, wie er heute reuevoll eingesteht. Es gab außer den Konservativen, die überhaupt keinen Änderungsbedarf sahen, die „Zuc-ker-Fraktion“ (gesprochen Zutzker), und dann eben die zuletzt durch Munske verstärkte Fraktion der Nichttrennung. Der Fehler liegt darin, ck als „Digraphen“ wie ch anzusehen – Markner hat das noch einmal aufgedeckt. Daher der Widerspruch zu §3 der Neuregelung (ck steht für kk). Daß man bei Trennung die Ligatur zweier Varianten von k wieder aufgibt, ist normal. Hinzu kommt, daß Zu-cker gegen die Ausspracheregeln verstößt. Also ist k-k die beste Trennung, machte auch für die automatische Trennung keine Schwierigkeiten.
Was mein Wörterbuch betrifft, so enthält es sicher Fehler im Sinne unzureichender Beobachtung und falscher Auswahl, aber Ungereimtheiten enthält es nicht. Was soll daran ungereimt sein, wenn Fremdwörter nach und nach eingedeutscht werden und nicht auf einen Schlag?
Ich halte nicht sklavisch an der Nichttrennung von st fest, habe vielmehr die Trennung schon frühzeitig als vielleicht einzige sinnvolle Neuerung bezeichnet, sehe aber nach reiflicher Überlegung keinen Handlungsbedarf. Die Regel war immer leicht zu lernen und hat praktisch nie Fehler verursacht, auch nicht bei der Automatisierung. „Dienstag“ ist natürlich eine Zusammensetzung mit „Tag“.
Es ist nicht wahr, daß „nummerieren“ meist so (und falsch) geschrieben wurde. „Numerus“ kommt durchaus oft vor, auch im Gymnasium lernt man den Begriff.
Die Zunahme der Fehler ist eine Tatsache. Ich habe in den letzten vier Jahren auch aus den Schulen meiner Töchter kein Schreiben erhalten, das nicht fehlerhaft gewesen wäre. Sobald die Neuschreibung die allein richtige sein soll, werden die Lehrer noch viel mehr anzustreichen haben. Allerdings ist der Rückbau längst im Gang, man wird sich noch wundern, wie wenig bis 2005 übrigbleibt.
Man braucht auch keine neuen Regeln zu verteidigen, die die Reformer selbst schon aufgeben wollten und zum Teil unterderhand schon aufgegeben haben. (Mannheimer Anhörung und neueste Wörterbücher.)
Mit der Geiselnahme hat es schon seine Richtigkeit, das kann man genau nachvollziehen. Mehr demnächst in meinem Buch „Regelungsgewalt“.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Christian Dörner
27.11.2000 23.00
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Vereinfachungen durch die Rechtschreibreform?

Lieber Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Antwort. Trotzdem kann ich Ihren Ausführungen nicht zustimmen. Zu den von Ihnen genannten Punkten möchte ich kurz Stellung beziehen.
Die Kleinschreibung der sogenannten Pseudosubstantivierungen ist in der modernen deutschen Rechtschreibung ein fließender Prozeß. In einer lebenden Sprache kann man oft keine allgemeingültigen Regeln aufstellen; die Schreibung folgt jedoch im großen und ganzen dem natürlichen Sprachgefühl. Nun gut, dies kann man kritisieren und die durchgängige Großschreibung der Pseudosubstantivierungen fordern. Das wäre ein geschichtlicher Rückschritt, aber zweifelsohne eine Vereinfachung. Aber geht die Reform diesen Weg? Nein. Aus 'alles in allem', 'im allgemeinen', 'seit langem', 'bis ins kleinste', 'bis auf weiteres', 'des weiteren', 'bei weitem', 'im voraus' und 'von klein auf' wird 'alles in allem', 'im Allgemeinen', 'seit langem', 'bis in Kleinste', 'bis auf weiteres', 'des Weiteren', 'bei weitem', 'im Voraus' und 'von klein auf'. Sehen Sie da eine Vereinfachung? Die wenigen alten Ausnahmen waren hier viel einfacher zu lernen, zumal sie zusätzlich der gewachsenen deutschen Rechtschreibung, nicht einem Kunstprodukt entsprachen.
Und bei der ß/ss-Schreibung. Die sogenannte Heysesche ss-Schreibung ist bereits im 19. Jahrhundert gescheitert. Aus 'fließen', 'es fließt', 'es floß', 'der Fluß', 'schießen', 'er schießt', 'er schoß' und 'der Schuß' wird 'fließen', 'es fließt', 'es floss', 'der Fluss', 'schießen', 'er schießt', 'er schoss' und 'der Schuss'. Auch hier also keine Vereinfachung zu erkennen.
Zu 'Cleverneß/Cleverness' und 'Wellness': Bei 'Cleverneß' läßt Theodor Ickler aus gutem Grund beide Schreibweisen zu, da dieses Wort sich bereits in einem Eindeutschungsprozeß befindet. Das 'Wellness' ist dagegen noch ein echtes englisches Wort, dessen Eindeutschung sich, wie im übrigen auch bei 'Uniqueness', bisher verbietet.
Zur Silbentrennung: Die alte st-Regel wurde in der Tat oft angegriffen, aber auch hier sehe ich keinerlei Handlungsbedarf. Man trennt eben zuerst nach Sinnbestandteilen, also 'Diens-tag', 'Hals-tuch' und 'voll-enden'. Erst nach Abschluß der Sinntrennung werden die restlichen Trennregeln auf die Wörter angewandt, wobei die st-Regel dem Schreiber eine Sicherheit gibt und zu schönen Trennungen führt: 'am günstig-sten', 'Kon-struktion', 'ab-strus', 'kon-statieren' usw. Die neue Schreibung läßt sogar 'vol-lenden' zu. Trägt das zu einem verbesserten Sprachgefühl bei?
Bei ck ist die Sache wieder anders: Noch 1984 schlugen die Reformer 'Zuc-ker' vor. Das wäre sinnvoll gewesen: Andeutung eines kurzen Vokals wäre gegeben gewesen und keine Umwandlung in 'k-k' mehr nötig gewesen. Aber 'ck' ist nun mal die typographische Variante von 'kk', also ein Doppelbuchstabe. Wer 'Zu-cker' trennt, der muß auch 'Wa-sser', 'ne-nnen' und 'Be-tten' trennen, ebenso ist 'tz' die typographische Variante von 'zz'. Nun deutet 'Bä-cker' aber einen langen Vokal an. Das Lesen wird also durch die neue Regel behindert. Bei 'ch' ist die Sachlage anders: 'ch' ist ein einziger Laut und auch keine typographische Variante eines Doppelkonsonanten, insb. nicht von 'hh'. Eine Trennung wäre hier sinnwidrig.
Zu 'in bezug auf' kann ich nur nochmals wiederholen, daß die Großschreibung regelkonform mit der alten Rechtschreibung ist. Es handelt sich hier um eine der Einzelfestlegungen des Duden, die von Theodor Ickler zu Recht kritisiert worden sind. Um ein bißchen zynisch zu sein: Hier hätte man nur die Duden-Redaktion austauschen müssen, nicht die Rechtschreibregeln.
Zu 'numerieren': Leider berücksichtigt die Reform nicht, daß 'numerieren' des öfteren richtigerweise mit langem 'u' gesprochen wird. Auch 'Schlegel' sprechen die meisten Leute mit 'e'. Trotzdem heißt es jetzt 'Schlägel'. Auf die Aussprache wird im allgemeinen durch die Reform sowieso keine Rücksicht genommen, sonst müßte man in Süddeutschland 'Grüss Gott' zulassen, was aber nicht der Fall ist. Dafür läßt der neue Duden jetzt die 'Mass Bier' zu. Zwar regelwidrig, aber durchaus interessant.
Leider nehmen Sie zu meinen anderen Aussagen, z. B. 'heute Abend' usw., keine Stellung.
Wie reagieren Sie jetzt eigentlich, wenn ein Schüler 'heute Früh' schreibt? Sie müssen es ihm ankreiden, da diese Schreibweise sowohl nach der modernen als auch nach der sog. neuen Rechtschreibung falsch ist. Der Duden 2000 läßt diese Schreibweise jedoch zu. Sehen Sie hier kein Problem.
Noch eine allerletzte Frage: Wie schreiben Sie eigentlich 'jmd. todfeind/spinnefeind sein'? Nach dem Duden 1996 müssen Sie schreiben: 'jmd. todfeind sein, jmd. Spinnefeind sein. Der Duden 2000 schreibt vor: 'jmd. Todfeind sein, jmd. spinnefeind sein'. Hier haben Sie sogar als Lehrer ein Problem. Auch eine Erleichterung beim Lernen sehe ich hier nicht, genausowenig wie ich sie bei 'leid tun, weh tun', jetzt 'Leid tun, wehtun', erkennen kann. Von der grammatischen Unrichtigkeit von 'Leid tun', 'Recht haben' und 'heute Abend' ganz zu schweigen.
Leichter wird es sicher nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Dörner



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Reinhard Markner
27.11.2000 23.00
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Bäcker und Becher

Die Trennung von Bäcker hat mit der von Becher nichts zu gemein. „ck“ vertritt „kk“ so wie „tz“ „zz“. Diese Doppelkonsonanten, welche die Kürze des vorangehenden Vokals anzeigen, werden im Deutschen immer in der Mitte getrennt: Ham-mer, Mut-ter usw. „ch“ hingegen steht genaugenommen für zwei Laute, den „ich“-Laut und den „ach“-Laut. Ebenso wie „sch“ ist diese Buchstabenkombination natürlich nicht trennbar.
Daß von seiten des IdS tatsächlich eine Analogiebildung zwischen der Untrennbarkeit von „ch“ und der neu eingeführten Untrennbarkeit von „ck“ hergestellt worden ist, mag als Beispiel für das linguistische Anfängerniveau der Reformbetreiber dienen.



Reinhard Markner

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Reinhard Markner
27.11.2000 23.00
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R. M.

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Christian Dörner
27.11.2000 23.00
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Lieber Herr Müller,

beim Durchlesen meiner Antwort sind mir soeben noch ein paar Tippfehler aufgefallen, für die ich mich entschuldigen möchte (insb. oft Punkt statt Fragezeichen). Ich hoffe, sie nehmen mir dies nicht übel; aber ich gebe zu, ich hätte ein bißchen langsamer schreiben sollen.

Viele Grüße

Christian Dörner



Christian Dörner
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Theodor Ickler
27.11.2000 23.00
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Auf die Einwände von Herrn Müller hat Herr Dörner schon alles Notwendige geantwortet, und Herr Markner hat dankenswerterweise auch noch eine wichtige Beobachtung beigesteuert. Ich möchte daran erinnern, daß alle angesprochenen Fragen in der Literatur, vor allem in Munskes Buch „Orthographie als Sprachkultur“ und in meinem Kritischen Kommentar, ziemlich erschöpfend abgehandelt sind. Munske ist übrigens „schuld“ an der Trennung Zu-cker, wie er heute reuevoll eingesteht. Es gab außer den Konservativen, die überhaupt keinen Änderungsbedarf sahen, die „Zuc-ker-Fraktion“ (gesprochen Zutzker), und dann eben die zuletzt durch Munske verstärkte Fraktion der Nichttrennung. Der Fehler liegt darin, ck als „Digraphen“ wie ch anzusehen – Markner hat das noch einmal aufgedeckt. Daher der Widerspruch zu §3 der Neuregelung (ck steht für kk). Daß man bei Trennung die Ligatur zweier Varianten von k wieder aufgibt, ist normal. Hinzu kommt, daß Zu-cker gegen die Ausspracheregeln verstößt. Also ist k-k die beste Trennung, machte auch für die automatische Trennung keine Schwierigkeiten.
Was mein Wörterbuch betrifft, so enthält es sicher Fehler im Sinne unzureichender Beobachtung und falscher Auswahl, aber Ungereimtheiten enthält es nicht. Was soll daran ungereimt sein, wenn Fremdwörter nach und nach eingedeutscht werden und nicht auf einen Schlag?
Ich halte nicht sklavisch an der Nichttrennung von st fest, habe vielmehr die Trennung schon frühzeitig als vielleicht einzige sinnvolle Neuerung bezeichnet, sehe aber nach reiflicher Überlegung keinen Handlungsbedarf. Die Regel war immer leicht zu lernen und hat praktisch nie Fehler verursacht, auch nicht bei der Automatisierung. „Dienstag“ ist natürlich eine Zusammensetzung mit „Tag“.
Es ist nicht wahr, daß „nummerieren“ meist so (und falsch) geschrieben wurde. „Numerus“ kommt durchaus oft vor, auch im Gymnasium lernt man den Begriff.
Die Zunahme der Fehler ist eine Tatsache. Ich habe in den letzten vier Jahren auch aus den Schulen meiner Töchter kein Schreiben erhalten, das nicht fehlerhaft gewesen wäre. Sobald die Neuschreibung die allein richtige sein soll, werden die Lehrer noch viel mehr anzustreichen haben. Allerdings ist der Rückbau längst im Gang, man wird sich noch wundern, wie wenig bis 2005 übrigbleibt.
Man braucht auch keine neuen Regeln zu verteidigen, die die Reformer selbst schon aufgeben wollten und zum Teil unterderhand schon aufgegeben haben. (Mannheimer Anhörung und neueste Wörterbücher.)
Mit der Geiselnahme hat es schon seine Richtigkeit, das kann man genau nachvollziehen. Mehr demnächst in meinem Buch „Regelungsgewalt“.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Gast
26.11.2000 23.00
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Woher kommt das ß?

Das möchte ich auch gerne wissen.
Denn Apfel, Nuß und ...

Theodor Storms Nuß kommt sicher aus dem Latein?!
nux, nucleus, ... nuklear.

Wer hat aus nux die Nuß gemacht?

So besehen, könnte das ß aus einem x entstammen, oder?

Die Reform wird dem Theodor Storm womöglich eine Mandel von 15 Buchstaben zerstören. „Denn Apfel, Nuss und ... sind es 16 Buchstaben.

Und wieviele solcher nach dem Mandelmaß 15 bemessene Lyrik sonst noch zerstört wird, das mag der Teufel wissen.



Genzmann
Hausdorffstr. 233, 53129 Bonn

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