Stern
Meldung vom 28. Juli 2004
Rechtschreibreform
Stellvertreterkrieg im Reformhagel

© Jörg Sarbach/AP
Vom 1. August 2005 an soll die neue Rechtschreibung verbindlich an den Schulen gelten: Diese Bremer Grundschüler üben bereits fleißig
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rechtschreibreform zurück-
genommen wird, ist gering. Das meint zumindest der Vorsitzende der Rechtschreibkommission, Karl Blüml.
In Deutschland gibt es gerade eine gewisse grundsätzliche Angst vor Reformen. Und da wird die Rechtschreibreform genutzt, um einen Stellvertreterkrieg zu führen. Um Inhalte geht es bei der neuen Diskussion gar nicht, sagte der Österreicher Blüml, Vorsitzender der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission. Er rechnet nicht damit, dass das Reformwerk rückgängig gemacht wird.
Um die Rechtschreibreform doch noch zu kippen, müssten die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer einstimmig den 1996 gefassten Beschluss ihrer Kultusminister aufheben. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit auch ziemlich gering, betonte Blüml. Bei dem turnusmäßigen Treffen der Regierungschefs im Herbst wird die seit 1998 eingeführte Schreibweise auf die Tagesordnung kommen, weil einige Unions-Ministerpräsidenten jüngst die geänderten Schreibregeln wieder in Frage stellten. Etliche Regierungschefs, aber auch die Bundesregierung und der Bundeselternrat haben sich bereits gegen eine Rücknahme der Reform gewandt.
Gilt für den gesamten deutschsprachigen Raum
Die neue Rechtschreibung soll für den gesamten deutschsprachigen Raum gelten. Unterzeichner der Gemeinsamen Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung waren neben Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Liechtenstein, Belgien, Italien, Rumänien und Ungarn Staaten, in denen die deutsche Sprache in Teilregionen eine wichtige Rolle einnimmt. Rechtlich ist es nach Angaben von Blüml möglich, dass ein Land die Absichtserklärung aufkündigt. Aber dass ein einzelnes Land fern ab der zu erwartenden hohen Kosten noch abspringt, kann ich mir nicht vorstellen, betonte er.
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In Österreich wird der neue deutsche Streit zwar nachrichtlich abgehandelt, eine interne Diskussion über die Rechtschreibung gibt es dort aber nicht. In Österreich ist die Sache gelaufen, betonte Blüml. Anders sieht die Lage in der Schweiz aus. Dort hat Anfang Juni eine Gruppe von Gymnasiallehrern zu einem Moratorium der 1996 eingeleiteten Rechtschreibreform aufgerufen. Sie fordern das zuständige Gremium (Erziehungsdirektorenkonferenz) auf, zur Reform eine echte Anhörung durchzuführen. Die Regeln der neuen Rechtschreibung dürften erst nach einer gründlichen Prüfung verbindlich werden.
Vom 1. August 2005 an soll die neue Rechtschreibung verbindlich an den Schulen gelten. Auf Ämtern und in Behörden wird die neue S- sowie die veränderte Getrennt- und Zusammenschreibung bereits seit mehreren Jahren praktiziert.
Privat können die Leute machen, was sie wollen
Es gibt nur zwei Bereiche, in denen der Staat vorschreiben kann, wie geschrieben werden soll. Das sind die Behörden und über die Kultusministerkonferenz die Schulen, erklärte der stellvertretende Kommissionsvorsitzende Gerhard Augst. Privat können die Leute machen, was sie wollen. Gerade von Schriftstellern komme aber mit die meiste Kritik, bilanzierte der Wiener Gymnasialdirektor Blüml. Dabei berührt sie die neue Schreibweise ja gar nicht.
Die mit Experten aus Deutschland, Österreichs und der Schweiz besetzte Zwischenstaatliche Kommission wurde 1996 eingerichtet; ihre Geschäftsstelle ist beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim angesiedelt. Sie soll die Einführung der Neuregelungen sowie die künftige Sprachentwicklung begleiten, beobachten und soweit erforderlich Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks erarbeiten.
Bernd Glebe, DPA
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