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J.-M. Wagner
17.08.2004 16.05
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Re: noch eine Kündigung

Der Artikel, auf den sich Herr Morgenstern bezieht, ist unter http://www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?ThuAug1207:18:58CEST2004 zu finden.
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Jan-Martin Wagner

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Ulrich Morgenstern
16.08.2004 23.03
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noch eine Kündigung

Dr. des. Ulrich Morgenstern
Hellkamp 11
20255 Hamburg
Tel.: 040 / 279 68 48
Mobil: 0172 / 996 93 78

Sehr geehrter Herr Dr. Naumann,

Nach langen Jahren durfte in der ZEIT № 33 ein kritischer Text zur Rechtschreibreform erscheinen, der das Thema einmal nicht mit klischeehaften Bemerkungen in launisch-desinteressiertem Ton vom Tisch wischte. Mit mir trugen sich nicht wenige Leser Ihrer Zeitung für einen kurzen Augenblick mit der Hoffnung, daß die Redaktion sich aufraffen könnte, das Prokrustesbett (wenngleich „vorsichtig repariert von Dieter E. Zimmer“) endlich vor die Türe zu stellen.

Ich bin es leid, in Ihrer Zeitung ständig Formulierungen zu lesen wie „Ich ziehe eine Hand voll Fotos aus der Tasche“ oder „eine Hand voll Körner, abgezogen und in der Pfanne gebraten“. Auch sind Ihre bedauernswerten Redakteure sicher ausnahmslos in der Lage, Äußerungen zu unterscheiden, in denen ein Kind subjektiv als „hoch begabt“ chatrakterisiert oder als „hochbegabt“ qualifiziert wird. Ihre Hausorthographie verbietet gleichwohl – entgegen den Zusicherungen Ihres Kollegen Zimmer – solche und andere Unterscheidungen. Wenn ich in der ZEIT von „Stalins Blut saufendem Innenminister“ lese, so kann ich beim zweiten Anlauf zwar erkennen, daß es Ihrem Autor nicht um die Körpersäfte des Diktators und auch nicht um die Trinkgewohnheiten seines Ministern zu tun ist, angenehm wird das Lesen durch solche Stolpersteine jedoch keineswegs. (Und beschweren Sie sich bitte nicht bei Ihren versierten Schlußredakteuren, die nach Ihrer Hausorthographie die freie Wahl hatten, nach dem Muster „abscheuerregend“ oder eben auch „Holz verarbeitend“ zu verfahren.
Wie Sie es fertigbringen, die Urheber all diesen Unfugs als „linguistische Fachleute“ zu bezeichnen, ist mir gelinde gesagt unverständlich. Ein solches Lob dürften die Schreibkommissare seit Jahren aus keiner überregionalen Zeitung mehr vernommen haben. Halten Sie das Sprachgefühl Ihrer Leser wirklich für so schlecht, daß ihnen Schreibweisen wie „der Hohe Priester“ nicht aufstießen? Ich darf annehmen, daß Ihre Mitarbeiter häufig selbst nicht bemerken, was die Reformschreibe im Einzelfall aus ihren Texten macht. Mir ist jedenfalls bekannt, daß ein nicht geringer Teil Ihrer Redaktionsmitglieder sich beim Schreiben um die Reformorthographie verständlicherweise keine Gedanken macht, da dieses Spezialwissen Sache der Schlußredaktion ist. Höchstwahrscheinlich war es auch nicht Walter Kempowski selbst, der in Ihrer Zeitung von Adalbert Stifters „Fress-Sucht“ schrieb. Natürlich ist dies kein gewöhnlicher Boulevard-Bindestrich, sondern eine Notlösung zur Verhinderung einer noch unangenehmeren Schreibweise. Auch bei solchen Kleinigkeiten irritiert es den Leser, wenn der Verfasser bzw. der Redakteur zu drartigen Umgehungsstrategien gezwungen ist.

Zu Ihrer Argumentation im einzelnen möchte ich folgendes bemerken: Wenn Sie dem Schreibgebrauch unserer zeitgenössischen Autoren einen „wilhelminischen Ursprung“ zuschreiben, so bedienen Sie ein recht billiges Klischee. Sprachgeschichtlich sind die reformierten Getrenntschreibungen weit älter. Daß sie heute schon aus grammatischen Gründen obsolet sind („Erfolg versprechender“), haben die Reformer schon bald nach der Verabschiedung des Regelwerks feststellen müssen. Die vermehrten Großschreibungen, auf welche die Rechtschreibkommission nach der Ablehnung ihrer ursprünglichen Pläne zurückgreifen mußte (dem Vorschlag eines österreichischen Hobby-Linguisten folgend) gehen sogar auf die Barockzeit zurück. Wer ist hier rückwärtsgewandt?

Sie unterstellen den Verlagen, die zur bewährten Einheitsorthographie zurückkehren, andere Motive als die „Sorge um die Lesbarkeit“. Zumindest ist von dieser Sorge in Ihrer Argumentation ebenso wenig zu spüren wie in Ihrer Zeitung. Wohlgemerkt – „ebenso wenig“, es mag also schon ein wenig Sorge vorhanden sein; ich sagte nicht „ebensowenig“, also „gar nicht“. Auch solche Unterscheidungen verbietet gleichwohl Ihre Hausorthographie.

Die „Beseitigung aller Zweifelsfälle“ hat niemals irgendjemand verlangt oder gar versprochen. Auffallend ist lediglich ihr explosionsartiges Ansteigen, gerade auch in Ihrer „Zeitschreibung“ („hoch geehrt“, aber „hochwillkonmmen“). Bezeichnend nicht nur für Ihre redaktionelle Praxis ist die Ratlosigkeit, die aus Ihrer hauseigenen Not-Orthographie spricht: „hoch + Adjektiv oder Partizip: nachschlagen!“ Was sonst?

Die Schriftsprache bedarf keineswegs immer eines „autoritativen Regelwerks“. Ist eine Einheitsorthographie erst einmal geschaffen, regelt sich die weitere Entwicklung der Rechtschreibung von selbst, sie kann durch mehr oder weniger gelungene Regelwerke nachträglich beschrieben werden. Bis zur Reform schrieb man nicht wie es im Duden steht, sondern es stand im Duden, wie man es schreibt. Ein merkwürdiger Widerspruch besteht m.E. auch darin, daß Sie dem Staat das Recht zusprechen, sprachliche „Beliebigkeit einzudämmen“, und andererseits die Rechtschreibreform „viel toleranter“ nennen als ihre angebliche „Vorgängerin aus dem Jahre 1901“. Konrad Duden hat indessen keine Schreibweisen erzwungen, die grammatisch falsch sind („Wie Recht du doch hast!“) und die Bedeutungsunterscheidungen verbieten. Auch hat er nie versucht, frei erfundene Regeln unter das Volk zu bringen und Schreibungen, die sich nicht bereits im Gebrauch bewährt hätten.

Ist es Populismus, wenn nun einige Politiker endlich den Abbruch des gescheiterten Experiments fordern, das inzwischen in „allen maßgeblichen Institutionen der Republik“ als Fehler angesehen wird? Offensichtlich stehen diese Institutionen für Sie höher als hundert Schriftsteller und sechshundert Sprachwissenschaftler, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Reformpläne massiven Widerspruch einlegten. Sicherlich werden es unsere Autoren mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, daß sie nicht an „staatliche Schreibanweisungen“ gebunden sind. Daß Schülern die durch die Lektüre zeitgenössischer Autoren erworbene Bekanntschaft mit der modernen Wortbildung des Deutschen nach derzeitiger Beschlußlage bald mit Nachteilen zu rechnen haben, scheint Sie nicht weiter zu beunruhigen.

Den „Aufstand gegen neue Trennungsregeln“ (die definitiv niemand auch nur halbwegs konsequent anwendet, auch keine Wörterbuchredaktion) gab es bereits vor der jüngsten Initiative der Bild-Zeitung.

Mit Verwunderung lese ich schließlich von Ihrer Einschätzung, daß bis 2005 die „verbliebenen Schwächen in der Rechtschreibreform“ korrigiert werden könnten. Von einer erneuten Revision über die demnächst in der 23. Auflage des Duden-Rechtschreibwörterbuchs vorgesehenen Änderungen hinaus ist bislang nichts bekannt geworden. Ihre Hoffnung ist umso erstaunlicher, da Ihre eigene Hausorthographie noch sinnentstellende Vorgaben einhält, die der Duden teils schon seit vier Jahren nicht mehr als zwingend erachtet („hoch begabt“). Ist es für eine sich als liberal verstehende Zeitung so schwer zu verstehen, daß zur Freiheit des Wortes auch die Freiheit der Wortbildung gehört? Ihre Ankündigung, sich ohne jede Prüfung „der endgültigen Fassung“ anzuschließen, zeugt von einer würdelosen Unterwerfung unter ein staatliches Wortbildungsmonopol, das von Ideologen und Stümpern mit einer geradezu sadistischen Einstellung zur Sprache geschaffen wurde.

Wenn es im deutschsprachigen Raum irgendwann wieder eine Einheitsorthographie geben sollte, dann ganz sicher nicht auf der Grundlage einer letztlich kulturrevolutionär motivierten Sprachplanung. Jeder Kompromiß wäre (abgesehen von einigen Worttrennungen am Zeilenende) sachlich vollkommen unbegründet, teuer und ohne jede Aussicht auf allgemeine Akzeptanz. Sie haben eine Möglichkeit verpaßt, das gewaltig schwankende Kartenhaus in aufrechtem Gang zu verlassen.

Es ist beschämend, daß Sie es in diesen Tagen mithin weniger Berufenen überlassen, sich für die Wiederherstellung einer differenzierten und nuancenreichen Einheitsorthographie einzusetzen. Was Sie als „Komplott im Sommer“ bezeichnen ist mir allemal lieber als Ihr Wörterkompott das ganze Jahr lang. Aus diesem Grunde habe ich Ihre Abonnementsabteilung über meine Absicht informiert, mein langjähriges Abonnement der ZEIT zum nächstmöglichen Termin kündigen.

Sollte Ihre Zeitung die Entscheidung für die weitere Teilnahme an dem sprachpolitischen Experiment widerrufen, würde ich gerne wieder zu Ihren Abonnenten zählen.

Mit freundlichen Grüßen


Ulrich Morgenstern

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Ulrich Morgenstern

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Norbert Lindenthal
12.08.2004 08.08
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Die Zeit



12.8.2004

Rechtschreibreform

Wohlbekannt oder wohl bekannt?

Wer will wirklich zurück zur alten Rechtschreibung? Eine Umfrage unter deutschen Buchverlegern

Auszug

Die Tragödie bahnte sich bereits vor acht Jahren an, als die Vorschläge für die Neuregelungen bekanntgemacht wurden. Die wenigen, durchaus kompetenten, Kritiker standen einer obrigkeitshörigen Mehrheit von Befürwortern in der auftraggebenden Ministerialbürokratie gegenüber und mußten zusehen, wie eine evident vermurkste Reform von den Kultusministern, ohne parlamentarische Legitimation, schließlich verordnet wurde. Die Schulbuchverlage unterwarfen sich ohne Protest sofort dem Diktat der Ministerien, und die Kinder- und Jugenbuchverlage, auch »dtv junior«, stellten um, damit ihre Bücher weiterhin in den Schulen benützt werden können. In allen Verlagen mußten eigene Richtlinien entwickelt werden, weil die offiziellen »amtlichen« Versionen zu verwirrend waren und sind. Der Bestand der in- und ausländischen Bibliotheken an deutscher und übersetzter Literatur sowie die Produktion der belletristischen Verlage wurden damit schlagartig als veraltet deklariert. Brutaler kann man nicht verhindern, daß sich eine ohnehin nicht gerade lesefreudige Generation der Weltliteratur öffnet. Eine zukünftige Spaltung in eine Sprache der Literatur und eine der Schulen und der Bürokratie kann aber doch ernsthaft von niemandem befürwortet werden. Um permanentes Chaos zu verhindern, muß die Reform mit dem Eingeständnis eines schweren politischen Fehlers zurückgenommen und dem evolutionären Veränderungsprozeß der Sprache wieder der natürliche Spielraum zugebilligt werden. Die schmerzlichen Kosten für eine übergangsgeregelte Rückführung sind mit Sicherheit verkraftbarer als eine Nachbesserung ohne Ende.

Wolfgang Balk, Verleger, Deutscher Taschenbuch Verlag

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