Duden: Deutsche Rechtschreibung kurz gefasst. Von Christian Stang. Mannheim 2003
Die Darstellung ist sehr stark vereinfacht, so daß man den Eindruck gewinnen könnte, die reformierte Rechtschreibung sei tatsächlich einfacher als bisher. Dieser Eindruck soll wohl auch durch den Beispielsatz verstärkt werden: Die neue Rechtschreibung ist leichter zu erlernen als die alte. Das ist bekanntlich die Propagandaformel der Reformer, und der Verfasser weiß so gut wie die Dudenredaktion, daß sie nicht zutrifft.
Unter dem Titel Die Laut-Buchstaben-Zuordnungen gehen mehrmals Lautliches und Graphisches durcheinander. So ist die Wiedergabe der Kurzvokale nicht als Schärfung aufzufassen, denn diese ist ein rein lautliches Phänomen. Unter Die Wiedergabe der s-Laute werden ohne klare Gliederung im ersten Abschnitt lautliche, im zweiten schriftliche Phänomene abgehandelt (S. 10f.).
Zu ungenau ist die Angabe, Vokale würden ohne Hilfe eines anderen Lautes, Konsonanten mithilfe eines anderen Lautes ausgesprochen (S. 7). Das gilt nicht für die Aussprache, sondern für die isolierte Anführung, etwa beim Aufsagen des Alphabets. Die Systematik von ck und tz wird auf S. 8 nicht angemessen dargestellt, so daß es zu an sich überflüssigen Ausnahmen kommt.
Ganz schief ist die Formulierung: Im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung wird die Schreibung zweier im Text aufeinander folgender Wörter geregelt. (S. 15) Ein großer Teil der Regeln betrifft Zusammensetzungen, also gerade nicht aufeinander folgende Wörter. Derselbe Fehler findet sich allerdings schon in den amtlichen Regeln (Vorbemerkungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung).
Natürlich ist es absurd, so verschiedene Konstruktionen wie aneinander denken und durcheinander bringen (S. 16) unter den gemeinsamen Begriff Verbindungen aus -einander plus Verb zu stellen. Das sollte man den Reformern (Klaus Heller vor allem) überlassen.
Dankenswerterweise stellt Stang deutlicher als der amtliche Text heraus, daß tatsächlich Apostrophschreibungen wie Manfred's Schnellgerichte (S. 42) jetzt vorgesehen sind. Allerdings ist weiterhin unklar, was der Zusatz bedeuten soll, gelegentlich werde so geschrieben; solche vage statistischen Angaben haben in einer Regel nichts zu suchen.
Die schlimmsten Fehler der Neuregelung wie Recht haben, Leid tun usw. hat Stang unterdrückt, die genannten Wörter werden gar nicht erwähnt. Immerhin führt Stang das neuschreibliche Pleite gehen an, ohne auf die grammatische Unmöglichkeit hinzuweisen.
Leider wird die sehr umfangreiche Gruppe der weiterhin groß zu schreibenden Nominationsstereotype (feste Begriffe wie Gemeine Stubenfliege, Rote Taubnessel usw.) überhaupt nicht behandelt. Damit fehlt ein wesentlicher Teil der deutschen Orthographie. Stang bringt auch Begriffe wie Regierender Bürgermeister unter die Rubrik der Eigennamen, obwohl die amtliche Regelung darauf besteht, daß es keine sind (§ 64).
Die Großschreibung bei Jung und Alt usw. wird auf Paarformeln zur Bezeichnung von Personen bezogen ein Begriff, der keine Entsprechung im amtlichen Regelwerk hat.
Zur Schreibung der Tageszeiten: Das Adverb (Umstandswort) früh kann nach den genannten Wörtern klein- oder großgeschrieben werden: gestern früh /Früh. (S. 30) Das ist nicht im Sinne der Reformer, die erst nachträglich hier auch die Großschreibung zugelassen haben, weil sie irrigerweise meinten, daß nach der Datumsangabe auch das Substantiv (!) (die) Früh stehen könne.
Stangs eigene Schreibweise wieder aufgenommen (S. 36) entspricht zwar der Dudenauslegung der neuen Regeln, nicht aber den neuen Regeln selbst, da wieder hier nicht die Bedeutung nochmals hat (§ 34).
Zur Zeichensetzung sagt Stang einleitend: Die Satzzeichen gliedern den Text, machen ihn übersichtlich und zeigen Pausen für das Vorlesen an. Damit wird die weitgehende Grammatikalisierung insbesondere des Kommas vollkommen ignoriert und eine veraltete rhetorische Funktion wiederhervorgeholt, die auf mittelalterliche Bräuche des lauten Vorlesens zurückgeht.
Eine Regel wie Das Komma steht zwischen Satzteilen die durch Konjunktionen (Bindewörter) miteinander verbunden sind (S. 36) ist irreführend formuliert, und die Beispiele passen teilweise auch nicht dazu.
Zur Silbentrennung gibt Stang in Übereinstimmung mit der Dudenredaktion an, daß in Fremdwörtern auch die Buchstabengruppe str geschlossen auf die neue Zeile kommen kann. Das entspricht jedoch nicht der klaren Regelung nach § 110. Wie Stang mitteilt, hat der Reformer Augst ihn bereits auf den Fehler hingewiesen und zur Begründung der neuen Regelung angeführt, mit der neuen Trennbarkeit von st entfalle auch die alte Behandlung von str in Fremdwörtern. Damit setzt sich Augst allerdings ins Unrecht, denn § 110 zählt insgesamt Ausnahmen von der Grundregel auf, so daß auch str ohne weiteres hätte aufgenommen werden können.
Insgesamt ist es verwunderlich, warum die Dudenredaktion solche Kurzfassungen nicht selbst anfertigt, sondern externe Zuarbeiter, sogar Fachfremde wie Stang damit beauftragt, der für denselben Langenscheidt-Konzern schon eine gänzlich mißlungene German Grammar in a Nutshell verfaßt hat. Da eine weitere Revision der amtlichen Regeln (nach den bisher unterderhand vorgenommenen) unmittelbar bevorsteht, erscheint das allzu stark vereinfachte Heft erst recht als unzeitgemäß und überflüssig.
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Th. Ickler
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