Hilfe, unsere Kinder können nicht schreiben
Hamburger Morgenpost, 2. 11. 2004:
Studie belegt: Hamburger Viertklässler liegen weit unter dem Bundesdurchschnitt
Hamburgs Grundschüler brauchen dringend Nachhilfe in Rechtschreibung! Ein aktueller Studienvergleich ergab, dass die Schreibfähigkeit unserer Viertklässler weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Gemeinsam mit Bremen bildet Hamburg das Schlusslicht. Der Erziehungswissenschaftler Professor Wilfried Bos legt den Finger in die Wunde: Die Hamburger Schüler liegen zwar in Mathematik und Naturwissenschaften im Durchschnitt, doch in Orthographie derbe darunter.
Zum Vorschein kam der Notstand jetzt durch den Vergleich der Hamburger Grundschulstudie KESS mit den Ergebnissen der internationalen Schülerstudie IGLU. In beiden Tests sollten Viertklässler 45 vorgegebene Wörter schreiben. Mit durchschnittlich 28 Treffern gehören die Jungen und Mädchen aus Bayern und Baden-Württemberg zur Spitze. Hamburg liegt bei 23 Wörtern, Schlusslicht bildet Bremen mit 20 Wörtern.
Diese Leistungsunterschiede sind gravierend, bewertet Bos. In der Kategorie der schweren Wörter mussten die Kinder etwa Vieh und Fahrradschloss schreiben, zu den leichteren Aufgaben gehörten Geburtstag und Straße. Über die Gründe für Hamburgs schlechtes Abschneiden sagen die Studien nichts aus. Bos: An Hamburgs Schulen wurde viel zusätzlich getan für Lesen und kreatives Schreiben, aber nicht für die Rechtschreibung. Offenbar habe es an der Wertschätzung gefehlt.
Eine Erfahrung, die auch viele Eltern gemacht haben. Petra Siebel aus Eimsbüttel: Es hieß von den Lehrern immer, die Kinder sollen sich textlich entfalten. Gleichzeitig auf die Rechtschreibung zu achten würde sie einschränken. Eine Regel, die an der Schule ihrer Tochter bis in die 7. Klasse hinein vertreten wurde. Rechtschreibfehler wurden noch nicht einmal angestrichen, so die Mutter. Und wenn ich meine Tochter aufmerksam machte, wollte sie nicht auf mich hören. Schließlich habe die Lehrerin gesagt, die Schreibweise sei nebensächlich.*
Diese Methode war lange Zeit modern, macht die Kinder aber luschig, so Deutschlehrerin Heidi Kähler-Dorst (Grundschule Lange Striepen, Hausbruch). Man muss von Kindern, die dazu in der Lage sind, verlangen, dass sie richtig schreiben.
An den Schulen wird viel zu viel Unsystematisches und Falsches in den Köpfen der Kinder angehäuft, kritisiert Doktor Inge Blatt, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Hamburg. Es muss endlich wieder klar sein, dass richtiges Schreiben kein überflüssiger Formalismus ist. "
Info:
DAS SAGT DIE BEHÖRDE
Lehrer sollen von Anfang an auf die richtige Rechtschreibung der Schüler achten. Diese Devise gibt die Bildungsbehörde aus. Es ist nicht sinnvoll, erst einmal schreiben zu lassen, wie man es hört und später die Rechtschreibung hinzuzunehmen, sagt Hartmut Deutelmoser, Fachreferent für Deutsch an Grundschulen. Es sei besser, schnell vom Lautmalerischen auf Regeln zu wechseln, sonst müssten die Kinder später alles noch einmal lernen. Am Ende von Klasse zwei soll ein Schüler laut Behörde 100 bis 130 Wörter richtig schreiben können. Und zwar individuelle Wörter und Klassenwortschatz. Am Ende von Klasse vier soll das Rechtschreibbewusstsein so ausgeprägt sein, dass richtiges Schreiben nicht mehr als schreibhemmend empfunden wird.
Diktate gelten nicht als zeitgemäß. Deutelmoser Es gibt viele bessere Methoden, um richtiges Schreiben zu lernen. In Ordnung sei es noch, wenn es mit einer Fehleranalyse des Schülers verbunden sei. In allen Fächern sollten bei Hausaufgaben und Arbeiten aber auf jeden Fall Fehler angestrichen werden. Am besten sollte der Schüler selbst den Fehler finden.
Sandra Schäfer
http://www.mopo.de/nachrichten/102_panorama_68361.html
* Hervorhebung durch M.D
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