Der „Sound“ von Corona
Unser Gehör und sein Gehirn bilden ein feinfühliges Erkennungssystem, das genetisch in jeder Zelle die Erfahrung von einer Milliarde Jahre Evolution in sich trägt. Mögen Katzen und Fledermäuse den Menschen im Hören übertreffen, so reichen sie doch nicht an dessen Analysefähigkeiten heran, deren er als sprechendes Wesen bedarf. In der Musik wird überdies eine irrationale Gefühlsfähigkeit gepflegt, die kultur- und intelligenzabhängig ist. Nun wollen Forscher mit Hilfe der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) auch Krankheiten wie Covid 19 am Klang der Stimme erkennen.
„Künstliche Intelligenz“ ist allerdings eine größenwahnsinnige Bezeichnung für ein Gerät zur etwas schnelleren, sinnreichen Informationssammlung und Verarbeitung – vergleichbar mit dem Wunsch, ein schnelleres Auto auch als Ballettänzerin einsetzen zu wollen. Spiegel.de schreibt: Covid-19 an der Stimme erkennen
Auf den Spuren des Corona-Sounds
Sprache verrät viel über den Menschen. Aber kann sie Krankheiten enthüllen, von denen wir noch gar nichts wissen? Forscher arbeiten daran, eine Covid-19-Erkrankung zu erhören.
Von Jörg Römer
Je nachdem, wie wir unsere Stimme einsetzen, verleiht sie Autorität, wirkt bedrohlich – manchmal offenbart sie dagegen Leiden und Verletzlichkeit. Sie ist das vielleicht sensibelste Instrument des Menschen.
Wenn uns jemand etwas erzählt, dann hören wir manchmal kleinste Nuancen heraus. Doch seit einiger Zeit machen uns dabei intelligente Maschinen Konkurrenz. Sie können lernen, sogar unterschwellige Botschaften zu erkennen, die wir vielleicht gar nicht senden wollten. Heutzutage brauchen die KI-Forscher natürlich die Hilfe der alten und neuen Intelligenz-Großmacht China: Die App ist sozusagen ein digitales Fernstethoskop – denn ein Arzt lauscht ja zuallererst auch auf abnormale Geräusche in den Atemwegen. Die Augsburger brauchten aber entsprechende Sprachproben von Infizierten. Dabei spielten dem KI-Spezialisten seine Kontakte nach China in die Hände, wo er an der Polytechnischen Universität Harbin eine Gastprofessur hat.
Im März, als das Virus in Wuhan wütete, boten chinesische Ärzte ihre Hilfe an. Sie ließen Patienten, die in den Krankenhäusern auf Testergebnisse warteten, ein paar Sätze in die App der Augsburger sprechen. Also sagen die Probanden brav Sätze wie "今天的天气是晴天 – auf Deutsch: Das Wetter heute ist sonnig.
52 Sprachproben von unterschiedlich stark erkrankten Covid-Patienten kamen so zusammen, berichten die Forscher in einer Studie.
spiegel.de 14.11.2020 Der kleine Satz enthält dreimal das Wort „tiān“ (Himmel, Tag), in Pinyin: „jīntiān de tiānqì shì qíngtiān“. Dabei werden die altchinesisch ursprünglich selbständigen Wörter als neue zweisilbige Begriffe zusammengeschrieben, etwas holprig: Diesen Tag die Tagesluft ist Klartag. Die kommunistische Zeichen„reform“ hat hier nur dem Zeichen qì (Dampf, Luft, Gas) durch Fortlassen des Zeichens für „mĭ“, (kochend dampfender) Reis, die Balance genommen: 天氣.
Im Schreiben waren uns die Chinesen schon 2000 Jahre voraus, – in der „Reform“ 40 Jahre, ohne daß bei uns eine Not zur Nachahmung bestand.
Nachtrag 16.11.20: Ist es überhaupt angemessen, von künstlicher Intelligenz zu sprechen?
Prof. Wolf Singer: Auf keinen Fall. Ich würde diesen Systemen Intelligenz absprechen. Ihr Modell der Welt ist begrenzt auf das, was man ihnen gezeigt hat. Sie lernen nichts als Korrelationen und Kontingenzen. Um neue Ideen zu entwickeln, bräuchten sie assoziative Mechanismen.
hpd.de 13.11.2020.
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