Im Unsäglichen
Prof. Dr. Ch. Meier
J.-M.-Fischer-Str. 14
82069 Hohenschäftlarn
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Die zweitbeste Lösung
Die kleine Schrift der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Zur Reform der deutschen Rechtschreibung hat, wie man sieht, manch einen irritiert. Da kämpft eine Akademie jahrelang, und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gegen eine Reform, und nun veröffentlicht sie einen Kompromißvorschlag, der von der Reform ausgeht, auch wenn er eine ganze Reihe von Korrekturen daran vornehmen will, und das noch dazu in alter Schreibung.
Doch kann man das erklären: Die Akademie hat die Reform aus, wie ich meine, guten Gründen abgelehnt. Was uns da vorgeschrieben werden soll, ist ohne Zweifel in vielem unüberlegt, verletzt grammatische Regeln und enthält eine ganze Reihe von Zumutungen verschiedenster Art für Schreiber und Leser. Man sollte hinzufügen, daß die Reform auch eine Anmaßung darstellt. Wie kommen Minister dazu, einer Sprachgemeinschaft, entgegen langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs, zu diktieren, wie sie zu schreiben hat? Wie immer das Bundesverfassungsgericht, das übrigens der Exekutive auf den Leim ging, entschieden hat: Gibt es nicht auch prä- und extrakonstitutionelle Rechte, die, obwohl sie in der Verfassung nicht verbrieft sind, ein Verfassungsstaat zu respektieren hat? Etwa das auf die Praktizierung und Fortentwicklung wohlbegründeter Regeln des Schreibens im Schriftgebrauch und in der Kritik daran? Es entspricht einer Tradition deutscher Kultusminister, die vor dem gegenwärtigen Eingriff nur ein einziges Mal, während der Nazizeit, durchbrochen worden ist, zu respektieren, was die Gemeinschaft der Schreiber will.
Allein, für Argumente waren unsere Kultusminister nicht zugänglich. Sie waren ja sogar stolz darauf zu zeigen, daß in Deutschland endlich auch Reformen möglich sind, ohne daß ihnen aufgefallen wäre, daß das Land, wenn die nötigen Reformen von dieser Art sein sollen, ohne Reformen fraglos besser dran ist.
Da dem aber so ist, da die neue Schreibung seit mehr als sechs Jahren an den Schulen gelehrt wird und da man in weiten Teilen der Presse, in den Ämtern, auch in manchen Verlagen versucht, sie zu praktizieren, ist schwer zu sehen, wie man sie noch abschaffen kann. Andererseits ist nicht abzusehen, daß sich die neue Schreibung insgesamt, also etwa auch in der schönen und der wissenschaftlichen Literatur sowie im privaten Gebrauch, in irgend absehbarer Zeit durchsetzt. Und es ist unwahrscheinlich, daß die widersinnigen unter ihren Regeln überhaupt eine Zukunft haben. Insofern ist das Scheitern der Reform vorauszusehen, ohne daß sie deswegen aufgegeben würde. Folglich ist zu erwarten, daß die schon jetzt bestehende Schreibunsicherheit weiter um sich greift. Man schreibt Fuss, aber muß, schreibt getrennt, was überhaupt nur zu trennen ist. Wer will auch schon jedesmal nachschaun? Auch seriöse Zeitungen machen das in vielen Fällen unsinnige hier zu Lande zur Regel, obwohl die Neuregelung das nur als Nebenvariante vorsieht. Auch Potential ist von der Neuregelung nicht ausgeschlossen worden.
Deswegen hat sich die Akademie veranlaßt gesehen, nach einem Weg zu suchen, wie die Reform zu reformieren ist, also auf ihrer Basis eine Schreibung zu erarbeiten, die zur üblichen werden könnte. Wenn der Kompromiß angenommen wird, wäre das sachlich die zweitbeste Lösung, politisch, wie die Dinge nach unserer Einschätzung stehen, die einzig mögliche. Daß wir bis auf weiteres an der bewährten Schreibung festhalten, ist nur logisch.
Ein solcher Vorschlag kann, wie die Dinge stehen, erfolgreich nur sein, wenn sowohl die Exekutive wie weite Teile der Öffentlichkeit ihn sich zu eigen machen. Das ist nicht gerade leicht zu erreichen.
Wenn es aber stimmt, daß die Wiederherstellung einer einheitlichen und einigermaßen vernünftigen Schreibung wichtig ist, so müßte man alles tun, um zu verhindern, daß Vorschläge wie dieser voreilig zerredet und verrissen werden. Ich möchte deswegen sehr dafür plädieren, ihn und seine Hintergründe möglichst unvoreingenommen zunächst einmal zu Kenntnis zu nehmen.
Unser Grundsatz war, von der neuen Schreibung nicht nur zu übernehmen, was sinnvoll, sondern auch was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Das empfiehlt sich angesichts der Machtverhältnisse. Andererseits sollten alle gravierenden Mängel dieser Schreibung deutlich bezeichnet und zurückgewiesen werden. So ist ein Vorschlag zustandegekommen, der nach unserm Urteil eine unter den gegebenen Umständen gut vertretbare Schreibung ermöglicht.
Daß über Einzelheiten gestritten werden kann, versteht sich bei einer so komplizierten Materie von selbst. Aber so einfach, wie etwa Theodor Ickler (SZ 28.03.03) es sich macht, um die Sache in Bausch und Bogen abzulehnen, sind die Dinge nicht.
Warum soll man, um ein Beispiel zu nehmen, einerseits im klaren, andererseits im Unklaren schreiben? Die Unterscheidung liegt, wie wir ausdrücklich begründet haben, im Idiomatisierungsgrad der Ausdrücke. Im klaren ist weit idiomatisiert, so daß wir etwa sagen können das bleibt im Unklaren, aber nicht: das bleibt im Klaren. Eine mechanische Regelung, ich zitiere die für beide Fälle Kleinschreibung oder für beide Fälle Großschreibung erzwingt, geht am Sprachgefühl des kompetenten Schreibers vorbei. Erwogen werden kann allenfalls, die Varianten im Unklaren/ im unklaren zuzulassen. Ickler setzt für im unklaren die falsche Analogiebasis. Diese liegt weniger bei im klaren als bei Ausdrücken wie im Unsäglichen. Hier gibt es gar keine Basis, die lauten würde im Säglichen. Ähnlich verhält es sich bei im Unvergeßlichen, im Ungewissen etc.
Schon Johann Christoph Adelung (1732-1806), einer der großen deutschen Grammatiker und Orthographietheoretiker, hat sich kritisch zum Wert von Analogien geäußert. Analogieschlüsse seien als Rechtfertigung für Einzelschreibungen zu vermeiden, weil man mit ihnen alles beweisen könne. Ausdrücke einer natürlichen Sprache sind auf vielfältige Weise strukturiert. Jeder Blick aus einer bestimmten Richtung zeigt einige Strukturmerkmale, keiner zeigt alle gleichzeitig. Wir können nur versuchen, die Merkmale herauszufinden, die für einen bestimmten Sprach- oder Schreibgebrauch die ausschlaggebenden sind. Das mechanische Kleben an Analogien hat auch die neue Regelung in große Schwierigkeiten gebracht.
Darüber hinaus hat Ickler kritisiert, daß sich einige Fehler in der Wiedergabe von Schreibungen der Wörterbücher in unsere Wörterliste eingeschlichen haben. Das ist zum Teil richtig, und in der jetzt fälligen Neuauflage wird man, mit Dank an ihn, entsprechende Korrekturen anbringen. Wie leicht solche Irrtümer unterlaufen, ergibt sich andererseits aus der Zahl der Fälle, in denen Ickler in seinem kurzen Artikel sich selber irrt. Er meint etwa, jung und alt sei nicht die einzige im Duden von 1991 vorgesehene Schreibweise. Sie ist war es aber. Die Zusammenschreibung von nochmal ist zwar von der Neuregelung vorgesehen, doch weichen die von uns zitierten Wörterbücher davon teilweise ab. Auch hier irrt sich Ickler. Doch sollte man sich bei diesen Einzelheiten nicht aufhalten.
Die Frage, vor der wir stehen, ist doch, ob man auf ein Wunder warten soll, das etwa darin bestünde, daß die bewährte Schreibung wieder allgemeine Gültigkeit erlangt. Wie soll das gehen? Wer wird zum Rückzug blasen? Hätte auch nur ein größerer Zeitungsverleger die Zivilcourage, einfach umzusteuern?
Gewiß ist es nur allzu verständlich, daß viele mit guten Gründen an der so bewährten alten Schreibung hängen. Mir geht es genauso, und ich weiß mich darin mit mehr oder weniger der ganzen Akademie einig. Wenn es nur um das persönliche, nicht das amtliche Urteil ginge, würden nicht wenige Verfechter der Reform uns nachträglich vermutlich Recht geben.
Aber wie gesagt: Die Einheit der deutschen Schreibung ist auch ein hohes Gut. Man sollte sich daher in aller Ruhe fragen, ob der Vorschlag, den wir vorlegen, nicht doch annehmbar ist. Als zweitbeste, aber realiter einzig mögliche Lösung, wenn man nicht beim gegenwärtigen Durcheinander verharren will. Übrigens sollte man sich rechtzeitig auf das Ende der Übergangsfrist im Jahre 2005 vorbereiten. Vielleicht wäre es auch gut, die Sache in den rechten Relationen zu sehen. Immerhin gibt es auch einiges andere noch zu tun, zum Beispiel für die Zukunft der deutschen Sprache.
(Gefunden im Herbst 2003 auf der Internetseite der Akademie)
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Th. Ickler
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