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eingetragen von margel am 02.01.2005 um 21.12

Spiegel online (s. Nachrichtenbrett): "...Problem, dass auch die umfangreichste Reform nicht wird beseitigen können."


eingetragen von Theodor Ickler am 26.12.2004 um 18.36

Scheuringer, Hermann/Stang, Christian (2004): Die deutsche Rechtschreibung. Geschichte – Reformdiskussion – Neuregelung. Wien. „Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Wien“

Es handelt sich um eine Neubearbeitung von Scheuringers Geschichte der deutschen Rechtschreibung. Wien 1996, vermehrt um eine Darstellung der Neuregelung und der jüngsten Revision durch Stang.

Beide Autoren bekennen sich zur Neuregelung, die sie auch mit diesem Werk weiterverbreiten wollen. Dazu gehört auch das Verächtlichmachen der Reformkritiker, besonders durch Scheuringer, während Stang, der auch im Schriftverkehr mit Reformkritikern (stets in der bewährten Rechtschreibung) immer sehr vorsichtig ist, zu größerer Sachlichkeit neigt.

Scheuringer scheint ein Opfer seines eigenen reforminduzierten Wortspiels zu werden, wenn er schreibt:
„Rechtschreibung beinhaltet doch auch: 'Ich habe Recht!' Wer Recht hat, hat auch Macht und Einfluss.“ (S. 11)
Scheuringer behauptet, ohne (explizite) Rechtschreibregeln gebe es keine Rechtschreibung, sondern nur einen „Usus scribendi“ (dies schreibt er stets so, also falsch im Sinne der Neuregelung). Allerdings spricht er später (S. 17) doch auch in bezug auf die Frühzeit von einer „Orthographie“. Scheuringer gibt sich keine besondere Mühe, die Systematik der bisherigen, in Jahrhundert enwickelten Schreibweisen zu erfassen.

Scheuringer spricht einerseits von der „stillen und wissenschaftlichen Arbeit“ des Internationalen Arbeitskreises (S. 93), höhnt aber an anderer Stelle über die Klage der Frankfurter Erklärung, daß „die hinter der Reform stehende Expertengruppe 'anonym' und im stillen Kämmerlein ohne Beteiligung der Öffentlichkeit gearbeitet habe.“ (S. 122)

Nicht nur Kultusminister Zehetmair hat aber in jenem Spiegel-Interview 1995 eingeräumt, daß die Öffentlichkeit so gut wie gar nicht informiert sei, es gibt auch viele andere Bestätigungen, z. B. von IDS-Direktor Stickel: „Aber wurde nicht doch etwas falsch gemacht bei der Reform, zumindest bei ihrer Umsetzung? 'Doch. Alle hätten wirklich mehr tun müssen, die Öffentlichkeit zu informieren und ihre Zustimmung zu gewinnen.'“ (DIE ZEIT 46, 1996, Gespräch mit Dieter Zimmer)

Scheuringer behauptet, die Getrenntschreibung entspreche der sprachgeschichtlichen Entwicklung, während Stang gerade umgekehrt und richtiger vom „natürlichen Trend zur vermehrten Zusammenschreibung“ spricht, der die Reformer entgegenwirken wollten.

Die Bezeichnung der Tageszeiten in heute abend und abends hält Scheuringer für „Adjektive“ (S. 110).

„In Zukunft wird genauso behandelt werden wie und und ganz normal auf die nächste Zeile rutschen, also: Zu-cker.“ (S. 113)
Warum das keineswegs „normal“ ist, erwägt er nicht.
Scheuringer bedauert, daß bei Fremdwörtern die morphologische Trennung zulässig bleibt, weil die neue Rechtschreibung damit „dem elitären Anspruch des Bildungsbürgertums weiterhin entgegenkommt“ (S. 114). - Das sind die kulturrevolutionären Töne der siebziger Jahre. Erst wenn man No-stalgie verbietet und nur Nos-talgie zuläßt, ist Bildung nicht mehr an der Schreibweise zu erkennen.


Orthographische Fehler:

der erste, als erster usw. wird regelmäßig klein geschrieben
ersterer
zu den Publikationen noch Mentrup (2004), Letztere eine höchst ausführliche Geschichte ... (hier muß Letztere klein geschrieben werden)
den Halleschen Rektor
ähnlich tief greifend gestaltet sich ...
die Heysesche s-Regelung
klein zu schreiben
gleichlautend (erst nach der Revision wieder zulässig)


Stang will die Neuregelung „einschließlich ihrer letzten Modifikationen vor der amtlichen Alleingültigkeit ab 1. August 2005 im Detail“ darstellen (S. 6, ähnlich S. 124). Als die Verfasser dies schrieben, wußten sie noch nicht, daß wenige Wochen nach dem Erscheinen des Buches der neue „Rat für deutsche Rechtschreibung“ zusammentreten würde, um die „letzte“ Fassung der Reform in eine allerletzte umzuwandeln. Die gesamte Darstellung ist also bereits überholt; sie ist aber noch aus einem anderen Grunde ohnehin unbrauchbar. Stang klammert nämlich den umstrittensten und von der Revision am stärksten betroffenen Teil, die Getrennt- und Zusammenschreibung nach § 36, vollständig aus. Eine Begründung findet man nicht, das Kapitel fehlt einfach. Glaubt Stang im Ernst, der Leser würde das gar nicht bemerken?

Es ist zwar richtig, daß die Bindestrichschreibung zur Entschärfung der neuen Dreibuchstabenregel die Großschreibung des Erstgliedes in Adjektiven wie Sauerstoff-frei zur Folge hat (S. 132); man sollte aber erwähnen, daß der Duden (K 25) und auch die Rechtschreibkommission gerade deshalb von der Bindestrichschreibung abraten.

Von den griechischen Fremdwörtern mit ph behauptet Stang, nur die Stämme phon und graph würden fakultativ mit f geschrieben: „Die Schreibung aller anderen griechischen Fremdwörter wird nicht verändert.“ (S. 134) Offenbar hat er Delfin und Fantasie übersehen. Es trifft auch nicht zu, daß die Eindeutschung Filosofie „zu keiner Zeit in Betracht gezogen“ worden wäre – so inkonsequent waren die Reformer nun auch wieder nicht.

Die volksetymologischen Schreibungen wie Zierrat bleiben unkommentiert.

Die Darstellung der neuen ss-Regel ist geradezu irreführend, weil sie das Kriterium der Betonung unterschlägt. Nach Stangs Formulierung müßte es zu Tausenden von Fehlschreibungen wie Erlebniss usw. kommen.

„Das Wort Spaß wird trotz der unterschiedlichen Aussprache immer mit ß geschrieben.“ (S. 128)

Die Revision läßt für Österreich auch Spass zu (das schon länger im ÖWB steht, aber noch nicht im neuesten Duden).

„Das Wort selbständig kann auch selbstständig geschrieben werden.“ (S. 132)

Nein. Das Wort selbständig wird selbständig geschrieben und das Wort selbstständig wird selbstständig geschrieben. Das ist ganz genauso wie bei Rindsbraten und Rinderbraten: beide Wörter bedeuten dasselbe, aber sie sind trotzdem nicht dasselbe Wort.

Die Nichttrennung der Buchstabengruppe str (wie in Lustrum, Magistrat) ist entgegen Stangs Meinung seit 1996 nicht mehr zulässig (S. 139).

In irrewerden sieht Stang ein „Substantiv“ als ersten Bestandteil.

„Verbindungen mit sein werden getrennt geschrieben.“ (S. 144)
Das revidierte amtliche Wörterverzeichnis enthält auch schon wieder zurückgewesen; die Folgen sind unabsehbar.

Die Behauptung, daß zusammengesetzte Fremdwörter mit unselbständigem Erstglied stets zusammengeschrieben werden (Afrolook), wird durch das kurz zuvor angeführte Moto-Cross (mit Bindestrich) widerlegt. (S. 150)

Die Großschreibung von Fachausdrücken wie Roter Milan ist keineswegs ein Ergebnis der Revision von 2004. Die Einschränkung auf biologische Begriffe war eine Fehldeutung der Regelung von 1996. Die nochmalige Erwähnung von botanischen und zoologischen Fachausdrücken (das Fleißige Lieschen) ist ein ungeschickter Versuch, die bisherige Deutung mit der neuesten zusammenzuführen.

„Paarformeln für die Bezeichnung von Personen werden grundsätzlich großgeschrieben.“ (S. 155)

Der Begriff der Paarformel hat keine Entsprechung in der amtlichen Regelung, sondern ist eine Interpretation. Falsch ist die folgende Auskunft:

„Nach der bisherigen Regelung musste zwischen ungebeugten und gebeugten Paarformeln (groß und klein vs. die Großen und die Kleinen, arm und reich vs. die Armen und die Reichen) differenziert werden.“ In Wirklichkeit unterschied der Duden zwischen wörtlichem und übertragenem Gebrauch („jedermann“), ganz unabhängig von der Beugung.

In der Reihe der neuen, z. T. grammatisch falschen Großschreibungen (Leid tun, Pleite gehen) fehlt Recht haben. (S. 155)

Während sehr vieles fehlt, erwähnt Stang überflüssigerweise manches, was vor 12 Jahren geplant war, aber nicht durchgesetzt werden konnte.

Die Abbildungen sind z. T. sehr schlecht.

Druckfehler:

Laboratium (Laboratorium), Grizzylbär (Grizzlybär)

Nebenbei erfährt man, daß 2005 die Neubearbeitung des ÖWB erscheinen soll. (S. 8)

Das Buch beweist, daß selbst Leute, die sich unablässig mit der Rechtschreibreform beschäftigen, längst den Überblick verloren haben.



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Th. Ickler


eingetragen von margel am 17.12.2004 um 09.19

Ich erhalte täglich gratis den Newsletter der "Welt", bin also nicht Abonnent. Die Umstellung auf die bewährte Rechtschreibung ist, nach anfänglichen kleinen Unstimmigkeiten, ganz hervorragend gelungen. Man freut sich immer wieder an "heißbegehrt", "leichtmachen"...usw.


eingetragen von Bernhard Schühly am 16.12.2004 um 23.25

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von margel
Wie hier schon gesagt wurde, muß dieser Schritt als die ganz selbstverständliche Korrektur eines Irrtums erscheinen. Die ihn vollziehen, müssen sich nicht rechtfertigen oder verteidigen.
Das ist ein gutes Wort! Es ist nicht peinlich zur bewähten Schreibung zurückzukehren - im Gegenteil, es wird, auch wenn nichts öffentlich davon zu hören ist, vom überwiegenden Teil der Bevölkerung honoriert.
Motto:
"Wenn der Teufel dir ein Bein stellt, fällste hin. Du darfst aber nicht liegenbleiben!"
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Bernhard Schühly


eingetragen von Fritz Koch am 16.12.2004 um 16.00

erspart öffentliche Beschimpfungen und unnötige Diskussionen.
Es genügt, wenn die Statistik die alte Rechtschreibung stärkt.


eingetragen von margel am 16.12.2004 um 15.47

Ich finde es klüger, wenn die zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückgekehrten Blätter davon kein Aufheben machen. Wie hier schon gesagt wurde, muß dieser Schritt als die ganz selbstverständliche Korrektur eines Irrtums erscheinen. Die ihn vollziehen, müssen sich nicht rechtfertigen oder verteidigen. Auch wird es den noch Zögernden leichter gemacht, ebenfalls umzustellen, wenn man ihnen gerade nicht ständig ihre Fehlentscheidung vorhält. - Was der neue Rat soll, ist klar: Die Reform so weit abmagern, daß auch die Verweigerer wieder mitmachen. Ohne diese Gleichschaltung läßt sich das Unternehmen in der Schule nicht umsetzen. Nachdem die Selbstunterwerfung nicht lückenlos funktioniert hat, kommt nun das letzte Aufgebot daher und soll aus den Trümmern einer von Anfang an baufälligen Bruchbude doch noch einen Unterstand für die im Regen stehende KMK zimmern.


eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 16.12.2004 um 11.10

Tröpfchenweise Leserbriefe, das bringt nichts.
Wenn sich der Springer-Verlag im Laufe des nächsten
Jahres eines massiven Drucks von oben nicht mehr
erwehren kann, läuft auch eine eventuelle kon-
zertierte Aktion ins Leere.

Zur Zeit umweht die Verursachermannschaft ein mildes,
laues Lüftchen. Nichts regt sich. Wo bleibt
der "Ruf wie Donnerhall" der Professoren,
des PEN-Clubs, der Rechtswissenschaftler,
der Schriftssteller? WELT,BILD haben es sich
auch bequemgemacht. Sie könnten auch hin
und wieder Beiträge bringen, die ins Auge
springen, sich in den Köpfen der Leser festsetzen,
allein schon, um ihre beglückwünschenswerte
Rückkehr zu untermauern.
Ich glaube kaum, daß FOCUS einen Gegenwind zu seinem
Jahresrückblick bekommen hat, in dem er behauptet,
daß in den Schulen seit sechs Jahren erfolgreich
unterrichtet wird.

Meines - völlig unmaßgeblichen - Erachtens
kann in der jetzigen Situation nur eine
spontane Rückkehr unserer Zeitungen die
Rettung darstellen. Sie wäre der
DEUS EX MACHINA der alten Tragödien.





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Ruth Salber-Buchmueller


eingetragen von Fritz Koch am 16.12.2004 um 09.36

Es gibt nicht nur die beiden Möglichkeiten "Politisierung" oder "Privatisierung". Wie das Vorbild der Trinkwasserversorgung zeigt (wo die Privatisierung abschreckende Folgen hatte), gibt es auch die Verwirklichung der Verbraucher-Interessen an einer sicheren und preiswerten Wasserversorgung durch Zweckverbände. Bei der Rechtschreibung werden diese Verbraucherinteressen noch überhaupt nicht berücksichtigt.


eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz am 16.12.2004 um 09.23

Was die Privatisierung betrifft, wäre ich eher vorsichtig. Dies sind Lippenbekenntnisse zur Täuschung der Öffentlichkeit. Daß die Debatte nach wie vor hochpolitisch ist, kann man daraus erkennen, daß die Parteienlandschaft durchaus gespalten ist. Wie kommt es denn, daß die SPD-Hauspostille SZ und der Spiegel nicht umstellen?

Es wäre jetzt wichtig, dem Springer-Konzern und der FAZ den Rücken zu stärken, damit diese sich keinesfalls vor dem 1. August 2005 auf irgendwelche Kompromisse (ss-Schreibung) einlassen. Die Reformer sind nämlich dieses Termins wegen in der Klemme. Man weiß genau, daß es aus pädagogisch-methodischen Gründen schlecht durchführbar sein wird, den Schülern die herkömmlichen Schreibweisen als Fehler anzustreichen, so lange die Presselandschaft nicht komplett auf Reformschreibung eingestellt ist.

Springer und FAZ müssen noch standhaft bleiben. Ich hoffe, sie haben die Kraft dazu.
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Karin Pfeiffer-Stolz


eingetragen von Fritz Koch am 16.12.2004 um 09.15

muß Herrn Zehetmair unbedingt "unter die Nase gerieben" werden, weil er doch angeblich "die schlimmsten Unsinnigkeiten beseitigen" will.


eingetragen von margel am 16.12.2004 um 08.19

Herr Zehetmair will erklärtermaßen die weitere Diskussion um die Rechtschreibreform politikfern halten. Das ist im Sinne der KMK, die die Verantwortung für ihr Zerstörungwerk schon lange lossein möchte. Das ist aber auch erfreulich für die Gegner, da das ganze dann immer weniger Staatsautorität hinter sich hat, also immer weniger "amtlich" wird.


eingetragen von Theodor Ickler am 16.12.2004 um 04.37

Als Begründung wurde vorgetragen, es sei zu spät. Das ist offensichtlich nur ein Vorwand, wie vor acht Jahren, als es auch schon zu spät war. Die Union hatte sich bereits am Vortag darauf geeinigt, es nicht zu einer Anhörung kommen zu lassen. Allerdings war Gauweiler nicht anwesend, auch nicht gestern im Kulturausschuß.
Auch aus Äußerungen von Herrn Zehetmair geht hervor, daß keine neuerliche Befassung des Bundestags mit der Rechtschreibreform gewünscht wird. Sie könnte ja auch der Rats-Tätigkeit in die Quere kommen, von der sich nun alle Welt das Heil erhofft und wo die Schulbuchverleger das große Wort führen können.
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Th. Ickler


eingetragen von Bernhard Schühly am 15.12.2004 um 22.54

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der Kulturausschuß des Bundestages hat es heute abgelehnt, eine Anhörung zur Rechtschreibreform anzuberaumen.
Und mit welcher Begründung?
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Bernhard Schühly


eingetragen von Theodor Ickler am 15.12.2004 um 18.33

Der Kulturausschuß des Bundestages hat es heute abgelehnt, eine Anhörung zur Rechtschreibreform anzuberaumen.
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Th. Ickler


eingetragen von Dr. Konrad Schultz am 13.12.2004 um 21.34

"Atem beraubend", aber "weniger atemberaubend" zu schreiben, gehört zu dem Schwachsinn der NRS. Der ist also insoweit erfolgreich beim Focus oder seinem Rechtschreibprogramm angekommen. In der Thüringer Allgemeinen war aber am Wochenende von "Arbeit Suchenden" und, also kein Zufall, von "Job Suchenden", alles groß geschrieben, die Rede.


eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 13.12.2004 um 18.31

In den
Schulen wird die NRS "erfolgreich" unterrichtet,
meint der Focus?
Und was ist mit dem FOCUS selbst? Wie klappt es da?
FOCUS online 13.12.04
"Kylie fiel über ihr Kleid"
Wir lesen von einer "Atem beraubenden" Wette.
Ein paar Zeilen weiter heißt es:
"Weniger atemberaubend" war ...
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Ruth Salber-Buchmueller


eingetragen von Bernhard Schühly am 13.12.2004 um 16.05

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
In seinem Jahresrückblick behauptet der FOCUS, die reformierte Rechtschreibung werde seit sechs Jahren an den deutschen Schulen "erfolgreich" unterrichtet. Alle Redakteure wissen, daß es nicht stimmt. Aber warum schreiben sie es dann?
Ich glaube, das ist wie ein schlechter Aktien-Deal. Wenn einer heute von einem Unternehmen, daß gestern erst Konkurs angemeldet hat, andeutet, es hätte sich ein Investor oder Käufer gefunden, der die Firma wieder in Schwung bringt, dann steigen auch gleich die Aktien wieder - ob die Sache wirklich stimmt oder nicht, das prüft (erstmal!) keiner nach. Umso tiefer nachher der Fall, wenn der Schwindel aufgedeckt wird - dann fliegen Manager, Firmenchefs und Bankiers.
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Bernhard Schühly


eingetragen von Theodor Ickler am 13.12.2004 um 15.49

In seinem Jahresrückblick behauptet der FOCUS, die reformierte Rechtschreibung werde seit sechs Jahren an den deutschen Schulen "erfolgreich" unterrichtet. Alle Redakteure wissen, daß es nicht stimmt. Aber warum schreiben sie es dann?
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Th. Ickler


eingetragen von margel am 11.12.2004 um 11.44

Es ist bemerkenswert- oder vielleicht doch nicht- daß man sogleich in schlechte Gesellschaft gerät, wenn man sich unter die Reformer und ihre Gefolgsleute begibt. Die Reform, ein grandioses Täuschungsunternehmen, zieht Dummköpfe, Lügner und eitle Schwätzer an wie ein Misthaufen die Schmeißfliegen.


eingetragen von Theodor Ickler am 11.12.2004 um 08.32

Zeitschrift für Kulturaustausch 3/2004
Rechtschreibreform aus Sicht des Auslands
Wege aus dem orthographischen Chaos

von Horst Fröhler

Das Unbehagen über die Rechtschreibreform will nicht abebben. Zu viele fühlen sich zwangsbeglückt, zu wenig unmittelbar einsichtig erscheinen manche Änderungen. Und doch kommt man bei genauerem Hinsehen unweigerlich zum Ergebnis: Eine Reform der Rechtschreibung des Deutschen war dringend notwendig – wenngleich sich viele, auch der Verfasser dieser Zeilen, gewünscht hätten, sie wäre etwas anders ausgefallen.

Betrachten wir einmal die deutsche Sprachlandschaft. Sie besteht aus einer unüberschaubaren Zahl unterschiedlicher Dialekte und Umgangssprachen. Das Wort "nein" hören Sie in der realen, also der gesprochenen Sprache als "nee", "na", "nö", ja sogar als "m-m" oder "å-å". Wo der Tiroler sagt :"Des isch bärig", sagt der Wiener: "Des is leiwand", und wieder anderswo kann man: "Det fetzt" hören. In einer so völlig disparaten Sprachlandschaft erwies es sich als notwendig, eine künstliche gemeinsame Plattform einzuziehen, die sogenannte Standardsprache oder "Schriftsprache", um eine Verständigung im gesamten deutschen Sprachraum zu gewährleisten. Sage ich: "Das ist toll!", versteht es jeder. Doch auch auf dieser künstlichen Sprachebene ist nur bedingt Einheitlichkeit gegeben. Wo wir "innerhalb" sagen, sagt der Schweizer "innert". Was für den Österreicher eine "Marille" ist, heißt anderswo "Aprikose". Und wenn der Deutsche sagt: "Die Brötchen sind alle", muss man es den anderen erst übersetzen als: "Es gibt keine Semmeln mehr".

Diese Situation trägt, wie wohl jeder zugestehen wird, stark chaotische Züge. Wo eine Sprachgemeinschaft gleich in zwei Ebenen auseinander driftet, wird Verständigung zunehmend schwieriger. Wenn dann aber innerhalb der künstlichen Sprachebene "Standardsprache" zusätzlich nochmals die Rechtschreibung variiert, dann ist das Chaos perfekt. Und hier setzte die Reform den Hebel an: Wenigstens dieses Chaos sollte eingedämmt werden, wenn schon das Chaos auf den beiden anderen Ebenen (Dialekte und Standardsprache) nicht behebbar ist, weil Sprachentwicklung prinzipiell nicht "von oben her" regelbar ist. (Zumindest nicht im deutschen Sprachraum; die Franzosen haben da andere Möglichkeiten.)

Nur einige Beispiele, dass sich sogar die Schreibweise der Standardsprache vor der Reform von 1996 massiv auseinander entwickelt hatte: Das österreichische "sodaß" schrieb man in Deutschland "so daß", in der Schweiz "so dass". Das ostdeutsche "Schofför" schrieb man nur noch in Österreich so, sonst überall "Chauffeur". Das Schweizer Wort "placieren" wurde überall anders "plazieren" geschrieben, die österreichischen Mehrzahlformen "Hobbies" oder "Parties" überall sonst "Hobbys" und "Partys". Die Unterschiede zwischen den "vier Rechtschreibungen" reichten sogar bis in die Welt alltäglicher Abkürzungen: So waren in Österreich eigenwillige Schreibformen entstanden wie etwa "ua.", "zB", "dh.", die überall sonst als "u. a.", "z. B." und "d. h." bekannt waren. Die Rechtschreibreform gewährleistet nun zumindest im Schriftlichen eine gemeinsame Plattform.
Doch darüber hinaus sind noch andere positive Effekte zu vermerken:

1. Die Erlernbarkeit der Rechtschreibung ist zumindest da und dort etwas erleichtert worden. Musste man früher z. B. "Schiffahrt" mit zwei, aber "Sauerstoffflasche" mit drei -f- schreiben, so gilt jetzt nur eine Regel. Ähnliches ist etwa auch von der Neuregelung beim Bindestrich, beim Doppelpunkt und bei der Worttrennung zu sagen.

2. Wenigstens in kleinen Nischen unseres orthographischen Chaos, das der Situation im Englischen um nichts nachsteht, wurde gezielt entschärft. So wird nun nicht mehr "irgend jemand" getrennt, aber "irgendwer" zusammengeschrieben, nicht mehr "in bezug" klein, aber "mit Bezug" groß.

3. Die Tatsache, dass wenigstens da und dort Wahlmöglichkeiten geschaffen wurden, ist ein Indiz für den Rückbau doktrinärer Tendenzen. So hat sich bisher noch niemand darüber beschwert, dass man nun auch "selbstständig" schreiben darf statt wie bisher doktrinär nur "selbständig". Wem neue Vorschläge wie "Nessessär" nicht gefallen, der muss sie ja nicht annehmen. Und wer sich gegen die neue Schreibvariante "existenziell" wehrt, der wehrt sich im Grunde dagegen, dass man ihm Freiheiten einräumt.

4. Die Schulnoten im Fach Deutsch können in Deutschland erst seit der Reform nach einheitlichen Maßstäben erteilt werden. Denn vorher war so manches in dem einen Bundesland falsch, das in dem anderen richtig war. Deutschland benötigte daher die Reform – dringender, als es in Österreich oder der Schweiz der Fall war.

5. Die Regelungshoheit für Rechtschreibfragen liegt nun nicht mehr bei einem deutschen Privatunternehmen (Dudenverlag), sondern bei einer offiziellen zwischenstaatlichen Kommission.

Insgesamt war also der Entschluss, sich staatenübergreifend wieder auf eine gemeinsame Orthographie zu einigen, ein sehr begrüßenswerter und wichtiger Schritt, auch wenn das Ergebnis nicht ganz so überzeugend ist, wie es sein könnte. Aber das wohl Wichtigste daran: Die gemeinsame Verständigungsbasis im deutschen Sprachraum wurde für die Zukunft gesichert. Das sollten all jene, welche die Reform bemäkeln, in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Es wird sie milder stimmen.

Kommentar:

Auf den zwielichtigen Österreicher Horst Fröhler hatte ich schon mehrmals hingewiesen. Man müßte einmal nachsehen, welche Rolle er in der ganzen unappetitlichen Sache gespielt hat. Zum neuen Text, den das Institut für Auslandsbeziehungen (Stuttgart) für abdruckenswert hielt, nur folgende Bemerkungen:

Fröhler tut 2004 so, als sei es darum gegangen, die Einheit der Rechtschreibung in den deutschsprachigen Staaten herzustellen. Alle Fachleute sind sich einig, daß die Einheitlichkeit schon vor 100 Jahren hergestellt war und es jetzt allenfalls noch um eine Vereinfachung gehe. Und nach Fröhler ist der ärgerliche Unterschied zwischen placieren und plazieren endlich dadurch beseitigt worden, daß man platzieren vorschreibt.
Aber auch in Deutschland scheint vor der Reform ein „Chaos“ geherrscht zu haben. Die deutschen Kultusminister werden mit Erstaunen ein Argument zur Kenntnis nehmen, das ihnen selbst noch nie eingefallen ist:
„Die Schulnoten im Fach Deutsch können in Deutschland erst seit der Reform nach einheitlichen Maßstäben erteilt werden. Denn vorher war so manches in dem einen Bundesland falsch, das in dem anderen richtig war. Deutschland benötigte daher die Reform – dringender, als es in Österreich oder der Schweiz der Fall war.“
Fröhler, der selbst eine vernichtende Kritik der Reform geliefert hat – was ihn nicht hindert, mit Fortbildungsveranstaltungen zu eben dieser Reform Geld zu verdienen –, stellt die abenteuerliche These auf: „Die gemeinsame Verständigungsbasis im deutschen Sprachraum wurde für die Zukunft gesichert. Das sollten all jene, welche die Reform bemäkeln, in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Es wird sie milder stimmen.“ Verlogener geht es nicht.




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Th. Ickler


eingetragen von Fritz Koch am 08.12.2004 um 22.42

Neunzehnhundert hat weniger Silben als tausendneunhundert,
zweitausend hat weniger Silben als zwanzighundert,
zweitausendhundert hat weniger Silben als einundzwanzighundert,
erst zweitausendzweihundert hat so viele Silben wie zweiundzwanzighundert.


eingetragen von Bernhard Schühly am 08.12.2004 um 19.03

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Scheuermann
Warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, vom Jahr "Zwanzighundertvier" zu sprechen? (Wobei "Tausendneunhundertvier" ebenso ausgefallen erscheint.)

Wird das Jahr 2124 wieder "Einundzwanzighundertvierundzwanzig" heißen?

Ich glaube, das ist recht einfach zu erklären:
Es läßt sich wohl auf das Phänomen der "Wortökonomie" zurückführen, das nämlich schon immer kürzere, einfachere und flüssiger auszusprechende Ausdrücke in der Umgangssprache bevorzugt worden sind und damit letztlich die anderen Synonyme verdrängten - was natürlich selten System hatte. Man zählt ja auch das Jahr "Tausendvier", und nicht "Zehnhundertvier". Trotzdem geht es dann mit den Bildungen "Elfhundertvier" bis "Neunzehnhundertvier" weiter, weil man die ersten 20 Zahlen so kurz ausdrücken kann: Wenn man nämlich wirklich konsequent sein wollte, müßte statt "neunzehn" "neunundeinzig" sagen. Wäre man diese Bildung - im Ihrem konkreten Beispiel das Jahr "Neunundeinzighundertvier" schon lange gewohnt gewesen, würde die Umstellung auf "Einundzwanzighundertvier" kein Problem. Hier ergäbe sich aber die Frage, ob man - gesetzt den Fall man hätte das kurze Wort "neunzehn" nicht gehabt - nicht doch lieber "Tausendneunhundertvier" verwendet hätte. Was man im 22. Jahr verwendet, werden wir sehen...vielleicht
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Bernhard Schühly


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 08.12.2004 um 14.32

Warum kommt eigentlich niemand auf die Idee, vom Jahr "Zwanzighundertvier" zu sprechen? (Wobei "Tausendneunhundertvier" ebenso ausgefallen erscheint.)

Wird das Jahr 2124 wieder "Einundzwanzighundertvierundzwanzig" heißen?
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von margel am 27.11.2004 um 22.28

Wolfgang Sauer in seiner wöchentlichen Kolumne "Worte&Wörter": "Gastronomie" hält Jürgen für fast so abschreckend wie Fremdenzimmer, zurecht.- Schnee von Vorgestern (?)


eingetragen von Theodor Ickler am 26.11.2004 um 08.40

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. 3. Aufl. 2004. Köln: Kiepenheuer und Witsch
Das Beste ist der Titel, sonst die gewohnte Mischung aus Belehrung und Parodie, wie in Dutzenden von ähnlichen Werken seit über hundert Jahren („Sprachdummheiten“ usw.). Sogar die Beispiele sind großenteils dieselben: scheinbar/anscheinend, gewunken, teilweise Zunahme, das „Ultra-Perfekt“, brauchen ohne zu, Stundenkilometer usw. Der Verfasser nimmt den gewohnten normativen Standpunkt ein und stellt immer die „Regel“ (über deren Herkunft er sich keine Gedanken macht) höher als den tatsächlichen Gebrauch.
Sick macht sich mehrmals über die Rechtschreibreform lustig, hat seinen Text aber selbst in Reformschreibung abgefaßt. In besonderen grau unterlegten Abschnitten lehrt er ohne Vorbehalt die reformierten Regeln: zum Apostroph, zum ss/ß usw. Die Ergebenheit, mit er sich trotz Kritik und Witzelei den Reformregeln – natürlich in der überholten Fassung von 1996 – unterwirft, kommt besonders im Eintrag zu auseinander(setzen) zum Ausdruck (207). Wer hindert ihn denn daran, auf der wünschenswerten Unterscheidung zu bestehen?
S. 45 sehr konservativ-borniert über die Steigerungsformen zu weitreichend, und dann der Fehler meist befahrene Straße. Vgl. 227. Wer steigert denn viel versprechend zu mehr versprechend? Und wie schreibt man denn nun den Positiv, wenn die gesamthafte Steigerung Zusammenschreibung erfordert?
Zu dieses Jahres/diesen Jahres: „Dabei lässt die deutsche Grammatik hier keine zwei Möglichkeiten zu. Die Regel ist eindeutig.“ - Welche Grammatik, welche Regel?
„Man spricht ja auch nicht vom 'Zauber diesen Augenblick' oder vom 'Ende diesen Liedes', und ebenso wenig war Maria 'die Mutter diesen Kindes'.“ (92) Mit dieser willkürlich herangezogenen Analogie wird die eigentlich interessante Frage übergangen, warum Datumsangaben eben auch anders gebildet werden.
Es folgt eine überflüssige Deklinationstabelle zu dieser/diese/dieses. Wozu, wenn man doch außerhalb der Wendung diesen Jahres hier gar keinen „Fehler“ macht?
Den Plural Kaktusse will er nicht gelten lassen.
Den transitiven Gebrauch von handeln (Waren handeln) hält er für eine unglückliche Erfindung von Wirtschaftsjournalisten (85).
Der Anglizismus Sinn machen mißfällt ihm nicht nur, sondern Sick „beweist“ auch umständlich, warum eine solche Wortverbindung im Deutschen unmöglich ist – was dann freilich für das englische Vorbild ebenso zutreffen müßte, denn machen und make entsprechen ja einander. Und Freude machen, Dummheiten machen ...?
S. 94 ff. eine Belehrung über italienische Wortformen, aber Sick selbst schreibt einen Insalata mista.
Daß Verwaltunggebäude oder Essenmarke ohne Fugen-s schwerer auszusprechen seien, ist eine Selbsttäuschung des Verfassers.
In bass erstaunt glaubt Sick ein altes Wort für 'tief' zu erkennen, das noch in der Sprache der Musik (Bass) vorkomme: „Bass erstaunt heißt also zutiefst erstaunt.“ Warum schlägt er nicht nach, bevor er solche Thesen aufstellt?
Er schreibt ohne Bedenken Leid tun, Recht haben, auseinander setzen, deplatziert, es sei nahe liegend usw. Das „feine Ohr“ für die Sprache, das er sonst für sich beansprucht, scheint hier taub zu sein.
in der hoch exklusiven Kaffeebar (37).
noch mal (38). Dazu S. 220: „Genau wie 'erst mal' wird auch 'noch mal' in zwei Wörtern geschrieben, daran hat sich auch durch die Rechtschreibreform nichts geändert.“ (vgl. aber § 55 (4) des amtlichen Regeltextes, wo die Zusammenschreibung vorgeschrieben ist!)
das einzige (42)
zum zweiten (119)
fleischgeworden (129) (dies läßt erst der Duden 2004 wieder zu, wovon Sick noch nichts wissen konnte)
„Besonders hässlich ist es, Wörter auseinander zu reißen, die über ein so genanntes Fugen-s verfügen.“ (74) - ein besonders häßlicher Satz, nicht nur orthographisch: Fugen – verfügen (statt einfach haben) Dabei hat er selbst ein kritisches Kapitel über die krampfhafte Jagd nach Synonymen.
„Mit seinem 'Deutschen Wörterbuch' legte er (Jacob Grimm) den Grundstein für die Vereinheitlichung der deutschen Sprache.“ (91) Man lernt nie aus ...
Der Drang zum Höheren, zur „gepflegten Sprache“, verrät sich durch Schlüsselwörter wie indes, mitunter und eben jenes gestelzte verfügen.

Bei der Lektüre dieses stickigen Buches spürt man ein Bedürfnis nach frischer Luft.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 23.11.2004 um 10.07

Im Laufe der Jahre hat sich immer deutlicher gezeigt, daß die Schulbuchlobby der Schlüssel zur gegenwärtigen Rechtschreibverwirrung ist. Sie ist anscheinend weitaus mächtiger als die Wörterbuchverlage, auf die unser Mißtrauen sich ja lange konzentriert hat. Es liegt auf der Hand, daß die Schulbuchverlage mit ihrer Strategie der "massiven" Bearbeitung von Kultusministern und Ministerpräsidenten, womit sie sich ja vor ihren Mitgliedern selbst brüsten, erfolgreich waren. Frau Ahnen und Frau Wolff z. B. treten ganz unverhüllt als Interessenvertreter der Schulbuchverlage auf. Sogar die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat sich, in Pervertierung ihres eigentlichen Auftrages, die finanziellen Interessen der Verlage angelegen sein lassen. Dabei werden ihre eigenen Mitglieder von der Verbindung von Schulbuchverlagen und Kultusministern in die Zange genommen und erpreßt: entweder Zustimmung zur Textverhunzung oder Vertreibung aus den Lesebüchern!
Erstaunlich ist auch, daß zu der "Verbändeallianz" (O-Ton VdS laut FAZ) auch der Bundeselternrat und die Landeselternräte gehören, ja anscheinend sogar Schülervertretungen, obwohl es hier eine natürlich Gegnerschaft geben müßte, denn der VdS kämpft ja schon viel länger als für die Rechtschreibreform für die Abschaffung der Lernmittelfreiheit. Die Elternvertreter - Hennes, Hendricks usw. - auf ihre Seite gezogen zu habenist ein phantastischer Erfolg. Frau Hendricks brachte es ja fertig, an den damaligen KMK-Vorsitzenden Lemke eine Ergebenheitsbekundung zu schicken, die man nur mit Beschämung lesen kann.
Mir sind von vielen Seiten interessante Dokumente zugetragen worden, aber ich möchte hiermit fragen, ob noch etwas Verwertbares bekannt ist, was man zu einer Dokumentation über die Schulbuchlobby brauchen könnte. Geschäftsführer Baer liest hier zwar mit, aber von ihm erwarte ich keine besondere Unterstützung.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 17.10.2004 um 03.13


Im dritten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung (Ende 2001) wurde eine sonst unbekannte „Sprachwissenschaftlerin Lisa Walgenbach“ als Kronzeugin für die Vortrefflichkeit der Neuregelung und ihre problemlose Umsetzung ausgiebig zitiert. Wegen offenkundiger Lächerlichkeit eines solchen Aufgebots (anstelle seriöser Gutachten und empirischer Begleituntersuchungen, die eben niemals angestellt wurden) ist diese Quelle im vierten Bericht der Kommission nicht mehr zu finden.

Walgenbach, die offenbar ihren Lebensunterhalt mit Fortbildung in reformierter Orthographie verdient, führt auf ihrer Website auch ihre Klientel einschließlich des Rheinischen Merkur an. Außer einer Kurzfassung der neuen Regeln bietet sie einen, allerdings sachlich und orthographisch fehlerhaften, historischen Abriß mit reformpropagandistischen Zwischentönen.

Die Revision der Reform im Jahre 2004 ist noch nicht berücksichtigt, der Internet-Text ist seit Jahren unverändert. Es folgen einige Anmerkungen zu Walgenbachs Darstellung.

Walgenbach schreibt:

„Im neuen Regelwerk sind von ehedem 52 Kommaregeln noch acht wichtige verbindlich; die Anwendung der übrigen Kommaregeln wurde im Zuge der Orthografiereform freigestellt, keines der im alten Regelwerk festgeschriebenen Kommas jedoch verboten. Eine Kommaregel wurde hingegen neu eingeführt:“ (... Komma nach wörtlicher Rede)

Und in ihrem geschichtlichen Überblick:

„Das alte Regelwerk benötigte 212 Regeln, das neue kommt mit 112 aus. Von 52 Kommaregeln sind nur noch acht übergeordnete übrig geblieben, eine wurde neu eingeführt.“

Die Geschichte von der Reduzierung der Regeln ist auch jahrelang von den Kultusministerien verbreitet worden und hat ihre Wirkung auf Unwissende nicht verfehlt.
Zunächst ist schon die Zahl 212 falsch. Von den 212 Richtlinien (nicht „Regeln“!) des Duden beziehen sich 26 gar nicht auf orthographische Fragen, 6 sind Doppelanführungen (wegen der alphabetischen Anordnung), und weitere 9 werden ausdrücklich als bloße Zusammenfassung der Kommaregeln dargestellt. Es gibt also nur 171 numerierte orthographische Richtlinien und nicht 212. (Die falschen Zahlen stehen schon in den „Informationen“ der KMK vom 1.12.1995, gehören also wohl zu den Voraussetzungen, von denen die Kultusminister bei ihrem Reformbeschluß ausgingen.)
Im übrigen betrifft diese Zahl ebenso wie die Zahl 112 für das neue Regelwerk nur die Numerierung und nicht die wirkliche Anzahl der Regeln, die im Falle der Neuregelung nach einer Untersuchung von Werner H. Veith weit über 1000 liegt. Renate Baudusch, die Mitschöpferin der neuen Rechtschreibung, kommt allein für die Zeichensetzung auf 227 Regeln, der ehemalige Dudenautor Dieter Berger auf 338.
Ebenso unsinnig ist die Behauptung, 52 Kommaregeln seien auf neun bzw. acht reduziert worden. In Wirklichkeit haben die neuen Kommaregeln den gleichen Umfang wie die alten (rund 10 DIN-A4-Seiten), nur die Numerierung ist geändert worden.
In dem Sprachratgeber „Wahrig: Fehlerfreies und gutes Deutsch“ (Gütersloh 2003) umfaßt die Rechtschreibung 202 Seiten, davon gut 56 Seiten für die Kommasetzung!
Aufschlußreich ist ein internes Papier der Dudenredaktion:
„Neuregelung: Das amtliche Regelwerk ist in 112 Hauptregeln gegliedert.
Umsetzung: Die Dudenrichtlinien werden auch künftig Hinweise enthalten, die über den rein orthographischen Bereich hinausgehen. Durch Neustrukturierung und vor allem durch Zusammenfassung einzelner Regeln und Regelbereiche wird die Zahl der Richtlinien von 212 auf 136 gesenkt.
Begründung: Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212 mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“
Die Dudenredaktion bekannte sich also zur Mitwirkung an einem Täuschungsmanöver. Erst mit der zweiten Auflage im Jahre 2000 wird die Camouflage aufgegeben; es gibt wieder 169 Rechtschreibrichtlinien, so auch in der Neubearbeitung 2004.
Gern zitiert wird – auch von Kultusministerien – Walgenbachs Aussage, die Reform sei ein Reförmchen (Rheinischer Merkur 7.1.2000). Hier der ensprechende Absatz aus dem geschichtlichen Abriß:
„Setzt man für die geschriebene Sprache einen standardsprachlichen Grundwortschatz von 15.000 Wörtern an, so ändern im Zuge der Reform 600 ihre Schreibweise. Anders ausgedrückt: Statistisch gesehen ändern sich 4 % einer Textseite, und lässt man die ss/ß-Regelung außer Acht sind es sogar nur 0,5 % - die Reform ist ein Reförmchen.“
Hier stimmt nun überhaupt nichts. Erstens sind von den 12.500 Wörtern des amtlichen Wörterverzeichnisses gut 1.030 mit einem Sternchen als verändert markiert, das sind rund 8 Prozent – ohne Silbentrennung! (Mit Silbentrennung wären es etwa 18 Prozent.) Aber selbst nach diesen erheblich höheren Zahlen ergibt sich naturgemäß nicht, daß 4 oder gar 8 Prozent eines Textes, also jedes 25. laufende Wort, anders geschrieben werden. Im übrigen bleibt unerfindlich, warum man ausgerechnet die neue s-Schreibung „außer Acht“ lassen sollte, stellt sie doch das Aushängeschild der Reform dar und das Symbol dafür, daß man die Reform nicht grundsätzlich ablehnt (wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit Recht feststellte).

Zur Worttrennung:

„Im Deutschen lautet die Grundregel für die Worttrennung am Zeilenende:
Man trennt Wörter am Zeilenende so, wie sie sich bei langsamem Vorlesen in Silben zerlegen lassen.
Die Rechtschreibreform sucht die Worttrennung durch konsequente Anwendung dieser Grundregel zu vereinheitlichen.“
Walgenbach weist nicht darauf hin, daß schon wenige Zeilen später ein Verstoß gegen die Grundregel vorliegt: die Nichttrennung von ck. Irreführenderweise, aber ganz im Sinne der Kultusminister, stellt sie diese Neuerung sogar als besonders konsequent dar:
„Bei der Worttrennung wird ck nicht mehr durch kk ersetzt, sondern bleibt als Konsonantenverbindung erhalten und kommt geschlossen auf die neue Zeile (wie bereits bei ch, sch, ph, rh, sh, th)“
Aber die Analogie ist falsch, denn anders als die angeführten Di- und Trigraphen steht ck als Ligatur für ein Silbengelenk, wie es auch in § 3 der amtlichen Neuregelung ausdrücklich festgehalten wird.
Die Silbentrennung bei Fremdwörtern wir kommentarlos vorgeführt, ihre wirklichen Folgen gehen aus folgendem Exkurs hervor:

Silbentrennung als Bildungsfrage

Bemerkungen im Anschluß an die 23. Auflage des Duden (August 2004)


Die Silbentrennung hat sich infolge der Rechtschreibreform vom wahrhaft „marginalen“ Bereich zum zentralen Problem entwickelt. (Das sagt auch der stellvertretende Leiter der Dudenredaktion, Werner Scholze-Stubenrecht: Sprachwissenschaft 2/2000.) Die Konkurrenten auf dem Wörterbuchmarkt wetteiferten jahrelang darin, wer die meisten Trennstellen gemäß den neuen Regeln verzeichnet: a-brupt, as-tigmatisch, Fide-ikommiss, Hämog-lobin, Pog-rom. Nach dem Sinn der Silbentrennung wurde gar nicht mehr gefragt. Auf diesem Weg in die Barbarei geht der neue Duden – in stetem Kontakt mit der Zwischenstaatlichen Kommission – weiter als je zuvor. Dabei stützt er sich auf eine unveröffentlichte, 60 Seiten umfassende Liste von Trennstellen, die zwischen den Wörterbuchredaktionen und der Kommission vereinbart worden ist (Scholze-Stubenrecht ebd.).

Die neue Abtrennbarkeit einzelner Vokalbuchstaben ist jetzt in allen Wörterbüchern weitestgehend berücksichtigt: Bilderbuche-he, Gottesa-cker, Buche-cker usw. Das amtliche Regelwerk empfiehlt zwar, irreführende Trennungen zu vermeiden, und gibt traditionelle Beispiele wie Altbauer-haltung, Sprecher-ziehung, Seeu-fer an. Die Regel K 168 des neuen Duden interpretiert diese Empfehlung (die aber keinen Regelstatus hat): „Trennungen, die den Leseablauf stören oder den Wortsinn entstellen, sollte man vermeiden. Sie sind jedoch nicht falsch.“ Dazu werden u. a. die bekannten, einigermaßen harmlosen Spargel-der angeführt. Aber die Abtrennung einzelner Buchstaben stört den Leseablauf immer, und genau dies war der Grund, warum man bisher davon Abstand genommen hatte. Was soll es da noch heißen, sie sei „nicht falsch“? Eine merkwürdige Auffassung vom Rechtschreiben und von der Sanktionierung durch orthographische Regelwerke. Vernünftigerweise machen seriöse Texte keinen Gebrauch von der Abtrennung einzelner Buchstaben; nur an den Schulen wird sie gelehrt:

„Alt: Aber, Atem, Eber, eben, Osten: Buchstaben so ganz allein, liebes Kind das darf nicht sein. Neu: A-ber, E-ber, e-ben, O-fen, U-fer: Vokale stehen auch allein, das finden sie besonders fein.“ („Sprachbuch 5“, Bayerischer Schulbuchverlag 1996)

Tausende von Fremdwörtern sind so getrennt, daß man von einer systematischen Verdummung sprechen kann: A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph (aber nur: apo-plektisch, apo-tropäisch, apo-kryph), au cont-raire, Herost-rat, Kont-rition, Legas-thenie, Manusk-ript, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong, Parap-luie, Pseu-depigrafen ...

Das Paradoxe der neuen Silbentrennung besteht in der Annahme, daß jemand Fremd- und Fachwörter zwar gebrauchen, aber zugleich nicht wissen soll, wie sie aufgebaut sind: Me-tempsychose, A-bort, Prog-nose, A-norexia nervosa. Dennoch ist nicht einmal die mechanische Abtrennung des letzten von mehreren Konsonantenbuchstaben konsequent durchgeführt: Att-rappe, Att-ribut sind weiterhin nicht erlaubt, obwohl ihre Zusammensetzung nicht leichter zu durchschauen ist als viele andere (Ap-proach – nur so zulässig). Den haarsträubenden Trennungen Kon-s-k-ription, De-s-k-ription steht Pro-s-kription gegenüber.

Es ist schon früh gezeigt worden, daß die scheinbare Vereinfachung in Wirklichkeit zu neuen Problemen führt. Wer Tonsil-lektomie, Hyste-rektomie, Mas-tektomie; A-narchie, Hie-rarchie, Oli-garchie; Res-pekt, Epis-kop usw. trennt, wie es der Duden vorsieht, gibt sich erstens als Stümper zu erkennen und läßt sich zweitens die Einsicht in den wahren Aufbau der Fremdwörter entgehen. Auf lange Sicht wäre es ökonomischer, sich die Bestandteile -ektomie, -archie, -spekt, -skop usw. anzueignen, um sie in entsprechenden Wortreihen wiederzuerkennen und anzuwenden. Mit Lektomie, Rektomie, Tektomie, Narchie und Rarchie kann man nichts anfangen. Indem das Wörterbuch solchen Unsinn gleichberechtigt neben die morphologisch korrekten Trennungen stellt, tut es dem ratsuchenden Benutzer keinen Gefallen, sondern verweigert ihm die Auskunft, um derentwillen er überhaupt nachschlägt.

Die Trennungen Bi-omüll, Ge-odreieck, Kore-akrieg, Malari-aerreger, malari-akrank, Radi-oapparat, Sepi-azeichnung, Stere-olautsprecher, The-okrat, Vide-ofilm, sogar Vide-o-on-Demand usw. sind immer noch nicht korrigiert, entsprechen also wohl der Auffassung der Zwischenstaatlichen Kommission, die den reformierten Duden ausdrücklich als zuverlässig bezeichnet. Da einzelne Vokale zwar am Anfang (o-der), aber nicht am Ende eines Wortes (Kore-a) abgetrennt werden, setzen die Reformer mit solchen Trennungen voraus, daß die betreffenden Wörter nicht einmal als Zusammensetzungen erkannt werden – eine absurde Annahme.
Für die Inkonsequenzen bei der Silbentrennung seien noch einige wenige Beispiele angeführt. Es kann jetzt getrennt werden A-nämie, A-neurysma, a-nonym, A-nurie usw., aber weiterhin nur An-algesie, An-alphabet. In entgegengesetzter Richtung ist An-omie verhunzt. Es wird getrennt trip-loid, aber nur tri-klin. Bei Ext-rawunsch ist eine neue Trennstelle vorgesehen, bei Extrazimmer nicht. Das allgemein bekannte und im Deutschen produktive Fremdsuffix ex- wird mutwillig zerrissen: e-xulzerieren, E-xuvie, E-xarch; nur bei Ex-artikulation gibt es eine Ausnahme. Ext-ruder ist in der anderen Richtung verunklart. En-anthem ist sprachrichtig getrennt, E-xanthem nicht. Vier Trennstellen statt einer einzigen hat jetzt E-x-e-d-ra. Welchem „Wenigschreiber“ soll das nützen?

Dudenchef Matthias Wermke schrieb kürzlich, die Reform nütze „denjenigen, die sich mit ihren
Bewerbungsschreiben nicht blamieren wollen“ (Südwestpresse vom 14.08.2004). Deshalb sollen Trennungen wie A-bitur, A-blativ, A-bort usw. „zulässig“ sein. Nun, wer zum Vorstellungsgespräch in Freizeitkleidung erscheint, tut ebenfalls nichts Verbotenes, wird sich aber, wenn er dann nicht genommen wird, kaum darauf berufen können. Auch wenn es amtlich „erlaubt“ ist, seine Unwissenheit zur Schau zu stellen, wird man sich damit blamieren.

Die neuen Trennmöglichkeiten, nach denen niemand gerufen hat, wirken nicht nur ungebildet, sondern sie verwirklichen ein grundsätzlich bildungsfeindliches Programm. Wer es nicht mehr aus eigener Erinnerung kennt, kann sich in der Dokumentation zum GEW-Kongreß „vernünftiger schreiben“ (Frankfurt 1973; Fischer-Taschenbuch von Drewitz/Reuter 1974) informieren.

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Zeichensetzung

Die wichtige und ungemein schwierige neue Kommaregel, wonach auch nichterweiterte Infinitive nach einem Korrelat obligatorisch mit Komma abzutrennen sind (Er hatte es satt, zu lügen), wird unterschlagen. Die gerühmte Weglaßbarkeit der Kommas in vielen anderen Fällen ist sogar von maßgeblichen Reformern als Mißgriff erkannt worden. Die Schulbuchverlage haben Kommas zunächst mit großem Eifer getilgt, inzwischen werden sie aber weitgehend wiederhergestellt. Das ist von der „Vereinfachung“, die Walgenbach rühmt, übriggeblieben.

Laut-Buchstaben-Zuordnung

Das „Stammprinzip“ ist nur auf einige wenige Wörter ausgeweitet worden (Gämse, Stängel, behände), zum Teil in bewußtem Verstoß gegen die sprachgeschichtliche Wahrheit (Volksetymologien wie einbläuen, Quäntchen). Hunderte von Wörtern hätten ebenso verändert werden können (käntern von Kante, Spängler von Spange usw.). Dieser Teil der Neuregelung geht ausschließlich auf ein Steckenpferd des Reformers Augst zurück, andere Reformer wie Nerius lehnen ihn ab, konnten sich aber nicht durchsetzen. Walgenbach selbst spricht zutreffend von „Einzelfällen“ bei der Umlautschreibung, wobei unklar bleibt, ob sie das Wesen der Stammschreibung erfaßt hat.

Daß Zierat nichts mit Rat zu tun hat, erwähnt die „Sprachwissenschaftlerin“ Walgenbach nicht einmal.

„Die Orthografiereform sucht den mit einer Vielzahl von Sonderregelungen belasteten Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung dadurch überschaubar zu machen, dass sie von der Getrenntschreibung als dem Normalfall ausgeht.“
Auch die herkömmliche Rechtschreibung ging von der Getrenntschreibung (und Kleinschreibung, s. u.) als Normalfall aus. Die wesentliche Änderung besteht darin, daß selbst klare Fälle von Zusammensetzung, also wirkliche Wörter, sprachwidrig aueinandergerissen werden. Dieser Fehler ist durch die Revision 2004 teilweise rückgängig gemacht, jedoch durchweg durch Wiederzulassung der grammatisch richtigen Schreibweise als Variante neben der falschen.
Walgenbach übergeht diese Problematik die das ganze Gebäude der Reform ins Wanken gebracht hat, indem sie sich auf einige triviale Formen wie Rad fahren beschränkt.
Groß- und Kleinschreibung
Die Substantive Angst, Bange, Gram, Leid, Pleite und Schuld werden in Verbindung mit den Verben sein, bleiben und werden kleingeschrieben, z. B. pleite sein, schuld sein, gram bleiben.
Natürlich werden nicht die Substantive, sondern die Adjektive klein geschrieben, genau wie bisher. Außerdem übergeht Walgenbach die skandalös falsche Vorschrift, auch Pleite gehen usw. zu schreiben, obwohl auch hier nachweislich Adjektive vorliegen. Dasselbe gilt für leid tun und recht haben (neu: so Leid es mir tut; wie Recht er hat usw. – krasse Grammatikfehler, die aber auch in der Revision von 2004 nur teilweise durch die richtigeren Schreibweisen wenigstens ergänzt worden sind). Schon für Konrad Duden war klar:
„Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat.“ (Die Zukunftsorthographie (usw.). Leipzig 1876, S. 70)
Den heutigen Reformern sind solche Selbstverständlichkeiten verlorengegangen; aber gerade daran scheitert die Rechtschreibreform.



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Th. Ickler


eingetragen von Fritz Koch am 15.10.2004 um 18.21

ein wirkliches Problem oder Haarspalterei?

(Die DDR hat die "Spalterflagge" nie als Haarspalterei abgetan.)


eingetragen von Bernhard Schühly am 15.10.2004 um 17.14

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Fritz Koch
hier einige neue Namensvorschläge:

die neue Rechtschreibung: die Spalter-Rechtschreibung
die KMK: die Rechtschreibungsspalter
die zweigeteilte Rechtschreibung: die große Rechtschreib-Spaltung, das große Rechtschreib-Schisma

Es fehlt nur die immer wieder zur Rechtfertigung verwendete Rückfrage der „Willigen“:
„Das ist doch alles nur Haarspalterei!“
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Bernhard Schühly


eingetragen von Fritz Koch am 15.10.2004 um 16.45

ein Gesetz gegen Antipolitikerismus und gegen Antikultusministerismus, weil sich Antipolitikerismus und besonders Antikultusministerismus immer mehr ausbreiten und schon große Teile der Bevölkerung erfaßt haben?


eingetragen von Fritz Koch am 15.10.2004 um 13.39

hier einige neue Namensvorschläge:

die neue Rechtschreibung: die Spalter-Rechtschreibung
die KMK: die Rechtschreibungsspalter
die zweigeteilte Rechtschreibung: die große Rechtschreib-Spaltung, das große Rechtschreib-Schisma


eingetragen von Matthias Dräger am 15.10.2004 um 13.29

Mettlach (ddp). Als Mitglieder von deutscher Seite im Rat für deutsche Rechtschreibung sieht die Kultusministerkonferenz folgende Institutionen vor:

- Institut für deutsche Sprache (2 Sitze)
- Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (2 Sitze)
- Duden-Verlag (1 Sitz)
- Wissen Media Verlag/Wahrig-Wörterbuch (1 Sitz)
- Gesellschaft für deutsche Sprache (1 Sitz)
- Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (1 Sitz)
- Börsenverein des deutschen Buchhandels (1 Sitz)
- VdS Bildungsmedien (1 Sitz)
- Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistenunion (1 Sitz)
- Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (1 Sitz)
- Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) (1 Sitz)
- Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (1 Sitz)
- PEN-Zentrum Deutschland (1 Sitz)
- Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (1 Sitz)
- Symposium Deutschdidaktik (1 Sitz)
- Lehrerinnen- und Lehrerverbände in DGB und DBB (1 Sitz)


eingetragen von Theodor Ickler am 15.10.2004 um 13.24

Die Rechtschreibreform ist von überwiegend ziemlich alten Leuten entworfen worden. Als sie jung waren, wollten sie die Kleinschreibung einführen.

Gut gelungen ist es ihnen, den unwissenden Schülern einzureden, das sei nun ihre, die "moderne" Rechtschreibung.
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Th. Ickler


eingetragen von Bernhard Schühly am 13.10.2004 um 17.08

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Fritz Koch
Der Test geht nicht darum, ob Deutschland reformierbar ist, sondern, ob die Jüngeren den Älteren ihren Willen aufzwingen können.

Die Sache reicht sogar noch weiter:
Es geht nämlich darum, ob man (hintenherum) über die leichte Manipulierbarkeit der Jüngeren auch die – jetzt starrsinnig genannte – Bedachtsamkeit der Älteren brechen kann. Im Prinzip genau so, wie das mithilfe der Werbung in der Konsumgüterindustrie schon seit langem klappt. Der einzige Unterschied: Der „Wille“ der Jüngeren beruht nicht auf einem eigenen Bedürfnis oder dem Druck in einer Gruppe (um „in“ oder „mit dabei“ zu sein), sondern wird staatlich aufgezwungen. Auf dem Freien Markt hätten sich sonst bereits, wie bei den Alcopops auch, fingerzeigend die Verbraucherschützer zu Wort gemeldet.
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Bernhard Schühly


eingetragen von Fritz Koch am 13.10.2004 um 16.38

ist die Rechtschreibreform ein Versuch, die kleine Minderheit der Jüngeren, hier die besonders kleine Minderheit der Schüler, über die große Mehrheit der Älteren bestimmen zu lassen.
Grund: Die Angst vor der demographischen Entwicklung zu noch größerer Mehrheit der Älteren. Der Test geht nicht darum, ob Deutschland reformierbar ist, sondern, ob die Jüngeren den Älteren ihren Willen aufzwingen können.
Beweise: die dauernden Beschimpfungen der Älteren, um sie zu demoralisieren.
Was tun?
Den Markt spalten: Ältere weigern sich öffentlich, Druck-Erzegnisse in "Schülerrechtschreibung" zu kaufen. Mal sehen, ob die geringe Kaufkraft der Schüler die große Kaufkraft der Älteren ausgleicht.
Die Rechtschreibreform als "Rechtschreib-Retroreform" beweisen und benennen, als "Zurückreform" oder "Rückwärtsreform" zur Schreibweise früherer Jahrhunderte, daß also die Älteren moderner schreiben als die Jüngeren.


eingetragen von Theodor Ickler am 13.10.2004 um 15.45

Der Rheinische Merkur wird, wie der Chefredakteur brieflich mitteilt, nicht zur klassischen Rechtschreibung zurückkehren. Er vertraut vielmehr, wie der SPIEGEL und die "Süddeutsche Zeitung", auf die Arbeitsergebnisse des "Rates". Daß diese Ergebnisse bereits feststehen und sogar schon in den letzten Duden eingearbeitet sind, ist den drei Redaktionen leider nicht nahezubringen.

Gewiß, alle drei hatten kürzlich etwas anderes angekündigt. Ist das heut zu Tage und hier zu Lande von Belang? Naive Frage! Man muß politisch denken ...
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Th. Ickler


eingetragen von Matthias Dräger am 12.10.2004 um 09.32

Bürgerinitiativen auf solche Schach- und Winkelzüge der "Reformer" einmal hereinfallen können, ist verständlich - schließlich sitzen in den Arbeitsstäben der Ministerien auch geschulte Strategen, die in den Umgang mit öffentlichen Initiativen eingewiesen wurden. Aber daß auch ein sich ansonsten so intelektuell gebendes Blatt wie der Spiegel auf solche Spiegelfechtereien hereinfällt, das ist, wenn man einmal an die Vergangenheit dieses Hauses in den 60iger Jahren denkt, einfach nur noch peinlich.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Dümmste im ganzen Land?

Wer die Einrichtung eines "Rats für deutsche Rechtschreibung" durch die KMK oder gar einen "Beschluß" der MPK zur Einführung der Rechtschreibreform zum Anlaß nimmt, von einer geplanten Umstellung wieder abzurücken, der hat entweder überhaupt nichts begriffen oder war - bestenfalls! - nie richtig entschlossen, eine Rückkehr zur bewährten Rechtschreibung zu vollziehen.

Aber seinen Kopf in die Kamera halten, sich auf Kosten der Reformer als unabhängiger Querdenker für einige Tage feiern lassen und interessant machen, das kann man.

Man kann sogar noch mehr: Den erfolgreichen Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform, im Einklang übrigens mit der GESAMTEN (!) deutschen Presse, als "Fluch des Dräger-Gesetzes" (so der "Spiegel" damals wörtlich) im Herbst 1998 in die Tonne treten, das kann man auch. Reife Leistung!

Menschenskinder...


eingetragen von Theodor Ickler am 12.10.2004 um 08.01

Nach dem Internationalen Arbeitskreis, der Zwischenstaatlichen Kommission und dem Beirat für deutsche Rechtschreibung ist der „Rat“ nun das vierte Gremium, das sich mit demselben Gegenstand befaßt: der Durchsetzung einer Rechtschreibreform gegen den Willen der Bevölkerung und fast aller Schriftsteller und Intellektuellen. Die Ministerpräsidenten und Kultusminister versprechen dem widerspenstigen Volk, daß dieses Gremium die Steine des Anstoßes beseitigen und eine allseits akzeptierbare Lösung der von ihnen selbst verursachten Krise finden werde. Was berechtigt zu solcher Erwartung?
„Als Mitglieder von deutscher Seite schlägt das KMK-Präsidium vor:
Institut für deutsche Sprache (2 Sitze)
Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (2 Sitze)
Duden-Verlag (1 Sitz)
Wissen Media Verlag/Bertelsmann-Wörterbuch (1 Sitz)
Gesellschaft für deutsche Sprache (1 Sitz)
Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (1 Sitz)
Börsenverein des deutschen Buchhandels (1 Sitz)
VdS Bildungsmedien (1 Sitz)
Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistenunion (1 Sitz)
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (1 Sitz)
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) (1 Sitz)
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (1 Sitz)
PEN-Zentrum Deutschland (1 Sitz)
Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (1 Sitz)
Symposium Deutschdidaktik (1 Sitz)
Lehrerinnen- und Lehrerverbände in DGB und DBB (1 Sitz)“

(Quelle: http://www.kmk.org 27.9.2004)


Hier ist zum Vergleich die Besetzung des bisherigen „Beirats“:

P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland
Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien
Deutscher Journalistenverband
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V.
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Börsenverein des Deutschen Buchhandels
VdS Bildungsmedien e.V.
Bundeselternrat
Deutscher Gewerkschaftsbund - Lehrerorganisationen
Deutscher Beamtenbund - Lehrerorganisationen
Deutsches Institut für Normung
Dudenredaktion
Bertelsmann-Lexikonverlag
Wahrig-Wörterbuchredaktion
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.

Der neue „Rat“ besteht, wie man sieht, im wesentlichen aus denselben Mitgliedern wie der bisherige „Beirat“ bzw. die Zwischenstaatliche Kommission. Ausgeschieden sind einige Vertreter, die auch bisher schon als mehr oder weniger stumme Gäste dabeisaßen wie das Deutsche Institut für Normung oder der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V. Den Bundeselternrat rechnet der VdS Bildungsmedien (d. h. der Verband der Schulbuchverleger) ohnehin zu seiner „Verbändeallianz“, vgl. meinen Beitrag „Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform“. Wahrig ist inzwischen eine Bertelsmann-Marke, so daß auf Renate Wahrig-Burfeind verzichtet werden kann.

Der „Beirat“, der nach den Wünschen der Zwischenstaatlichen Kommission zusammengestellt war, ist im Laufe der Jahre nur zweimal zu Arbeitssitzungen zusammengetreten, um den dritten und vierten Bericht durchzuwinken; einige Mitglieder sind gar nicht erst erschienen oder haben nur schriftliche Stellungnahmen eingereicht, die aber von dem Gremium nicht berücksichtigt wurden. Es gab – nach persönlicher Auskunft mehrerer Mitglieder – auch durchaus Streit, aber in der abschließenden Stellungnahme zu den Berichten ist davon keine Spur mehr zu entdecken.

Seinen Sitz hat der Rat am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, dem bisherigen Zentrum der Reformpropaganda. Er hat die Aufgabe, die Durchsetzung der Rechtschreibreform zu begleiten, und zwar so, wie sie von der Kultusministerkonferenz beschlossen ist. Dabei darf er auch kritische Bemerkungen äußern, die jedoch nichts am eigentlichen Auftrag ändern werden. Eine Rücknahme der Reform kommt ausdrücklich nicht in Betracht. Der Inhalt der im Fünf-Jahres-Rhythmus zu erstellenden Berichte ist also vollständig vorhersagbar.

Wer könnte bereit sein, in einem solchen Gremium mitzuwirken?

Den Kern bilden selbstverständlich die Schulbuch- und Wörterbuchverlage, also die wirtschaftlich an der weiteren Durchsetzung der Reform besonders Interessierten. Sie beherrschten schon den bisherigen „Beirat“, was andere Mitglieder in ängstlich-vertraulichen Mitteilungen beklagten.

Die Schulbuchverleger werden übrigens wiederum durch Michael Banse (Klett Leipzig) vertreten sein, der schon im bisherigen Beirat für deutsche Rechtschreibung saß, vgl. den Jahresbericht des VdS-Vorsitzenden von 2001: „Unser Verband wurde Ende 2000 in den Beirat zur Zwischenstaatlichen Kommission berufen, Herr Banse vertritt dort unsere Interessen und wacht darüber, dass uns allen nichts Unangenehmes passiert.“
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird mit zwei Sitzen geködert. Zwei Sitze bekommt aber auch das Institut für deutsche Sprache (IDS). Akademie und IDS vertreten offenbar die Sprachwissenschaft. Das IDS hat sich auf Betreiben seines damaligen Direktors Gerhard Stickel jahrelang als Speerspitze der Reform betätigt. Die Akademie kann sich ihrer Alibirolle schwer verweigern, weil sie ihr Pulver allzu früh verschossen hat; sie bot auf Betreiben ihres damals neuen Mitglieds Peter Eisenberg (Duden- und Schulbuchautor und zeitweise Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission) ungefragt einen Kompromiß an, als dies noch gar nicht nötig war. Während die großen Zeitungen des Springer-Verlags, die FAZ, die Schweizer Monatsblätter und andere Publikationen längst die beste Lösung, also die schlichte Rückkehr, vorführen, preist die Akademie immer noch ihre „zweitbeste“ an, einen derart faulen Kompromiß, daß die Zwischenstaatliche Kommission mit Recht jede Diskussion darüber ablehnte. Doch selbst wenn die Akademie ihre zaghafte Kritik vortragen sollte, wird sie durch das IDS sofort neutralisiert.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache, von ihrem despotischen Vorstand auf Reformkurs getrimmt, könnte durch ihren Vorsitzenden Hoberg vertreten werden, der bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saß. Vielleicht wird aber gerade deshalb die Geschäftsführerin Eichhoff-Cyrus seine Stelle einnehmen.

Kritische Alibistimmen sind für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und für das PEN-Zentrum Deutschland vorgesehen. Die Akademien haben sich bereits geschlossen für eine Rücknahme der Reform eingesetzt, werden aber problemlos überstimmt werden und brauchen an den Scheinverhandlungen eigentlich gar nicht erst teilzunehmen. Für das PEN-Zentrum gilt dasselbe; es hat sich in einer Resolution gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen, zuvor im „Beirat“ allerdings die Entscheidungen der schlagkräftigen Mehrheit mitgetragen.

Die Lehrerverbände im DGB könnten weiterhin durch Reinhard Mayer vertreten werden, über dessen private Geschäfte mit der Rechtschreibreform ich in meinem Buch „Rechtschreibreform in der Sackgasse“ berichtet habe. Den Beamtenbund vertritt weiterhin Ludwig Eckinger, der im Beirat saß und seine Übereinstimmung mit den Kultusministern oft genug zu Protokoll gegeben hat. Vom harmlosen, weitgehend unbekannten „Symposium Deutschdidaktik“, das seine gleichmütige Hinnahme der Rechtschreibreform erst kürzlich bestätigte (vgl. FAZ vom 12.10.2004), sind Einwände so wenig zu erwarten wie von den Lehrern im Germanistenverband (nur diese sind eingeladen, nicht die Hochschulgermanisten).

Die Regierungen der Schweiz und Österreichs werden dafür sorgen, daß ihre Vertreter, wie schon bisher, keine Schwierigkeiten machen. Wahrscheinlich sind ihre bisherigen Mitglieder aus der Zwischenstaatlichen Kommission wieder dabei – fast alle waren als Dudenautoren bzw. im Rahmen des Österreichischen Wörterbuchs auch im Wörterbuchgeschäft tätig.

Wirkliche Reformgegner sind im „Rat“ nicht vertreten, und dessen Auftrag, wie von KMK-Präsidentin Ahnen formuliert („auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks“), läßt den simplen Rückkehrgedanken auch gar nicht zu.

Der Zwischenstaatlichen Kommission war von den Politikern eine unerfüllbare Aufgabe zugewiesen worden: „Die Zwischenstaatliche Kommission, die im Zuge der Neuregelung eingerichtet wurde, sollte im Grunde die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenredaktion wahrgenommen wurde.“ (Beschlußvorlage der KMK für die Amtschefskommission vom 14.1.2004). Die Aufgabe der Dudenredaktion besteht bekanntlich in erster Linie darin, Wörterbücher zu machen. Der „Rat“ soll nun die Zwischenstaatliche Kommission ablösen und ersetzen, also wohl ebenfalls die Rolle der Dudenredaktion ausfüllen. Daß ein 36köpfiges ehrenamtlich tätiges Gremium, das ganz überwiegend aus lexikographischen Laien besteht, die deutschsprachige Welt mit einem brauchbaren Wörterbuch versehen könnte, ist eine abenteuerliche Vorstellung.

Der „Rat“ wird also genau das tun, was die KMK anstrebt: alle fünf Jahre über die „problemlose“ Durchsetzung und phänomenale Akzeptanz der Reformschreibung berichten.



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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 11.10.2004 um 04.40

Das erklärt sich wieder aus einer Meldung von 2001:

Günther Pflug Ehrenmitglied im AsKI-Vorstand

Im November vergangenen Jahres ist Prof. Dr. Günther Pflug - von 1985-1992 Vorsitzender des AsKI und von 1993-1999 stellvertretender Vorsitzender - aus dem Vorstand ausgeschieden. Sein Nachfolger, Dr. Barthold C. Witte, dankte ihm im Namen aller AsKI-Mitgliedsinstitute für das außerordentliche Engagement. Der Vorschlag, Günther Pflug für seine Verdienste die Ehrenmitgliedschaft im Vorstand des AsKI anzutragen, wurde von der Mitgliederversammlung in Berlin einstimmig angenommen.

(Pflug, der ehemalige Direktor der Deutschen Bibliothek und Vorsitzende der GfdS, verteidigte die Rechtschreibreform vor dem Bundesverfassungsgericht. Als ich mir seine verantwortungslosen Konfabulationen anhören mußte, wurde mir richtig schlecht. Über die unschönen Begleitumstände bei der GfdS berichte ich in "Regelungsgewalt". Pflug hatte mir schon einige Tage vor Karlsruhe angekündigt, wie das Verfahren ausgehen werde. Er wußte es von Bonner Politikern, und die hatten es von einem Bundesverfassungsrichter, dessen Name mir bekannt ist. Da kennt halt jeder jeden, und so kam es, wie es kommen mußte.)
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Th. Ickler


eingetragen von Bernhard Schühly am 10.10.2004 um 21.01

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Oktober 2004:

(...)
"Welche Rechtschreibung wir für dieses Informationsblatt einmal verwenden werden, muss der lebhaften Diskussion um die 'alte' oder die 'neue' überlassen bleiben.
Die 'Kulturberichte' sind der 'neuen' gefolgt, weil eines unserer Institute an der Entwicklung und Einführung beteiligt gewesen ist.
Interne Debatten hat es jedoch durchaus gegeben. Unser Wunsch gilt einer haltbaren, die deutschsprachigen Länder verbindlich umfassenden Schreibung."
(...)

So, so - weil einer mitmacht, rennen alle hinterher?
Wäre die umgekehrte Argumentation nicht plausibler: Weil die meisten nicht dabei beteiligt waren und deshalb auch keine Möglichkeit zur Einflußname hatten, bleibt's beim der alten Schreibung?
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Bernhard Schühly


eingetragen von Theodor Ickler am 10.10.2004 um 04.29

Oktober 2004:

Die "Kulturberichte" des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute (ASKI) erscheinen künftig in schlichterer Form, weil das Geld von der Bundesregierung ausbleibt. Dabei macht der Vorsitzende sich im letzten Editorial auch Gedanken über die Rechtschreibung:

"Welche Rechtschreibung wir für dieses Informationsblatt einmal verwenden werden, muss der lebhaften Diskussion um die 'alte' oder die 'neue' überlassen bleiben. Die 'Kulturberichte' sind der 'neuen' gefolgt, weil eines unserer Institute an der Entwicklung und Einführung beteiligt gewesen ist. Interne Debatten hat es jedoch durchaus gegeben. Unser Wunsch gilt einer haltbaren, die deutschsprachigen Länder verbindlich umfassenden Schreibung."

(Bei dem Institut handelt es sich um die Gesellschaft für deutsche Sprache, deren Vorsitzende Pflug und dann Hoberg ihren Reformkurs durchgesetzt haben. Die ebenfalls vertretene Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat sich gefügt.)


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Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 06.10.2004 um 12.48

Durch die Zusammensetzung wird wohl auch ausgedrückt, daß "voll" nicht im wörtlichen Sinne verstanden wird. Der Mund oder die Hand sind nicht wirklich "voll". Eine Handvoll Reis bedeutet also "eine Hand" Reis - nur sagt man es eben nicht so. Der Fußbreit ist nicht exakt so breit wie ein Fuß (dagegen exakt: einen Meter breit).


eingetragen von margel am 05.10.2004 um 18.24

Bleiben wir bei der Handvoll im engeren Sinne, also bei der, wenn auch nicht exakten, Maßeinheit. Eine Handvoll Reis, Sand usw. sind doch gut und von verschiedenen Probanden annähernd übereinstimmend vorstellbar. Daneben gibt es den metaphorischen Gebrauch: Es waren (war) nur eine Handvoll Zuhörer da. Eine Handvoll "Experten" haben (hat) uns die Rechtschreibreform beschert. - Ein Glas ist auch erst dann exakt, wenn wir den ml-Inhalt kennen, z.B. beim Bierglas. In diesem Zusammenhang eine interessante Beobachtung: Die normale Glasgröße für alkoholische Getränke ist (zufällig?) so bemessen, daß ein "Glas" ca. 10 ml reinen Alkohlol enthält. Z.B. 0,33 L Bier, 25 cl Schnaps, 1 dl Wein. Darum genügt es auch zur ersten Beurteilung eines Alkoholisierten, nach der Anzahl der konsumierten Glas zu fragen.


eingetragen von Fritz Koch am 05.10.2004 um 17.09

ohne den Zusatz "voll" beschrieben werden: eine Fuhre Steine, ein Faß Teer, ein Eimer Wasser, eine Kanne Tee, ein Glas Marmelade, eine Tasse Kaffee, ein Löffel Honig usw.
Weil aber die Hand selbst kein Behältnis ist, muß das aus einer Hand gebildete Behältnis "eine Handvoll" heißen.


eingetragen von Bernhard Schühly am 05.10.2004 um 17.05

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von margel
Anzumerken wäre noch, daß zwar die Handvoll eine Maßeinheit ist, nicht aber das Glas voll ("Glasvoll"). Auch Walther bestellt bestimmt ein Glas Bier oder, wie üblich, einfach ein Bier, aber niemals ein Glas voll Bier.
Auch umgekehrt: Es gibt das Glas auch "halbvoll", aber nur "eine halbe Handvoll".
Das "Glas" ist - auch wenn der Hörer nicht weiß, wie groß - eine exakte Maßeinheit, eine "Handvoll" dagegen ein Schätzwert.
Deshalb kann ich das "Glas" eben nur im Zusammenhang mit Flüssigkeiten (allenfalls feines Schüttgut wie z.B. Reis) verwenden, die "Handvoll" praktisch überall dort, wo ich "nicht besonders viel" sagen will. Ich kann damit sogar Gegenstände oder Wesen in ihrer Menge "messen", die garnicht in eine Hand hineinpassen. Geht das mit einem Glas???
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Bernhard Schühly


eingetragen von margel am 05.10.2004 um 16.32

Anzumerken wäre noch, daß zwar die Handvoll eine Maßeinheit ist, nicht aber das Glas voll ("Glasvoll"). Auch Walther bestellt bestimmt ein Glas Bier oder, wie üblich, einfach ein Bier, aber niemals ein Glas voll Bier.


eingetragen von Theodor Ickler am 05.10.2004 um 11.01

Zufällig stoße ich in der taz Nr. 7446 vom 27.8.2004 auf die Dudenbesprechung von Rudolf Walther. Ich gebe sie noch einmal wieder und füge einige Anmerkungen hinzu:

Bewährte Änderungen

Ende des Glaubenskriegs um die Rechtschreibreform? Morgen erscheint die neue Auflage des
Duden

Morgen - und mitten in der Rechtschreibdebatte - kommt die neue, 23. Auflage des Duden in den Handel. Die äußeren Daten sind beeindruckend: Das Wörterbuch enthält 125.000 Stichwörter (1880 waren es 29.000) mit Angaben zu Wortbedeutung, Worttrennung, Grammatik, Etymologie und Aussprache. Allein 5.000 Wörter wurden neu aufgenommen. Dazu gehören "Alcopops", "Schurkenstaat" und "Ich-AG" ebenso wie "Roadmap", "Riester-Rente" und "Zentralabitur". Wie in der 22. Auflage werden neue Schreibungen und Regeln rot hervorgehoben und kitzlige Fälle in Informationskästen erläutert. Insgesamt wirkt das Buch, dessen Layout mit einem Preis ausgezeichnet wurde, nicht nur gediegen - es ist auch benutzerfreundlich.

Die Duden-Redaktion unter Matthias Wermke hofft, dass der Glaubenskrieg, den einige Linguisten und Zeitungen seit Jahren gegen die Rechtschreibreform führen, nun beigelegt wird. Die Redaktion trug das ihre dazu bei, denn sie folgte der Kritik im einzigen Punkt, der zum Teil berechtigt war: Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adjektiven und Verben ("wohl versorgt", "wohl geordnet") lässt sie nun auch die alte Schreibweise wieder zu ("wohlversorgt", "wohlgeordnet"). Damit ist für die Erhaltung von sprachlichen Nuancen ebenso gesorgt wie mit der Regelung von "blaurot" für ein bläuliches Rot und "blau-rot" für ein Hemd mit den Farben Blau und Rot.

Die zänkischen Aufgeregtheiten (zuletzt SZ von gestern) um "Leid tun"/"leidtun" bzw. "sozial
verträglich"/"sozialverträglich" haben sich erledigt - beide Varianten sind zulässig. Dass das "schöne Wort ,eine Handvoll'" ersetzt wird durch "eine Hand voll", darf Peter von Matt bedauern, aber vom "Wüten" der Reformer zeugt es gerade nicht. Man musste immer schon "ein Glas voll" schreiben, denn "ein Glasvoll" war nie korrekt. Hier wurde also nur Gleiches - Hand und Glas als Mengenmaß - gleich geregelt. Da wurde ein Irrtum revidiert. Aber wer hierzulande Fehler, gar eigene, korrigiert, provoziert die Rhetorik des "Wie lange noch"-Journalismus und verfällt dem Verdikt, ein "einfältiges Spiel mit Irrtum und Revision" (FAZ 26. 7. 2000) oder eine Art "Echternacher Springprozession" (FAZ von gestern) zu betreiben.

Auch in der neuen Ausgabe gibt es Inkohärentes. Gröberes und alles, was sich nicht bewährt, wird man begradigen. So steht unter "fach" nur die Schreibung "4fach", obwohl nach "Kennziffer 30" "8fach" und "8-fach" erlaubt sind. Auf das Stichwort "Exsudat" (Absonderung) folgt ein Kasten, der darauf hinweist, dass das Wort "Ekstase" nicht hier erscheint, weil das aus dem Griechischen stammende Wort nicht mit "Ex" anfängt. Das ist hinreißend benutzerfreundlich. Warum aber soll man das Partizip "pizzicato" italienisch und das Substantiv "Pizzikato" deutsch schreiben? Warum nicht gleich "Pitza" statt "Pizza", wenn schon "Spagetti" erlaubt wird neben "Spaghetti".

Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. Ersatzweise stellte man die Reform deshalb in die Tradition eines nationalsozialistischen
Sprachreformvorhabens, das jedoch erklärterweise "nichts spezifisch Nationalsozialistisches" enthielt. Bleibt ja immer etwas hängen. Weil das nicht genügte, fand man die Buhmänner bei den 68ern und der "emanzipatorischen Pädagogik". Half auch nicht weiter. Zuletzt blieb den Biedermännern nur noch die Wilhelm-Tell-Pose, mit der sie die Reformer beschuldigten, sie würden einen "Geßlerhut" (Theodor Ickler) in die Landschaft stellen.

Die Rechtschreibkommission der Kultusminister und die Mannheimer Duden-Redaktion treten aber gerade nicht als autoritative Regulierer auf, sondern begründen die bescheidenen Anpassungen mit dem beobachteten Sprachwandel auf der Basis eines Textkorpus von über 500 Millionen Einheiten. Die von den Gegnern immer wieder beschworene "bewährte Schreibweise" ist, anders als die fundamentalistischen Sprachkrieger vorgaukeln, selbst im Fluss. Heute schreibt kein Mensch mehr "Photo" für "Foto". Die Grundlage der "bewährten Schreibweise" ist über weite Strecken nur ein Gemisch aus Traditionalismen, Marotten und reinen Irrationalismen ("Auto fahren", aber "radfahren"). Theodor Ickler, der Einpeitscher der Reformgegner, ist "überzeugter Behaviourist" und möchte dieses grobianische Erklärungsmodell für das Verhalten im Windschatten des halbdarwinistischen Sozialtechnologen B. F. Skinner auf die Sprachlerntheorie übertragen. Nicht zufällig beruhen Icklers einzige Argumente auf omlettplattem Utilitarismus - das "Bewährte" ist "üblich" und daher "zweckmäßig" -, fragt sich, warum, für wen und wozu.

Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat - für die Kinder.

taz Nr. 7446 vom 27.8.2004, Seite 16, 180 Zeilen (TAZ-Bericht), RUDOLF WALTHER

--

Anmerkungen vom Einpeitscher:

Skinners Hauptwerk ("Verbal Behavior") ist eine Sprachlerntheorie - die "Übertragung" seiner behavioristischen Psychologie auf die Sprachlerntheorie ist also nicht nötig. Das weiß Walther aber nicht, weil er Skinner gar nicht gelesen hat. (Daß ich mit dem Behaviorismus sympathisiere, hat Walther einem freundlichen Artikel der FAZ über mich entnommen; aus meinen orthographischen Schriften kann er es nicht haben.)

Keines meiner Argumente gegen die Rechtschreibreform (vgl. "Kritischer Kommentar ...", 2. Aufl., 300 Seiten!) läßt sich als utilitaristisch bezeichnen, es geht durchweg um Sprachwissenschaft. Insofern ist Walthers Behauptung "An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an" unverständlich. Es gibt viele weitere Schriften, die die Neuregelung linguistisch zerpflücken. Walther hat diese Arbeiten entweder nicht zur Kenntnis genommen, oder er unterschlägt sie absichtlich. Er nennt den Umgang der Dudenredaktion mit den neuen Regeln "pragmatisch", was allerdings nicht zutrifft; sie sind strikt dogmatisch und wollen das auch sein, damit die Kultusminister dem Duden nichts vorwerfen können. Aber gerade dies könnte man "utilitaristisch" nennen...

Walther weiß nicht, was es mit dem Wort "Handvoll" auf sich hat und warum "Glas voll" damit nicht zu vergleichen ist. Der "Irrtum", der nach seiner Meinung hier korrigiert wurde, bestand darin, daß Hunderte von Jahren lang die Menschen das Wort "Handvoll" benutzten und mundartlich vielfältig umgestalteten, ein klassischer und beweisbarer Fall von Univerbierung, während das beim "Glas" eben nicht eintrat.

Walther hat sich, wenn überhaupt, nur ganz oberflächlich mit dem neuen Duden beschäftigt. Die Besprechung referiert zur Hälfte nur die Duden-Werbung.

Nicht die Dudenredaktion, sondern die Zwischenstaatliche Kommission läßt Hunderte von "alten" Schreibweisen wieder zu, und zwar aufgrund von Beschlüssen, die im Juni von der KMK getroffen wurden.

Was die Bemerkung über "blaurot" und "blau-rot" eigentlich soll, ist nicht zu erkennen. Das Problem liegt ja in der verordneten Getrenntschreibung "bläulich rot" sowie in der Inkonsequenz der Zulassung von Bindestrich-Komposita mit Adjektiven auf "-ig" usw. als Erstglied. Das scheint Walther gar nicht erkannt zu haben.

Keine der Änderungen beruht auf einer Auswertung des genannten Korpus von 500 Mill. Wörtern; alle gehen auf Einsicht in die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Neuregelung zurück, doch bleiben sie auf halbem Wege stehen. Ein neues amtliches Regelwerk ist bisher nicht fertiggestellt worden, eine Wörterverzeichnis erst recht nicht.

Daß die Schreibweise stets "im Fluss" ist und daher nicht durch starre Einzelwortfestlegung fixiert werden kann, ist gerade mein Haupteinwand sowohl gegen den bisherigen Duden als auch gegen die Neuregelung, die auf demselben Irrweg weitergeht und Varianten nur aus Verlegenheit zuläßt ("wenn sich nicht entscheiden lässt ..."), niemals aber aufgrund von empirischer Erfassung des tatsächlichen Schreibbrauchs. Eine empirisch begründete Darstellung der Varianten findet man erstmals in meinem "Rechtschreibwörterbuch".

Die "Gediegenheit" der Dudenbände besteht darin, daß sie seit dem Übergang vom Leinenband zur billigen Pappe nach kurzer Zeit auseinanderfallen, was gerade beim intensiv genutzten Rechtschreibwörterbuch sehr unangenehm ist. Wie es zur Preiskrönung des windigen Gebildes gekommen ist, müßte einmal untersucht werden.

Ob Walther Reißmüller mit Reumann verwechselt?

Omlett ist sehr progressiv, aber immer noch nicht dudenkonform.

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 05.10.2004 um 11.01

Zufällig stoße ich in der taz Nr. 7446 vom 27.8.2004 auf die Dudenbesprechung von Rudolf Walther. Ich gebe sie noch einmal wieder und füge einige Anmerkungen hinzu:

Bewährte Änderungen

Ende des Glaubenskriegs um die Rechtschreibreform? Morgen erscheint die neue Auflage des
Duden

Morgen - und mitten in der Rechtschreibdebatte - kommt die neue, 23. Auflage des Duden in den Handel. Die äußeren Daten sind beeindruckend: Das Wörterbuch enthält 125.000 Stichwörter (1880 waren es 29.000) mit Angaben zu Wortbedeutung, Worttrennung, Grammatik, Etymologie und Aussprache. Allein 5.000 Wörter wurden neu aufgenommen. Dazu gehören "Alcopops", "Schurkenstaat" und "Ich-AG" ebenso wie "Roadmap", "Riester-Rente" und "Zentralabitur". Wie in der 22. Auflage werden neue Schreibungen und Regeln rot hervorgehoben und kitzlige Fälle in Informationskästen erläutert. Insgesamt wirkt das Buch, dessen Layout mit einem Preis ausgezeichnet wurde, nicht nur gediegen - es ist auch benutzerfreundlich.

Die Duden-Redaktion unter Matthias Wermke hofft, dass der Glaubenskrieg, den einige Linguisten und Zeitungen seit Jahren gegen die Rechtschreibreform führen, nun beigelegt wird. Die Redaktion trug das ihre dazu bei, denn sie folgte der Kritik im einzigen Punkt, der zum Teil berechtigt war: Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adjektiven und Verben ("wohl versorgt", "wohl geordnet") lässt sie nun auch die alte Schreibweise wieder zu ("wohlversorgt", "wohlgeordnet"). Damit ist für die Erhaltung von sprachlichen Nuancen ebenso gesorgt wie mit der Regelung von "blaurot" für ein bläuliches Rot und "blau-rot" für ein Hemd mit den Farben Blau und Rot.

Die zänkischen Aufgeregtheiten (zuletzt SZ von gestern) um "Leid tun"/"leidtun" bzw. "sozial
verträglich"/"sozialverträglich" haben sich erledigt - beide Varianten sind zulässig. Dass das "schöne Wort ,eine Handvoll'" ersetzt wird durch "eine Hand voll", darf Peter von Matt bedauern, aber vom "Wüten" der Reformer zeugt es gerade nicht. Man musste immer schon "ein Glas voll" schreiben, denn "ein Glasvoll" war nie korrekt. Hier wurde also nur Gleiches - Hand und Glas als Mengenmaß - gleich geregelt. Da wurde ein Irrtum revidiert. Aber wer hierzulande Fehler, gar eigene, korrigiert, provoziert die Rhetorik des "Wie lange noch"-Journalismus und verfällt dem Verdikt, ein "einfältiges Spiel mit Irrtum und Revision" (FAZ 26. 7. 2000) oder eine Art "Echternacher Springprozession" (FAZ von gestern) zu betreiben.

Auch in der neuen Ausgabe gibt es Inkohärentes. Gröberes und alles, was sich nicht bewährt, wird man begradigen. So steht unter "fach" nur die Schreibung "4fach", obwohl nach "Kennziffer 30" "8fach" und "8-fach" erlaubt sind. Auf das Stichwort "Exsudat" (Absonderung) folgt ein Kasten, der darauf hinweist, dass das Wort "Ekstase" nicht hier erscheint, weil das aus dem Griechischen stammende Wort nicht mit "Ex" anfängt. Das ist hinreißend benutzerfreundlich. Warum aber soll man das Partizip "pizzicato" italienisch und das Substantiv "Pizzikato" deutsch schreiben? Warum nicht gleich "Pitza" statt "Pizza", wenn schon "Spagetti" erlaubt wird neben "Spaghetti".

Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. Ersatzweise stellte man die Reform deshalb in die Tradition eines nationalsozialistischen
Sprachreformvorhabens, das jedoch erklärterweise "nichts spezifisch Nationalsozialistisches" enthielt. Bleibt ja immer etwas hängen. Weil das nicht genügte, fand man die Buhmänner bei den 68ern und der "emanzipatorischen Pädagogik". Half auch nicht weiter. Zuletzt blieb den Biedermännern nur noch die Wilhelm-Tell-Pose, mit der sie die Reformer beschuldigten, sie würden einen "Geßlerhut" (Theodor Ickler) in die Landschaft stellen.

Die Rechtschreibkommission der Kultusminister und die Mannheimer Duden-Redaktion treten aber gerade nicht als autoritative Regulierer auf, sondern begründen die bescheidenen Anpassungen mit dem beobachteten Sprachwandel auf der Basis eines Textkorpus von über 500 Millionen Einheiten. Die von den Gegnern immer wieder beschworene "bewährte Schreibweise" ist, anders als die fundamentalistischen Sprachkrieger vorgaukeln, selbst im Fluss. Heute schreibt kein Mensch mehr "Photo" für "Foto". Die Grundlage der "bewährten Schreibweise" ist über weite Strecken nur ein Gemisch aus Traditionalismen, Marotten und reinen Irrationalismen ("Auto fahren", aber "radfahren"). Theodor Ickler, der Einpeitscher der Reformgegner, ist "überzeugter Behaviourist" und möchte dieses grobianische Erklärungsmodell für das Verhalten im Windschatten des halbdarwinistischen Sozialtechnologen B. F. Skinner auf die Sprachlerntheorie übertragen. Nicht zufällig beruhen Icklers einzige Argumente auf omlettplattem Utilitarismus - das "Bewährte" ist "üblich" und daher "zweckmäßig" -, fragt sich, warum, für wen und wozu.

Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat - für die Kinder.

taz Nr. 7446 vom 27.8.2004, Seite 16, 180 Zeilen (TAZ-Bericht), RUDOLF WALTHER

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Anmerkungen vom Einpeitscher:

Skinners Hauptwerk ("Verbal Behavior") ist eine Sprachlerntheorie - die "Übertragung" seiner behavioristischen Psychologie auf die Sprachlerntheorie ist also nicht nötig. Das weiß Walther aber nicht, weil er Skinner gar nicht gelesen hat. (Daß ich mit dem Behaviorismus sympathisiere, hat Walther einem freundlichen Artikel der FAZ über mich entnommen; aus meinen orthographischen Schriften kann er es nicht haben.)

Keines meiner Argumente gegen die Rechtschreibreform (vgl. "Kritischer Kommentar ...", 2. Aufl., 300 Seiten!) läßt sich als utilitaristisch bezeichnen, es geht durchweg um Sprachwissenschaft. Insofern ist Walthers Behauptung "An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an" unverständlich. Es gibt viele weitere Schriften, die die Neuregelung linguistisch zerpflücken. Walther hat diese Arbeiten entweder nicht zur Kenntnis genommen, oder er unterschlägt sie absichtlich. Er nennt den Umgang der Dudenredaktion mit den neuen Regeln "pragmatisch", was allerdings nicht zutrifft; sie sind strikt dogmatisch und wollen das auch sein, damit die Kultusminister dem Duden nichts vorwerfen können. Aber gerade dies könnte man "utilitaristisch" nennen...

Walther weiß nicht, was es mit dem Wort "Handvoll" auf sich hat und warum "Glas voll" damit nicht zu vergleichen ist. Der "Irrtum", der nach seiner Meinung hier korrigiert wurde, bestand darin, daß Hunderte von Jahren lang die Menschen das Wort "Handvoll" benutzten und mundartlich vielfältig umgestalteten, ein klassischer und beweisbarer Fall von Univerbierung, während das beim "Glas" eben nicht eintrat.

Walther hat sich, wenn überhaupt, nur ganz oberflächlich mit dem neuen Duden beschäftigt. Die Besprechung referiert zur Hälfte nur die Duden-Werbung.

Nicht die Dudenredaktion, sondern die Zwischenstaatliche Kommission läßt Hunderte von "alten" Schreibweisen wieder zu, und zwar aufgrund von Beschlüssen, die im Juni von der KMK getroffen wurden.

Was die Bemerkung über "blaurot" und "blau-rot" eigentlich soll, ist nicht zu erkennen. Das Problem liegt ja in der verordneten Getrenntschreibung "bläulich rot" sowie in der Inkonsequenz der Zulassung von Bindestrich-Komposita mit Adjektiven auf "-ig" usw. als Erstglied. Das scheint Walther gar nicht erkannt zu haben.

Keine der Änderungen beruht auf einer Auswertung des genannten Korpus von 500 Mill. Wörtern; alle gehen auf Einsicht in die Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Neuregelung zurück, doch bleiben sie auf halbem Wege stehen. Ein neues amtliches Regelwerk ist bisher nicht fertiggestellt worden, eine Wörterverzeichnis erst recht nicht.

Daß die Schreibweise stets "im Fluss" ist und daher nicht durch starre Einzelwortfestlegung fixiert werden kann, ist gerade mein Haupteinwand sowohl gegen den bisherigen Duden als auch gegen die Neuregelung, die auf demselben Irrweg weitergeht und Varianten nur aus Verlegenheit zuläßt ("wenn sich nicht entscheiden lässt ..."), niemals aber aufgrund von empirischer Erfassung des tatsächlichen Schreibbrauchs. Eine empirisch begründete Darstellung der Varianten findet man erstmals ini meinem "Rechtschreibwörterbuch".

Die "Gediegenheit" der Dudenbände besteht darin, daß sie seit dem Übergang vom Leinenband zur billigen Pappe nach kurzer Zeit auseinanderfallen, was gerade beim intensiv genutzten Rechtschreibwörterbuch sehr unangenehm ist. Wie es zur Preiskrönung des windigen Gebildes gekommen ist, müßte einmal untersucht werden.

Ob Walther Reißmüller mit Reumann verwechselt?

Omlett ist sehr progressiv, aber immer noch nicht dudenkonform.

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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 27.09.2004 um 07.40

"1979 tagte in Lüneburg das III. Symposium Deutschdidaktik. Mit ca. 70 Teilnehmenden wurde es von der gesamten damaligen Deutschdidaktik an Hochschulen wahrgenommen, und es kann als eigentlicher Ursprung der heutigen offenen Symposien gelten. Die wichtigsten Beiträge erschienen in dem Jahrbuch der Deutschdidaktik 1979. Das Symposium verstand sich zugleich als eine fach- und standespolitische Veranstaltung. Es wurden Resolutionen zur Rechtschreibreform, zur Zulassungspraxis von Schulbüchern, zu den Berufsverboten gefasst."

Kennt jemand den Wortlaut dieser Resolution ?


eingetragen von Matthias Dräger am 27.09.2004 um 05.38

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von margel
Der niedersächsische SPD-Chef wirft Wulff vor, er wolle das KMK-Abkommen nur kündigen, weil er in dem Rechtschreibtest im Fernsehen nicht gut abgeschnitten habe.- Anläßlich der aktuellen Vorgänge sollte man einen Ordner "Gesammelter Schwachsinn" anlegen, zur Belehrung und Ergötzung späterer Generationen. Die Karin und die Doris haben schon mehrere Einträge sicher und werden bestimmt auch weiterhin nicht enttäuschen.

Lieber margel,
wenn wir nichts machen, keinen Film, keine Mega-Dokumentation, aber eine Hörspiel-CD à la Stenkelfeld (NDR) muß sein.
Und es sollten nur Original-Beiträge gebracht werden. Blüml ist auch super: Die Grundschüler müssen erst Abitur machen, vorschnelle Untersuchungen sind seiner Ansicht nach sinnlos! Wir brauchen nur noch zwei, drei begabte Sprecher und ein freies Wochenende.
Aber es kommen immer wieder neue Beiträge für das Hörspiel, wir sollten also noch etwas abwarten.
Hoffentlich meldet sich auch Andreas Baer vom Verband der Schulbuchverlage bald wieder!


eingetragen von margel am 26.09.2004 um 13.59

Frau Ahnen bietet sich an, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Informationen über die segensreiche Tätigkeit der KMK zu liefern! Denn der kann ja nur aus Unkenntnis den Ausstieg planen. Die KMK ist fast zu bedauern, daß sie gerade in ihrer schwersten Krise eine soche Präsidentin hat. Aber eigentlich ist es auch egal.- Der Generalsekretär verbreitet unterdessen, es gebe gar keinen Staatsvertrag betr. KMK. Soll da suggeriert werden, Niedersachsen könne gar nicht austreten? Die Trickserei dieses Vereins ist ja schon sprichwörtlich.


eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller am 26.09.2004 um 12.04

ZDF-Nachrichten 19.00 Uhr 25.09.04
zu dem Vorgehen Christian Wullfs

Die Zuschauer und Hörer konnten vernehmen, daß
das nur ein RACHEAKT sei, weil er BEI DER
RECHTSCHREIBREFORM VERLOREN HABE.

Wie meinen die das?
__________________
Ruth Salber-Buchmueller


eingetragen von margel am 26.09.2004 um 11.51

Der niedersächsische SPD-Chef wirft Wulff vor, er wolle das KMK-Abkommen nur kündigen, weil er in dem Rechtschreibtest im Fernsehen nicht gut abgeschnitten habe.- Anläßlich der aktuellen Vorgänge sollte man einen Ordner "Gesammelter Schwachsinn" anlegen, zur Belehrung und Ergötzung späterer Generationen. Die Karin und die Doris haben schon mehrere Einträge sicher und werden bestimmt auch weiterhin nicht enttäuschen.


eingetragen von Theodor Ickler am 26.09.2004 um 08.26

Wenn man bei Google "Sommerloch" und "Rechtschreibreform" eingibt, erhält man immerhin 10.000 Belege. Selbst wenn nur die Hälfte einschlägig sein sollte, wäre es ein Beweis für den Sprachwitz unserer geistreichen Zeitgenossen. Bis das Sommerloch sie verschlingt ...
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 22.09.2004 um 12.38

Lieber Herr Dräger,
die Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform" hatte ich nur als Beispiel erwähnt. Ich wollte nur auf ein prinzipielles Problem hinweisen: Wenn man überhaupt Komromisse vorschlägt - in wessen Namen auch immer -, wie soll dann verfahren werden?
Wir beide, lieber Herr Dräger, halten die Marxsche Untersuchung für außerordentlich wichtig und aussagekräftig. Wenn ich es richtig sehe, interpretieren wir diese Studie aber unterschiedlich.


eingetragen von Matthias Dräger am 22.09.2004 um 12.20

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Wenn "wir", z.B. über die Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform", bestimmte Verhandlungsangebote machen (z.B. "Wir fordern die Rücknahme der RSR, ausgenommen die st-Trennung"), dann müßten wir eigentlich auch ein Verfahren vorschlagen, wie ein Kompromiß ausgehandelt werden soll..

Lieber Herr Fleischhauer, die von Ihnen in den Raum gestellten Angebote sind mir nicht bekannt.
In der Initiative haben in der heißen Phase des Volksbegehrens über 200 Mitarbeiter mitgemacht, und Sie sind sicher einer der Fleißigsten davon.
Dennoch geht es nicht an, daß nach außen hin der Eindruck entsteht, die Iinitiative würde irgendwelche Angebote unterbreiten. Das wäre, wenn überhaupt, Sache der Vertrauensleute der Initiative.
Aber selbst hier sehe ich keinen Spielraum, da wir an das Votum des Volksentscheides gebunden sind, und das lautet, daß in den Schulen die Rechtschreibung unterrichtet wird, „wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird“.
Wenn wir diese Position verlassen, begeben wir uns in das Lager derer, die Volksentscheide aufheben. Wollen wir das? Dürfen wir das?

Daß die ss-Regelung übrigens auch in der Praxis schechter ist als die Adelungsche ß-Regelung haben die Untersuchungen von Prof. Marx mit hinreichender Deutlichkeit gezeigt. Warum also nicht auf die Wissenschaft hören, zumal unser Verständnis von demokratischer Kultur und die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein den gleichen Weg weisen?


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 22.09.2004 um 10.09

Wenn "wir", z.B. über die Initiative "WIR gegen die Rechtschreibreform", bestimmte Verhandlungsangebote machen (z.B. "Wir fordern die Rücknahme der RSR, ausgenommen die st-Trennung"), dann müßten wir eigentlich auch ein Verfahren vorschlagen, wie ein Kompromiß ausgehandelt werden soll. Eigentlich kommt nur der Bundestag in Betracht, aber dieser müßte wohl wiederum eine Kommission einberufen, zwecks Hinzuziehung von "Experten". Stattdessen liegen wieder alle Hoffnungen bei der Regierung (MPK, KMK). Erschwerend kommt hinzu, daß die neue ss-Schreibung durchaus Anerkennung findet - wenn ich es richtig beurteile, "ehrliche" Anerkennung. Von den Verlagen kann man sich nichts erhoffen. Die Lage ist (unlösbar) schwierig geworden.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 22.09.2004 um 09.49

Lieber Herr Ickler,
ich weiß, daß Sie mir ein wenig ausweichen, aber sei's drum. (Übrigens finde ich es nicht einmal gerechtfertigt, den amtlichen Regeln eine Überdeterminiertheit vorzuwerfen, denn die Reformer wenden ja nicht im Regelwerk das Stammprinzip an, sondern außerhalb des Regelwerks.)
Warum versuchen wir immer wieder, die Heysesche Schreibung an sich anzugreifen? Ich glaube nicht, daß wir damit punkten können - eher sägen wir am eigenen Ast. Es kommt nicht unbedingt darauf an, ob die Leute unsere Argumente widerlegen können oder nicht, sondern ob sie unseren Argumenten folgen können.
Das beste Argument geben uns die Reformer selbst in die Hand: Neuerdings reden sie davon, daß die Umstellung 30 Jahre dauern könne. (Wir sind also noch nicht über'n Berg.) Gibt es etwas besseres? Vor einem Jahr hätten sie dies wohl noch vehement bestritten.


eingetragen von Theodor Ickler am 21.09.2004 um 15.02

Zu Herrn Fleischhauer: Das ist nur aus praktischen Gründen unter dem Paragraphen zusammengefaßt, ich hatte keine Zeit mehr, mir für das Regelwerk etwas Besseres zu überlegen.
Zum Nachrichtenbrett, wo ziemlich viel Diskussion stattfindet, die eigentlich ins Forum gehört: Ich habe die Trennbarkeit von st nie befürwortet, wie auch Herr Bolz ganz richtig feststellt. Im Gegenteil habe ich von Anfang an darauf hingewiesen, daß diese historisch begründete Nicht-Trennnung sich sehr leicht lernen läßt. Linguistisch begründen läßt sie sich aber nicht, sondern ist eine Ausnahme und wird gerade deshalb mit einer eigenen Unterregel bedacht.
Horx ist Gründer des Trendbüros, dem er zwar nicht mehr angehört, das aber zwei Dudenwörterbücher (New Economy und Szenesprache) gemacht hat, letzteres ein Tiefpunkt in der Geschichte des Dudenverlags. Ich glaube nicht, daß irgend jemand Horx ernst nimmt. Es muß auch solche Tausendsassas geben, die sich ständig irgendwo zu Wort melden.
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Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 16.09.2004 um 09.39

Lieber Herr Ickler,
Sie schreiben: "Die Heysesche s-Schreibung ist vollkommen phonographisch begründet, die Hinzuziehung des Stammprinzips wäre eine Überdetermination, und sie ist falsch."
In Ihrem Wörterbuch wird jedoch die Schreibung von Doppelkonsonanten am Silbenende der Stammschreibung zugerechnet. Ist dies nicht auch falsch? Ist nicht die Konsonantenverdoppelung rein phonographisch determiniert? (Sonst müßte man ja "fiellen" statt "fielen" schreiben.)


eingetragen von Fritz Koch am 16.09.2004 um 09.00

Ist das nur erst Umgangssprache,
daß "glatt" auch "wirklich" bedeuten kann und
daß "voll" auch "mit aller Kraft" bedeuten kann?
Beispiele:
Er hat das doch "glatt" gemacht.
Er hat "voll" geschuftet.
Unter Einbeziehung der Umgangssprache sind demnach zu unterscheiden:
etwas "glatt" (= wirklich) machen - etwas "glattmachen" (= glätten);
er ist "voll" (= mit aller Kraft) gelaufen - es ist vollgelaufen (= bis zum Rand gefüllt worden).
Der Duden unterschlägt diese (umgangssprachlichen?) Bedeutungen.


eingetragen von Theodor Ickler am 16.09.2004 um 06.36

Hessisches Kultusministerium (2004)

10 gute Gründe für die Rechtschreibreform

[Mit kommentierenden Bemerkungen von Th. Ickler]

1. Einfachheit der Rechtschreibung
2. Alte Rechtschreibung - viele Ausnahmen untergraben die Regeln
3. Neue Rechtschreibung - bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit
4. Das Stammprinzip wird gefestigt
5. Neue s-Schreibung
6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten
7. Getrenntschreibung wird geregelt
8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt
9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt
10. Trennung nach Sprechsilben

1. Einfachheit der Rechtschreibung

Konrad Duden, der Vater des Duden, forderte schon 1902, auf die Einheit der deutschen Rechtschreibung in allen deutschsprachigen Ländern müsse nun auch die Einfachheit folgen. Diese blieb allerdings für die folgenden Jahrzehnte eine Utopie. Im Gegenteil: Das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung wurde zusehends undurchdringlicher.

[Schon hier zeichnet sich die Gleichsetzung der Rechtschreibung mit ihrer Darstellung im Duden ab. Hätten die Kultusminister, die jetzt auf eine Reform drängen, nicht die Rechtschreibung mit dem Duden identifiziert - wie man die Regelung von 1955 jedenfalls auslegen könnte -, wäre manches Problem gar nicht erst aufgetreten. Die naheliegende Folgerung wäre gewesen, die Darstellung der Orthographie im Duden zu überprüfen und zu verbessern.]

2. Alte Rechtschreibung - viele Ausnahmen untergraben die Regeln

Das bekannte Sprichwort "Ausnahmen bestätigen die Regel" gilt vielleicht im Leben, nicht aber bei der Rechtschreibung. Zahlreiche Ausnahmen, Einzelfallregelungen und sich widersprechende Festlegungen machten die Rechtschreibung unübersichtlich und kompliziert. Resultat waren Probleme im Rechtschreibunterricht und schlechte Kenntnisse der Regeln nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei versierten Schreiberinnen und Schreibern.

[Hier gilt zunächst dasselbe wie zu 1. - Außerdem ist es bekanntlich eine Frage der Darstellung, was als Regel und was als Ausnahme erscheint. Es kommt nicht darauf an, Dudenregeln zu kennen, sondern darauf, korrekt zu schreiben, d. h. so, wie es im Deutschen üblich und sinnvoll ist.]

3. Neue Rechtschreibung - bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit

Die neue Rechtschreibung stärkt Prinzipien und Grundregeln, vermeidet Ausnahmen und baut
Überregulierungen ab. Die richtige Schreibweise kann von einer Regel abgeleitet werden. Die
neuen Regeln sind daher einfacher zu vermitteln und leichter zu lernen. Dies zeigt die Broschüre
Rechtschreibung gut erklärt des Hessischen Kultusministeriums.

[Weitgehend identisch mit 2.]

4. Das Stammprinzip wird gefestigt
In der deutschen Rechtschreibung gilt grundsätzlich das Stammprinzip. Das bedeutet, dass sich die Schreibung eines Wortes nach seinem Stamm richtet, also dem Wort, von dem es sich ableitet. Der Stamm des Wortes länglich ist lang. Verstöße gegen dieses Prinzip sind in der neuen Rechtschreibung beseitigt. Das Wort Stengel (alte Rechtschreibung) hat seinen Wortstamm in Stange und wird daher jetzt Stängel geschrieben. Ebenso verhält es sich bei überschwänglich (früher: überschwenglich) und Überschwang.
[In einigen wenigen Fällen ist die Geltung des Stammprinzips erweitert worden, sehr viel mehr andere Fälle bleiben unberührt (Spengler trotz Spange, Heu trotz hauen usw.) Hinzu kommen absichtlich falsche ("volksetymologische") Schreibungen (bläuen), Halbrichtiges (schnäuzen) und weit hergeholte Zusammenhänge, die schon lange nicht mehr lebendig gefühlt werden (Stängel, mit behänden Schritten usw.).]

5. Neue s-Schreibung

Für das stimmlose s steht nach kurzem betontem Vokal ss, also Amboss (statt früher Amboß;
nass statt naß). Das führt zu einheitlichen Schreibweisen - Fluss schreibt sich wie Flüsse -,
wo früher Abweichungen gelernt werden mussten. Gemäß dem Stammprinzip bleiben auch
hier die Schreibweisen gleich, z.B. küssen - sie küsst - er wurde geküsst ( früher: sie küßt, er
wurde geküßt).

[Die Heysesche s-Schreibung ist vollkommen phonographisch begründet, die Hinzuziehung des Stammprinzips wäre eine Überdetermination, und sie ist falsch. Stammschreibung besteht darin, auch bei unterschiedlicher Aussprache gleich zu schreiben, also Kind wie Kinder (trotz Auslautverhärtung) und kälter wie kalt (und nicht kelter, wie es die primäre Laut-Buchstaben-Zuordnung fordern würde). Man sollte also erwarten: fliessen wie Fluss; und tatsächlich bekundete die Vertreterin der GEW vor dem Bundesverfassungsgericht am 10.5.1998 ihre Erleichterung darüber, daß nun fließen ebenso wie Fluss geschrieben werde (was gerade bei der "alten" Rechtschreibung der Fall war, aber auch dort nichts mit dem Stammprinzip zu tun hatte und niemals so begründet wurde). Die zahllosen Ausnahmen und neuen Probleme werden verschwiegen: Bus, Erkenntnis, Genuss-süchtig usw.]

6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten

Bis 1991 wurden für den Fall des Zusammentreffens dreier Konsonanten insgesamt zehn
Regeln entwickelt, was in solch verschiedenen Schreibungen wie Ballettänzer, Balletttruppe
und Ballettheater gipfelte. Jetzt werden bei allen Versionen alle drei Konsonanten
geschrieben (Balletttänzer, Balletttruppe und Balletttheater).

[Die "zehn Regeln" - an anderer Stelle auch "elf" - sind eine Erfindung des Reformers Augst; es sind durchaus andere Darstellungen denkbar; vgl. meinen "Kritischen Kommentar". Natürlich wußten auch die Orthographen des 19. Jahrhunderts, daß in Schiffahrt "eigentlich" drei f stehen müßten; sie haben jedoch aus lesepsychologischen und ästhetischen Gründen vereinfacht, und 1901 kam es zu einem vielleicht nicht sehr glücklichen Kompromiß. Jacob Grimm tadelte die Dreifachschreibung eines nur einmal gesprochenen Konsonanten als "pedantisch". Die Rustsche Reform von 1944 sah überall Vereinfachung vor, wie zuvor die bayerische Schulorthographie. Ein marginales "Problem", das in der Praxis durch die Merkwörter Schiffahrt und Sauerstoffflasche gelöst wurde.]

7. Getrenntschreibung wird geregelt

Verbindungen aus Substantiv und Verb (Rad fahren) sowie steigerbarem Adjektiv und Verb
(übel nehmen) werden nach den neuen Regeln immer getrennt geschrieben. Bei der
Kombination zweier Verben hing die Schreibweise bisher von den verschiedenen
Bedeutungen dieser Kombination ab. "Er ist auf dem Stuhl sitzen geblieben" aber: "Er ist in
der Schule sitzengeblieben". Im Widerspruch dazu wurden aber auch Worte
zusammengeschrieben, ohne dass ein neuer Begriff entstanden war (spazierengehen); in
anderen Fällen wurde trotz übertragener Bedeutung getrennt geschrieben (baden gehen). Die
neuen Regeln verlangen jetzt in allen Fällen die Getrenntschreibung.

[Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist zwar zum erstenmal "amtlich" geregelt worden, aber seit 1996 laborieren die Reformer an der mißlungenen Regelung herum. Die jüngste Änderung (2004) ist besonders durchgreifend und bei den Kultusministern noch gar nicht angekommen, wie gerade die Darstellung des hessischen Kultusministeriums beweist. Der Duden hatte versucht, sich auf den Usus einen Reim zu machen, und dabei gern mit dem Kriterium eines "neuen Begriffs" gearbeitet. Fest steht, daß die Reformer zwischen spazierengehen und einkaufen gehen, zwischen kennenlernen und singen lernen keinen strukturellen Unterschied zu erkennen vermochten; das ist natürlich indiskutabel. Ebenso die unterschiedslose Getrenntschreibung der Verbindungen mit Positionsverben (hängenbleiben usw. - alles immer getrennt).]

8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt

So werden jetzt alle Tageszeiten nach gestern, heute und morgen (gestern Nacht, heute
Morgen) und Substantivierungen (der Einzelne, als Erster, im Dunkeln) konsequent
großgeschrieben. Zugleich wird die Schreibweise bei feststehenden Ausdrücken vereinheitlicht (früher: mit Bezug auf, aber in bezug auf; jetzt: mit Bezug auf, in Bezug auf).
[Die Großschreibung der Tageszeiten beruht auf einem grammatischen Fehler, da an dieser Position nach den eigenen Kriterien der Reformer kein Substantiv stehen kann. Die letzte Blüte ist die Großschreibung sogar bei heute Früh. Inzwischen ist die Großschreibung noch wesentlich weiter getrieben, womit im 19. Jahrhundert verworfene "Übertreibungen" wiederbelebt werden. Nach den Gründen der bisher üblichen Kleinschreibung in pronominalen Verwendungen und Phraseologismen wird gar nicht mehr gefragt.]
9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt
Bei Verbindungen von Adjektiven und Substantiven, die keine Eigennamen sind, wird
das Adjektiv jetzt immer klein geschrieben, also: schwarzes Brett, schwarze Liste, goldener
Schnitt und goldene Hochzeit. Bisher hieß es: Schwarzes Brett aber schwarze Liste, Goldener
Schnitt aber goldene Hochzeit.

[2004 mit dem vagen Hinweis auf Fachsprachlichkeit weitgehend aufgehoben.]

10. Trennung nach Sprechsilben

Mehrsilbige Wörter werden jetzt so getrennt, wie es sich beim Sprechen ergibt. Das frühere
Verbot der Trennung von st gilt nicht mehr (Wes-te, Kas-ten) und es kann auch ein einzelner
Vokal am Wortanfang abgetrennt werden (A-der, I-gel).

[Während gegen die Trennbarkeit von st nichts einzuwenden ist, hat sich die gesamte neue Silbentrennung laut Dudenredaktion zu einem Hauptproblem bei der Umsetzung in Wörterbüchern entwickelt. Die Abtrennung einzelner Anfangsbuchstaben wurde bisher aus guten Gründen vermieden, da sie ausnahmslos zu sinnstörenden, lesehemmenden Druckbildern führt (Buche-cker, Musse-he). Deshalb wird jetzt auch ausdrücklich davor gewarnt, solche Trennungen vorzunehmen, auch wenn sie "nicht falsch" sind. Besonders fatal wirkt sich die neue Trennung auf Fremdwörter aus: A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph, Herost-rat, Kont-rition, Legas-thenie, Manusk-ript, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong, Parap-luie, Pseu-depigrafen ...(alle Beispiele aus Duden 2004) Wer solche Wörter gebraucht, aber nicht sprachgerecht zu trennen vermag, befindet sich in einem "pragmatischen Widerspruch", der ihn bloßstellt, auch wenn die Trennung "nicht falsch" ist.]


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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 16.09.2004 um 06.30

(Mit Anmerkungen von Th. I. in eckigen Klammern]

Norbert Richard Wolf

Hinweise zu einigen Spezialfällen der Rechtschreibreform

1. Getrennt- und Zusammenschreibung
1.1. Substantiv und Verb
Verbindungen von Substantiv und Verb werden in der Regel getrennt geschrieben, das Substantiv hat einen großen Anfangsbuchstaben:
Rad fahren - ich fahre Rad - ich bin Rad gefahren
Desgleichen: Acht geben, Acht haben, Bankrott gehen, Eis laufen, Halt machen, Hof halten, Kegel schieben, Kopf stehen, Maschine schreiben, Maß nehmen, Not tun, Pleite gehen, Probe fahren, Rad schlagen.
[Bankrott und Pleite gehen sind grammatisch fehlgedeutet, da gehen mit den entsprechenden Adjektiven verbunden wird. Not tun ist falsch, es liegt das Adjektiv not zugrunde.]
Verbindungen, in denen das Substantiv verblasst ist, werden zusammengeschrieben: heimreisen, heimbringen, heimsuchen, heimzahlen, irreführen, irreleiten, irrewerden, preisgeben, standhalten, stattfinden, stattgeben, teilnehmen, teilhaben, wettmachen, wundernehmen.
Deshalb: Viele Gäste nahmen an der Feier teil. Das zahlte sie dem Chef heim.
[irre und wett sind keine Substantive, auch keine verblaßten.]
Ebenfalls zusammengeschrieben werden Fälle, in denen Substantiv und Verb eine untrennbare Zusammensetzung bilden: brandmarken - er brandmarkte den Übeltäter, schlafwandeln - der Professor schlafwandelte, schlussfolgern - der Wissenschaftler schlussfolgerte.
Die Regel, dass Substantiv und Verb 'normalerweise' getrennt geschrieben werden, gilt auch dann, wenn das Verb als Partizip gebraucht wird: die Achtung gebietende Persönlichkeit, ein Händchen haltendes Liebespaar, Hilfe suchende Studenten, Deutsch sprechende Touristen.
1.2. Verb und Verb
Verbindungen von einem Verb (im Infinitiv) mit einem zweiten Verb werden getrennt geschrieben: bestehen bleiben, bleiben lassen, fahren lassen, fallen lassen, flöten gehen, gehen lassen, sitzen bleiben, sitzen lassen, spazieren gehen, stecken bleiben.
Diese Regel gilt auch, wenn das zweite Verb als Partizip verwendet wird: der sitzen gelassene Liebhaber, der sitzen gebliebene Schüler.
[Diese Unterregel wurde 2004 aufgehoben, vgl. K 58 im neuen Duden.]
1.3. Partizip und Verb
Verbindungen von Partizip und Verb werden getrennt geschrieben: gefangen halten, gefangen nehmen, getrennt leben, verloren gehen.
Deshalb auch: getrennt lebende Ehepaare, gefangen gehaltene Tiere.
[Diese Regel wurde 2004 aufgehoben.]
1.4. Adjektiv und Verb
Verbindungen von Adjektiv und Verb werden getrennt geschrieben, wenn das Adjektiv steigerbar ist. Auch die Erweiterung mit sehr oder ganz gilt als Steigerung: gut gehen, ernst nehmen, geheim halten, gerade sitzen/halten/stellen, gering achten/schätzen, glatt gehen/hobeln/schleifen/streichen, lieb gewinnen/haben, nahe bringen/legen/liegen/stehen, offen bleiben/lassen/stehen, schlecht gehen, schwer fallen/nehmen/tun, übel nehmen, sich wund liegen, sich zufrieden geben.
Lässt sich das Adjektiv nicht steigern, dann wird die Verbindung zusammengeschrieben: bereithalten, bloßstellen, fernsehen, festsetzen (=bestimmen, festlegen), freisprechen, gutschreiben (=anrechnen), hochrechnen, krankschreiben, schwarzarbeiten, stilllegen, totschlagen, wahrsagen (=prophezeien).
Deshalb ist zu unterscheiden:
oDamit man den Text leicht lesen kann, muss man ihn groß schreiben.
oDie Substantive muss man im Deutschen weiterhin großschreiben.
oDer Redner konnte ganz ausgezeichnet frei sprechen.
oDer Richter musste den Angeklagten freisprechen.
oDer Schüler konnte schon (sehr) gut schreiben.
oIch werde Ihnen den Betrag gutschreiben.
Wenn das Adjektiv mit -ig, -lich oder -isch abgeleitet ist, wird die Verbindung immer - d.h. auch wenn das Adjektiv nicht steigerbar ist - getrennt geschrieben: fertig stellen, flüssig machen, heilig sprechen, heimlich tun, müßig gehen, ruhig stellen, selig preisen, selig sprechen, übrig behalten/bleiben/lassen.
[Gilt wahrscheinlich nicht für Partizipien; vgl. K 58 im Duden 2004: alleinseligmachend]
1.5. Adverb und Verb
Verbindungen von einem zusammengesetzten Adverb mit einem Verb werden getrennt geschrieben: abhanden kommen, allein erziehen/erziehend, allein selig machen/machend, allein stehen/stehend, anders denken/denkend, anders lauten/lautend, anheim fallen/stellen, auswendig lernen, barfuß laufen, beiseite legen/stellen, daheim bleiben, fürlieb nehmen, überhand nehmen, vonstatten gehen, vorlieb nehmen, zugute halten/kommen, zunichte machen, zupass kommen, zustatten kommen, zuteil werden.
[Für Partizipien 2004 aufgehoben, daher alleinerziehend usw. wieder zugelassen.]
Folgende Verbindungen können unterschiedlich geschrieben werden: infrage stellen/in Frage stellen, instand setzen/in Stand setzen, zugrunde gehen/zu Grunde gehen, zuleide tun/zu Leide tun, zurande kommen/zu Rande kommen, zuschanden machen/zu Schanden machen, zuschulden kommen lassen/zu Schulden kommen lassen, zustande bringen/zu Stande bringen, zutage fördern/zu Tage förern, zuwege bringen/zu Wege bringen.
[Hier sind nur die ausdrücklich aufgelisteten Beispiele erlaubt, d. h. es gibt keine anwendbare Regel.]
Verbindungen aus aneinander, aufeinander, auseinander usw. werden immer getrennt geschrieben: aneinander denken, aufeinander aufpassen, zueinander passen, durcheinander bringen, nebeneinander sitzen, übereinander liegen, zueinander finden.
[Gilt seit 2004 nicht mehr für Partizipien.]
Verbindungen mit Adverbien, die mit -wärts gebildet sind, werden ebenfalls konsequent getrennt geschrieben: abwärts/aufwärts gehen, vorwärts kommen.
[Gilt seit 2004 nicht mehr für Partizipien.]

1.6. Verbindungen mit sein
Verbindungen mit sein werden stets getrennt geschrieben: an sein, auf sein, aus sein, dabei sein, drauf sein, zumute sein, zurück sein, zusammen sein.
außerstande, imstande und zumute können auch als Wortgruppe behandelt werden: außerstande sein/außer Stande sein, imstande sein/im Stande sein, zumute sein/zu Mute sein.
1.7. Verbindungen mit irgend-
Verbindungen mit irgend- werden durchweg zusammengeschrieben: irgendein, irgendetwas, irgendeinmal, irgendwer, irgendwie, irgendwo(hin).
Aber: irgend so ein, irgend so etwas
2. Großschreibung von Substantiven in festen Gefügen mit Verben
Wie in 1.1. schon gesagt, werden in Verbindungen von Substantiv und Verb die Substantive immer groß geschrieben: Auto fahren, Diät leben, Eis laufen, Folge leisten, Hof halten, Kegel schieben, Kopf stehen, Leid tun (aber: es leid sein), Maschine schreiben, Maß halten, Not leiden, Not tun, Pleite gehen (aber: pleite sein/werden), Rad fahren, Recht sprechen, Schlange stehen, Angst haben (aber: mir ist angst), jemandem Angst und Bange machen (aber: mir ist angst und bange), Recht haben/behalten/bekommen, jemandem Recht geben, Schuld haben (aber: schuld sein).
[In Leid tun, Not tun, Pleite gehen sind keine Substantive enthalten, Recht ist desubstantiviert, vgl. wie recht du hast usw.; diät ist adverbial: wie lebst du?, nicht was lebst du? Vgl. "Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat." (Konrad Duden: Die Zukunftsorthographie. Leipzig 1876, S. 70)]


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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 16.09.2004 um 03.18

In der heutigen FAZ (s. Nachrichtenbrett) greift Wolf mich an (ohne meinen Namen zu nennen, der ist ihm wohl zu schmutzig). Er selbst bietet seinen Studenten unter http://www.uni-wuerzburg.de/germanistik/spr/studium/reform.htm eine Hilfe für die Umsetzung der Rechtschreibreform. Das muß er gründlich ändern, wenn er nach dem neuesten Stand informieren will. Man wundert sich aber, wie ein gestandener Germanist solchen grammatikalischen Unsinn wie "Pleite gehen, Not tun" ("Not sein" hat er ausgespart) vorführen und anempfehlen kann, ohne mit der Wimper zu zucken.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 27.07.2004 um 03.53

Der Schlußsatz meines Leserbriefs in der heutigen FAZ wird nur verständlich, wenn man den ungekürzten Text kennt. Hier ist er:

Zum Beitrag: „Rechtschreibreform: Bund will sich nicht einmischen“ (FAZ vom 13.7.04)

Minister Schily irrt: Die Rechtschreibreform ist keineswegs nur Ländersache. Das Bundesinnenministerium war jahrelang an der Vorbereitung beteiligt. In einer Chronik der Reform, die Bertelsmann im Internet veröffentlicht hat, heißt es zutreffend bereits für das Jahr 1988: „Das Bundesinnenministerium – vertreten durch Frau Dr. Palmen-Schrübbers – nimmt regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teil.“ Unter Manfred Kanther und dem CDU-„Chefsemantiker“ Wolfgang Bergsdorf wurde die Rechtschreibreform energisch vorangetrieben. Ministerialrätin Palmen-Schrübbers, die diese besondere Aufgabe später zum Staatsminister für Kultur mitnehmen sollte, sorgte laut Augenzeugenberichten stets dafür, daß das Jahrhundertwerk fahrplangemäß vorangetrieben wurde.
Am 27. Januar 1999 beschloß das Bundeskabinett die Einführung der Reform. Innen- und Justizministerium wiesen am 7. Juni 1999 alle nachgeordneten Behörden an, wie bei der flächendeckenden Umstellung der Rechts- und Verwaltungssprache zu verfahren sei (Geschäftszeichen O 1 – 131 212 – 1/10). Eine Präzisierung und Verschärfung erfuhr dieser Erlaß durch ein Schreiben der Bundesjustizministerin vom 28. September 1999. Darin wird übrigens wahrheitswidrig behauptet: „Die Änderung der Schreibung eines Wortes stellt nur eine Anpassung an die geänderten Rechtschreibregeln dar, ohne eine Änderung der Wortbedeutung zur Folge zu haben. Daher sind rechtliche Konsequenzen durch (!) die neue Schreibung nicht verbunden.“ (IV B 1-6103/2-40220/99) Auf dieser Grundlage konnten seither die ziemlich fehlerhaft umgestellten Gesetzestexte erscheinen, zum Beispiel das BGB als dtv-Beck-Text.

Bundespräsident Rau ließ auf entsprechende Zuschriften antworten: „Sie haben mit diesem Brief ein Thema angesprochen, dass (sic!) dem Bundespräsidenten am Herzen liegt. Der Bundespräsident nimmt für sich die Regelung der Rechtschreibreform in Anspruch, dass außerhalb des Schulbereichs niemand an die neuen Regelungen gebunden ist. Er sieht seine Rolle aber nicht so, dass er seine Entscheidung anderen zur Nachahmung empfehlen möchte.“

Schließlich wäre noch Bundestagspräsident Thierse zu erwähnen, der sich über ein Votum des Bundestags vom 26. März 1998 hinwegsetzte und die orthographische Umstellung aller Bundestagsdokumente anordnete. Allerdings richtet sich der Stenographische Dienst des Bundestages nicht nach der amtlichen Regelung, sondern nach dem schlecht und recht reformierten Duden.

Richtig ist, daß die Bundesregierung, wenn es darauf ankommt, zur bisherigen Rechtschreibung zurückkehrt. Wenn also Gerhard Schröder an den amerikanischen Präsidenten schreibt oder dem ehemaligen Minister Egon Bahr zum Geburtstag gratuliert, verzichtet er sinnvollerweise auf die unhöfliche Kleinschreibung der Anrede: „Lieber Egon, zu Deinem 80. Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich.“ (19. März 2002) Lehrer an deutschen Schulen müssen künftig einen Fehler anrechnen, wenn Schüler so schreiben wie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler.
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Th. Ickler


eingetragen von Bernhard Schühly am 25.07.2004 um 22.03

Thumbs up

'Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst!'

Ich finde, gerade mit diesem Wort aus ihrem Offenen Brief trifft Frau Pfeiffer-Stolz gerade ins Schwarze.
Natürlich sollten Politiker – und übrigens nicht nur in dieser Angelegenheit – populistisch sein, das fordert schon das Grundprinzip der Demokratie!!
Eigentlich sollte man das als ein positives Prädikat werten – in der Bedeutung von „volksnah“ eben – und dann hören sich diese Vorwürfe geradezu lächerlich an.

Ganz nahe verwandt mit dieser Formel ist übrigens auch die Forderung „man solle dieses (oder andere) Probleme nicht auf dem Rücken des Volkes/ Wählers bzw. einer spezifisch betroffenen Gruppe austragen“. Typisch: Hiermit werden die Betroffenen (in unserem Fall eben das ganze Deutsche Volk) entmündigt und von den Enscheidungen ferngehalten, da sie einfach nicht öffentlich zur Sprache kommen dürfen.

Bernhard Schühly

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Bernhard Schühly


eingetragen von Reinhard Markner am 24.07.2004 um 12.33

"Unter der Überschrift "Die Nichts Sagendste" widmet sich der Aufmacher unserem liebsten Sommerlochthema. Heute darf zur Abwechslung mal der "Vorsitzende der Forschungsgruppe Deutsche Sprache" Reinhard Markner die Rechtschreibreform verabschieden. In alter Schreibung, klarer Fall von FAZ-Neid: "Das von der Kultusministerkonferenz Anfang Juni beschlossene Update der Reform ist ein Patch, das kaum einen Programmierfehler wirklich behebt. Die Prognose, daß die Popularität der Reform auch weiterhin auf niedrigem Niveau stagnieren wird, dürfte daher kaum zu beanstanden sein. Niemand sehnt sich nach der amtlich verordneten Freiheit, künftig bei Weitem oder bei weitem, 8fach oder 8-fach, Leid tun oder leidtun schreiben zu dürfen.""

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,310308,00.html

Unter F.A.Z.-Neid leide ich nicht, ich hätte den hier vergleichsweise ausführlich zitierten Text auch dort veröffentlichen können. Hingegen dürfte der miesepetrige Tonfall, in dem die Perlentaucher-Mitarbeiter die Feuilletons durcharbeiten (übrigens rein schematisch, jeder Unsinn aus der taz wird brav glossiert, während kein noch so glänzender Beitrag aus Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Basler Zeitung oder Standard Erwähnung finden kann), darauf hindeuten, daß sie lieber anderswo schrieben. Zum Thema Rechtschreibreform haben sie, soweit erinnerlich, noch kein vernünftiges Wort publiziert.


eingetragen von Helmut Eberwein am 19.07.2004 um 14.58

Vielleicht wäre eine Mail an die Staatskanzlei in Hannover über diese versuchte Knebelung der öffentlichen Diskussion durch manche Leute beim NDR hilfreich.

Manche Mails können wahre Wunder bewirken...


eingetragen von Sofa Potato am 18.07.2004 um 19.16

haben die deutschen Verlage sehr gut verdient,
weil sehr viele verängstigte Bürger ihre Bücherschränke "arisierten" und dafür "arische Dichtung" kauften. Meine Eltern und Großeltern hatten sehr viele Bücher von diesen Dichtern, die heute nur noch als peinlich gelten, und kein einziges "nichtarisches" Buch mehr.

Nach dem Krieg haben die deutschen Verlage an den nun wieder zugelassenen Büchern sehr gut verdient, weil ein riesiger Nachhol- und Wiederbeschaffungsbedarf herrschte.

Man sieht, wie der Buchhandel angekurbelt werden kann.


eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz am 18.07.2004 um 18.14

Das folgende Schreiben ist als Offener Brief an diverse Adressen gegangen, u.a. auch an den Buchmarkt.online:

Kein Sommertheater, eher ein „Vier-Jahreszeiten-Schauspiel“

Eine Antwort an Ulrich Störiko-Blume

Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht. (Abraham Lincoln)

Sehr geehrter Herr Störiko-Blume,
mit Ihrem Offenen Brief wenden Sie sich an die Politiker, denen Sie darin gehörig die Leviten lesen. Doch fühle auch ich mich angesprochen und möchte Ihnen daher – ebenfalls in einem Offenen Brief – antworten. Nach einer „poetischen“ Einleitung beginnt die Politikerschelte:

„Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen.“

Sie sagen es aber. Trotzdem ist es falsch. Haben wir denn nicht seit 1996 eine Reform? Oder ist die Rechtschreibreform, die „so genannte“, etwa keine Reform?
Sie schlagen den Politikern vor, sich „am Abend bei einem Glase Wein“ von Kindern oder Enkeln erklären zu lassen, „warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird.“ Wer sich in der Grammatik auskennt, wird sicherlich dabei keine Probleme haben. Und er hat sie auch vor der Reform nicht gehabt. Doch scheint es ein Zeichen von Fortschrittlichkeit zu sein, sich als Erwachsener bei alkoholischen Getränken spät abends von Kindern und Enkeln über die Rechtschreibung aufklären zu lassen. Vielleicht darf der Nachwuchs auch am Glase nippen, oder er überzeugt uns davon, daß Wein und Bier „out“, Alco-Pops aber „in“ sind. Und wir beugen uns, denn wir wollen weder in der Rechtschreibung noch in den Konsumgewohnheiten als Ewiggestrige dastehen.

„Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen.“

Das ist geschickt formuliert: Schriftverkehr. Nein, den Schriftverkehr muß niemand umstellen. Anders sieht es aus, wenn Autoren ihre Werke veröffentlichen möchten. Es beginnt „harmlos“ damit, daß selbst Leserbriefe gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Verfasser von Zeitungsredakteuren eigenmächtig in die „neue“ Schreibung konvertiert werden. Es setzt sich fort, wenn ein Kinderbuchautor, der allein vom Schreiben lebt, sein Einkommen sichern möchte. Beim Verlag Beltz & Gelberg werden Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger oder Peter Härtling verlegt, um nur drei zu nennen. Sie sind gegen die Neuschreibung, weil ihre Werke verstümmelt werden, und sie haben in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus gemacht. Sind sie deshalb etwa nicht gezwungen, sich dem Diktat der Reform zu unterwerfen? Wie hätten sie sonst ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten können, da sie vom Schreiben leben? Ich bitte doch sehr, den Boden der Tatsachen nicht zu verlassen!

„Meine Autoren sind eigentlich oder auch strikt gegen die Verwendung der neuen Regeln. Insbesondere befinde ich mich in einem Dilemma – geht es doch um Respekt vor den Sprach- und Stilvorstellungen der Autoren, die von sich aus keineswegs bereit sind, ihr Schreibverhalten zu ändern. Und letzten Endes hat man sie nicht einmal gefragt.“

Nein, das haben nicht Sie gesagt, sehr geehrter Herr Störiko-Blume. Hans-Joachim Gelberg, damals Verlagsleiter bei Beltz & Gelberg äußerte dies 1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags. „Wider bessere Einsicht“ hätten die Kinderbuchverlage „aus Konkurrenz- und Marktgründen“ die Buchprogramme auf die neue Schreibung umstellen müssen – wider bessere Einsicht, weil dieses neue Regelwerk unsolide sei und erhebliche Verwirrung stifte, so Herr Gelberg.
Als sein Nachfolger und Verlagsleiter beim Verlag Beltz & Gelberg schreiben Sie heute:

„Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile.“

Wie kann das belegt werden? Sind Sie persönlich an einer Schule tätig gewesen? Haben Sie eine Untersuchung durchführen lassen, welche Ihre These untermauert? Wenden Sie selbst die Reformschreibung an? Verstehen und beherrschen Sie die Regeln? Oder lassen Sie Ihre Briefe im Vorzimmer auf Neuschreibung überprüfen? Lassen wir doch noch einmal Herrn Gelberg zu Wort kommen (und es ist schwer vorstellbar, daß er inzwischen seine Meinung geändert hat):

„Ich empfehle allen, die in dieser Sache mitreden, ein umfängliches Manuskript von 100, 200 Seiten von der alten in die neue Rechtschreibung zu „übersetzen“. Erst dann wird klar, wie sehr die meisten Änderungen leider Sinn, Sprachgefühl und Stil-Ästhetik ungünstig beeinflussen. Hier wird nicht vereinfacht, sondern erschwert.“

Sie verteilen „Preise“ für „populistisches Getöne“, ganz so, als gehöre die ganze Angelegenheit auf den Jahrmarkt. Die Art und Weise, wie Sie, sehr geehrter Herr Störiko-Blume den sachlichen Kritikern der Reform begegnen, klingt nach persönlicher Abrechnung und trägt weder bei zur Lösung der inhaltlichen noch der wirtschaftlichen Problematik, die durch die Reform zweifellos entstanden ist. Wer die „Befindlichkeit des Volkes“ mit einer Handbewegung als unerheblich vom Tische wischt, sich zwischen den Zeilen darüber lustig macht, weckt allenfalls Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Es ist ein Unterschied, ob der Staat Steuern erhebt – was ebenfalls unbeliebt ist, doch notwendig zur Erhaltung des Gemeinwesens – oder ob er sich in die intimsten und privatesten Dinge seiner Bürger einmischt. Dazu zählt die Sprache. Nebenbei sei angemerkt: Entgegen Ihrer Behauptung ist bislang noch kein „Rat für deutsche Rechtschreibung“ eingerichtet worden. Es besteht allenfalls die Absicht, eine solche zu begründen, wobei ich der Meinung bin, daß wir keine „Räte“ und auch keine „Fünfjahrespläne“ benötigen, um die Rechtschreibung in unserem Lande zu regeln.
Mit den Äußerungen in Ihrem Offenen Brief beleidigen und diskreditieren Sie jenen Personenkreis, den Sie für Ihre Eigeninteressen gewinnen möchten. Schließlich versteigen Sie sich sogar zu folgender Aussage:

„Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung.“

Demnach besitzen allein die Anhänger der Reformschreibung Verantwortungsbewußtsein. Jene Personen aber, denen Sie gerade einige Abschnitte zuvor attestiert haben, daß sie die Freiheit besäßen, sich für die eine oder andere Rechtschreibung zu entscheiden, sind verantwortungslos, sofern sie Bücher in „alter Rechtschreibung“ kaufen! Das gilt auch für Eltern, die ihren Kindern Zugang zum häuslichen Bücherschrank gewähren, sofern dieser nicht gänzlich „entmistet“ sein sollte. Verantwortungslos? Das sind dann wohl auch die Kritiker der Reform, zu denen sich die besten unserer Autoren zählen. Autoren, die auch im Verlag Beltz & Gelberg ihre Bücher veröffentlicht haben (und eigentlich nach diesem eher peinlichen Offenen Brief Konsequenzen ziehen müßten ...).
Wenn nun die „Verantwortungslosigkeit“ der Bürger im Umgang mit der „alten“ Rechtschreibung nicht auf freiwilliger Basis beseitigt werden kann, müßte dann nicht der nächste politisch notwendige Schritt sein, Bücher mit „alter“ Rechtschreibung auf einen „Index“ zu setzen?

„Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten [?] Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.“

Mit Verlaub, nun geht mir jedes Verständnis für das „Getöne“ ab, mit dem Sie Ihr Schreiben auf die Politiker loslassen. Entweder die Änderungen durch die Reform sind gravierend und stören beim Lesen und Schreiben. Dann ist die Empörung, die immer größere Kreise der Bevölkerung erfaßt, verständlich und ernstzunehmen. Oder die Reform ist gar keine. Sie kann keine sein, wenn man nichts davon merkt. Worum aber geht es dann überhaupt?
Welche Absicht verfolgen Sie mit diesem Rundumschlag, der nicht nur die sich für eine Rücknahme der Reform aussprechenden Politiker beleidigt, sondern auch die Mehrzahl der deutschsprechenden Menschen in diesem Lande verletzt? Den Rat, den man vor einiger Zeit den Schriftstellern gegeben hat, sie mögen sich doch bitte nicht um so etwas Marginales wie die Rechtschreibreform kümmern, sondern lieber gute Texte schreiben, ist ebenso dümmlich wie es ein Appell an Michael Schumacher wäre, er möge doch bitte weiterhin spannende Rennen fahren und gewinnen, sich aber weder um den Zustand seines Rennwagens noch um die Beschaffenheit der Rennstrecke kümmern.

Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst! Selbstverständlich machen wir uns Sorgen! Und doch: Ist das Dilemma nicht auch hausgemacht? Ich darf unseren Verlag hier mit einschließen, rede also nicht vom hohen Roß herab. Doch das Kulturgut Sprache ist mehr wert als kurzfristige Gewinn- oder Verlustrechnungen. Es wäre weitaus ehrlicher, seine Sorgen bezüglich der Sprache und der wirtschaftlichen Situation der Verlage auszudrücken, als mit starken Worten alles niederzuschreien, was auf Mißstände aufmerksam macht, die nun einmal da sind und sich durch Offene Briefe dieser Art nicht aus der Welt schaffen lassen. Sie seien als Kinder- und Jugendbuchverleger „nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden“. Ich befürchte, daß weder Sie noch ich dazu gehört werden, ob das unsere Zustimmung findet oder nicht. Außerdem muß man sich fragen, was Sie unter „Interessenlobbys“ verstehen: Verdienen kann unter diesen Umständen wohl niemand mehr, wir sind alle Verlierer in einem Spiel, das überhastet begonnen wurde, ohne die Mitspieler entsprechend zu informieren und zu instruieren. Das zu Beginn von einigen Lobbyisten erhoffte große Geschäft mit der Rechtschreibreform ist ja nun offensichtlich ausgeblieben, an Briefen wie dem Ihren wird deutlich, wer sich zu den nun enttäuschten Verlierern zählt.

Zuletzt bin ich sicher, daß die Sprache selbst den Sieg davontragen wird. Die Zwangsreform – wie überhaupt jede Reform – kann jederzeit abgeschafft werden, denn sie ist Menschenwerk. Und Menschenwerk ist nun einmal, leider – oder Gott sei Dank, vergänglich.

(Zitate von Hans-Joachim Gelberg aus: Konsequenzen der Reform; Börsenblatt Nr. 51, 27. Juli 1997, S. 8)

Karin Pfeiffer-Stolz
Stolz Verlag

17. Juli 2004

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Karin Pfeiffer-Stolz


eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.07.2004 um 16.10

Mein Deutsch-Griechisches Wörterbuch (Rost, Göttingen 1827)...
… zeigt rückwärtsgewandtes Reformbekanntes:
auseinander setzen, zusammensetzen, jemanden kennen lernen, Schifffahrt, Brennnessel, überschwänklich, Stengel s. Stängel
Die Gegenwartreformer wollen es aber noch rückwärtsgewandter als die 1827er:
sogenannt, nothleidend, immerwährend,
und schließlich so rückwärtsgewandt „behände“, daß sich auch vor 1827 kein anderes Bespiel findet als:
behende.
Bloß das haben sie sich nicht getraut:
Eltern, s. Aeltern
– geändert durch Sigmar Salzburg am 18.07.2004, 23.19 –
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Sigmar Salzburg


eingetragen von Theo Grunden am 18.07.2004 um 12.35

Wenn Ulrich Störiko-Blume in seinem Brief die Bestrebungen zur Rücknahme der Reform einen „rückwärtsgewandten Kampf“ nennt, dann hat er damit selbst schon etwas von der Reform zurückgenommen.

Auf der Homepage des Verlags (http://www.beltz.de) kann man gerade unter „Kinder-/Jugendbuch“ zur neuen Veröffentlichung von Jürgen Seidel erfahren:

„Die Seelenpest“ ist ein Buch, dass nach der Lektüre im Kopf weiterarbeitet.

Außerdem erfährt man beim Weiterklicken:
Der ErzieherInnen-Kalender deutlich verbessert!

Und Peter Härtling trägt jetzt offensichtlich einen Doppelnamen, denn es ist dort ist mehrfach von einem Peter Härtling-Preis die Rede, der Autor(inn)en ermutigen will, neuartige, gekonnte und überzeugende Texte einzureichen, die für 10- bis 18-jährige Leser(innen) geeignet sind.


eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz am 18.07.2004 um 05.53

Ich habe ebenfalls einen Offenen Brief als Antwort an Herrn Störiko-Blume vorbereitet, denn sein Rundumschlag kann nicht unkommentiert stehen bleiben. Ich wäre dankbar, wenn jemand gegenlesen könnte ... ??
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Karin Pfeiffer-Stolz


eingetragen von Theodor Ickler am 18.07.2004 um 04.37

Man sollte Herrn Störiko-Blume bitten, ein Kinder- oder Jugendbuch zu nennen, das seiner Ansicht nach korrekt auf die Neuschreibung umgestellt ist. Das könnte ihn in Verlegenheit bringen.
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Th. Ickler


eingetragen von Sofa Potato am 16.07.2004 um 15.13

sind von denen zu vertreten, die den Verlegern jahrelang immer wieder schriftlich zugesichert haben, die Reform könne auf gar keinen Fall zurückgenommen werden. Lügen haben kurze Beine, und wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung.


eingetragen von Theodor Ickler am 16.07.2004 um 13.11

"Ich bin als Kinder- und Jugendbuchverleger nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden, die außer einer weiteren Verunsicherung der jungen Generation nur eines sicher nach sich ziehen: ungeplante, unnötige Kosten erheblichen Ausmaßes, welche manche der bereits jetzt vom Rückgang der öffentlichen Gelder, von der Konsumkrise und von sinkenden Jahrgangsstärken getroffenen Verlage in existenzielle Bedrohung bringen würden." (Ulrich Störiko-Blume; s. Nachrichtenbrett von heute)
Hat er das vor der Rechtschreibreform auch gesagt? Ich erinnere mich nicht.
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 09.07.2004 um 14.46

Hermann Scheuringer & Christian Stang
Die deutsche Rechtschreibung
Geschichte • Reformdiskussion • Neuregelung
Edition Praesens, Sept. 2004
Gebunden
ISBN 3-7069-0224-9
21 x 15 cm
ca. 200 Seiten
€ [D] 25,80


eingetragen von Reinhard Markner am 29.06.2004 um 10.19

In einer Gefälligkeitsrezension des von Dieter Nerius herausgegebenen Bandes Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901 ( http://raum.net/review/reviews/39.shtml ) schreibt Christian Stang : "Man kann es dem Herausgeber und dem Verlag gar nicht hoch genug anrechnen, dass er die genannten Dokumente in einem Band vereint hat." Völlig richtig -- in Anbetracht der beinahe übermenschlichen Leistung des Herausgebers, einige ältere Drucke auf den Photokopierer legen zu lassen und einige ältere eigene Texte zu einem neuen Vorwort* zu kompilieren. Noch höher allerdings hätte man ihm diese unendliche Mühe anrechnen müssen, wenn die Reproduktion wirklich vollständig ausgefallen wäre. Aber leider fehlt bei Herrn Nerius S. 183 des Bandes "Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der Deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz" von 1876. So wird man auch in Zukunft zum vergilbten Original greifen müssen, wenn man nachlesen will, was Rudolf Raumer in seinen "Erläuterungen" darzulegen versuchte.

*Kostprobe : "Dazu trugen eine ganze Reihe von Faktoren bei, unter anderem [. . .] die [. . .] Bemühungen von Konrad Duden, [. . .] worunter an erster Stelle sein 'Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der detuschen Sprache' von 1880 zu nennen ist, dass bis 1900 in sechs Auflagen erschien [. . .]."


eingetragen von Theodor Ickler am 20.06.2004 um 03.54

Was das Verhältnis der Hochschulen zur RSR betrifft, so sei noch einmal der Text von Klaus Heller angeführt, auf den die Website der Zwischenstaatlichen Kommission mit einem allerdings blind endenden Link immer noch verweist. (Bemerkenswert auch wegen der falschen Kommasetzung):

Uni-Report Mannheim 4/1996 (30. 10. 1996)

Rechtschreibreform
Die Konsequenzen für die Universitäten
von Dr. Klaus Heller (Institut für deutsche Sprache, Mannheim)

- dieser Text folgt den neuen Regeln -
Seit die politischen Vertreter der deutschsprachigen Staaten und
weiterer interessierter Länder am 1. Juli 1996 in Wien ihre
Unterschrift unter eine Gemeinsame Erklärung zur Neuregelung
der deutschen Rechtschreibung gesetzt haben, steht es allen frei
nach den neuen Regeln zu schreiben. Schon gehen manche
Zeitungen daran sich auf die neue Orthografie umzustellen und in
den Schulen vieler deutscher Bundesländer werden die
Erstklässler sinnvollerweise bereits mit der neuen Schreibung
vertraut gemacht (was so am Anfang freilich nur wenige Wörter
betrifft).

Wenngleich sich die ”Spielregeln”, nach denen die Umstellung auf
die neue Rechtschreibung geschehen soll, in den verschiedenen
Lebensbereichen und von Land zu Land recht unterschiedlich
darstellen, so sind doch einige Eckpunkte gesetzt, die allgemeine
Gültigkeit besitzen. So gilt für alle deutschen Schulen, dass ab dem
ersten Schultag des Jahres 1998 nur noch die neue
Rechtschreibung gelehrt werden darf (auch wenn die alte noch
weiter toleriert, d. h. zwar als überholt gekennzeichnet, aber nicht
als falsch bewertet wird). Und es gilt allgemein, dass diese Zeit des
Tolerierens der überholten Schreibung am 31. Juli des Jahres
2005 endet.

Für die Behörden gibt es unseres Wissens bisher keine
Vorgriffsregelung, und so ist wohl davon auszugehen, dass der
Stichtag für die Umstellung hier der 1. August 1998 bleiben wird.
Was aber ist mit den Universitäten?
Anders als die Schulen, die sich auf entsprechende Erlasse ihrer
Ministerien berufen können und für die eine gewisse Einheitlichkeit
des Vorgehens der Lehre wegen unerlässlich ist, sind noch keine
Anweisungen bekannt, die die Hochschulen generell auf einen
Umstellungstermin festlegen oder einen solchen Termin für die eine
oder andere Alma Mater ins Auge fassen würden.

Eben, weil es hier nicht darum geht, Rechtschreibunterricht
umzustellen, sondern die neuen Regeln - wie in anderen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens auch - praktisch anzuwenden, und
weil hier schließlich erwachsene Menschen miteinander
verantwortlich umgehen, sind außerhalb der gegebenen
Rahmenrichtlinien wohl keine weiteren Regelungen nötig.
Jedenfalls nicht, soweit sie die Studenten betreffen, denen es
während der gesamten Übergangszeit freistehen sollte noch die
alte oder aber bereits die neue Orthografie zu verwenden. Das
auch mit Rücksicht darauf, dass es sich bei den kommenden
Examensjahrgängen um junge Menschen handelt, die durch ihre
lange Schulzeit eine recht qualifizierte Ausbildung in der alten
Schreibung erhalten haben. Sie benötigen nun etwas Zeit für die
Umstellung, die ihnen im Hinblick auf ihr späteres Berufsleben
nicht erspart bleiben kann. Wiederholt bin ich sorgenvoll gefragt
worden, ob man denn jetzt seinem Examensvater noch mit der
alten Orthografie kommen könne oder ob man sich nicht vielmehr
gerade mit der neuen Schreibung unbeliebt mache.

Nun ist persönliche Sympathie oder Antipathie gegenüber der
neuen Schreibung insgesamt oder aber gegenüber der einen oder
andern Änderung nicht auszuschließen, doch muss wohl davon
ausgegangen werden, dass derartige Einstellungen bei der
Leistungsbewertung keine Rolle spielen dürfen und
Hochschullehrer genügend Toleranz zeigen müssen, wenn es um
korrekte Schreibungen geht, die sich als ”noch alt” oder ”schon
neu” erkennen lassen. Im Bereich der Universitätsverwaltung
allerdings wird wohl anders zu verfahren sein. Hier wird es - wie in
jeder anderen Institution und in jedem anderen Unternehmen auch
- eine Entscheidung geben müssen, ob und ab wann dienstliche
Schreiben (einheitlich) in der neuen Orthografie abzufassen sind
oder ob man es sich leisten kann damit bis 1998 zu warten.

Literaturauswahl zum Thema:

Rechtschreibreform. Eine Zusammenfassung von Dr. Klaus
Heller. SPRACH-REPORT-Extraausgabe des Instituts für
deutsche Sprache, Mannheim. Januar 1996. Diese Ausgabe
ist beim Institut für deutsche Sprache gegen Rückporto von
DM 1,50 erhältlich sowie über Internet
[http://www.ids-mannheim.de] abrufbar, außerdem
erhältlich beim Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh
[DM 5,-].
Klaus Heller: Rechtschreibung 2000. Die aktuelle Reform.
Wörterliste der geänderten Schreibungen, aktualisierte und
erweiterte Auflage. Klett Schulbuchverlag,
Stuttgart/Düsseldorf/Berlin/ Leipzig. Mai 1996. [ISBN
3-12-320668-8. DM 12,80]. Überblick über die Reform in
Tabellenform. Vollständiges Verzeichnis der von der
Neuregelung betroffenen Wörter in Gegenüberstellung mit
der bisherigen Schreibung.
Wolfgang Mentrup: Wo liegt eigentlich der Fehler? Zur
Rechtschreibreform und zu ihren Hintergründen. Klett
Schulbuchverlag, Stuttgart 1995 [ISBN 3-12-311260-8.
DM 33,--]. Überblick über die Entwicklung der
Rechtschreibregelung und die Reformbemühungen.
Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis.
Text der amtlichen Regelung. Gunter Narr Verlag, Tübingen
August 1996 [ISBN 3-8233-5275-X. DM 46,--]. Das
gesamte Regelwerk ist auch über Internet beim IdS
abrufbar.: [http://www.ids-mannheim.de].

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Th. Ickler


eingetragen von margel am 18.06.2004 um 10.36

Jemand muß die Agenturen benutzt haben, um zu versuchen, quasi nebenbei auch die Hochschulen auf Linie zu bringen. In den Verlautbarungen der Kultusminister habe ich jedenfalls nie etwas in dieser Richtung gelesen. Im Urteil des BVG sind sowieso nur die Schulen erwähnt, die öffentliche Verwaltung hingegen nicht. Es ging immer nur um die Orthographie als Unterrichtsgegenstand. Alle Ausweitungen sind rechtlich nicht gedeckt und nur als Ausfluß totalitärer Gelüste zu sehen.


eingetragen von Reinhard Markner am 18.06.2004 um 09.06

Zitat:
Aus welcher Ecke kommt wohl diese bewußte Fehlinformation? Gibt es Belege?
Quelle dürfte die dpa-Meldung sein, die am 4. Juni verbreitet wurde.


eingetragen von Heinz Erich Stiene am 18.06.2004 um 08.47

In der F.A.Z. wurde vor einigen Monaten die neue Ausgabe der Tagebücher des Komponisten Ralph Benatzky vorgestellt. Einzelheiten habe ich vergessen; zurück blieb aber der Eindruck, daß sie bemerkenswerte zeit- und kulturgeschichtliche Zeugnisse sind, festgehalten in geschliffener Sprache. In der vorletzten Woche wurde in einer Sendung des WDR recht ausführlich daraus vorgelesen. Die Rezitation war vorzüglich, und die pfiffig-melancholische Ironie von Benatzkys Beobachtungen bestätigten den vorteilhaften Eindruck, der mir aus der Vorstellung in der F.A.Z. verblieben war, vollauf. Ich bekam also richtige Lust auf das Buch. Noch vor wenigen Jahren wäre ich sogleich zu meinem Buchhändler geeilt, um es mir zu kaufen. Heute bin ich, betrüblich genug, vorsichtig geworden. Ich erkundigte mich erst einmal beim Verlag (Parthas, Berlin) nach der verwendeten Orthographie; eben davon hänge meine Kaufentscheidung ab. Umgehend teilte eine Dame des Hauses mir gleichermaßen freundlich wie listig ausweichend mit, Herausgeberin Inge Jens (!) habe die Tagebucheintragungen Benatzkys in der ursprünglichen Schreibweise belassen. Hm, Skepsis war geboten, nicht nur wegen der Herausgeberin.
Anfang der Woche konnte ich einen flüchtigen Blick in das Buch werfen; in einer Buchhandlung lag es als Ansichtsexemplar aus. Es stimmt, die Aufzeichnungen des Komponisten sind nicht umgestellt. Mit einer Worttrennung wie "Demons-trationen" werden die orthographischen Gepflogenheiten des Autors aber vermutlich schon verfälscht. Der Text auf dem Schutzumschlag spricht von Benatzkys "Nachlaß". Die Einleitung von Inge Jens hingegen - in welchen Zirkeln vermutet diese Dame eigentlich ihr Lesepublikum? - frönt dem Neuschrieb. Aber auch der wird nicht beherrscht. So schreibt die Herausgeberin, Zarah Leander habe Benatzky zu ihrem bevorzugten Komponisten machen wollen, "und dass, obwohl ihre Begegnung unter keinem guten Stern stand" (S. 10).
Ein überflüssiges und peinliches Tohuwabohu, für das sich ein seriöser Verlag zu schade sein sollte. Darauf habe ich ihn sogleich hingewiesen. Eine Antwort ist bisher allerdings ausgeblieben.

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Heinz Erich Stiene


eingetragen von Karin Pfeiffer-Stolz am 18.06.2004 um 07.01

Wie verhält es sich eigentlich mit Privatschulen? Sind sie auch an den ministeriellen "Schreiberlaß" gebunden?
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Karin Pfeiffer-Stolz


eingetragen von margel am 17.06.2004 um 18.33

In den meisten Zeitungsmeldungen über die endgültige Einführung der Rechtschreibreform werden neben den Schulen neuerdings ausdrücklich und auffallenderweise die Hochschulen genannt. Es ist klar, daß das höchstens für die Universitätsverwaltung gelten könnte, nicht aber für die akademischen Lehrer. Dies wurde bereits geklärt. Bisher war immer nur die Rede von Schule und öffentlicher Verwaltung. Aus welcher Ecke kommt wohl diese bewußte Fehlinformation? Gibt es Belege?


eingetragen von margel am 17.06.2004 um 10.58

Zitat: "Den Siegener Sprachwissenschaftler Gerhard Augst, den nicht nur ich für einen überaus gediegenen Sprachwissenschaftler halte und der sicherlich einer der besten Kenner der Orthographieprobleme überhaupt ist..." (SZ vom 22.8.2000) - Wieso hört man kein Sterbenswörtchen mehr von der Kommission? Wo sind die alle? Angesichts der neuentfachten Diskussion müßten doch die Damen und Herren an vorderster Front kämpfen.


eingetragen von Theo Grunden am 04.06.2004 um 09.04

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Auf der Website des Deutschen Sprachrats prangt neuerdings ein großer Sponsorenhinweis: "Der Deutsche Sprachrat wird unterstützt von [na wem wohl]: DUDEN"
Die Unterstützung beschränkt sich aber offensichtlich auf finanzielle Zuwendungen. Bezüglich grammatischer und orthographischer Unterstützung läßt DUDEN den Deutschen Sprachrat im Regen stehen.

Begleitend zum Wettbewerb „Das schönste deutsche Wort“ kann man auf der Seite des Deutschen Sprachrats Unterrichtsmaterial herunterladen. Ich habe das mal gemacht und u.a. dieses gefunden:

"Als Rainer Maria Rilke 1898 in Berlin mit 22 Jahren dieses Gedicht schrieb, war es nicht wirklich das Wort, das er fürchtete, sondern den Menschen, der sich dahinter verbarg, der es aussprach, der die Dinge mit Spott, Klarheit, Selbstgefälligkeit und ohne Respekt zum Ausdruck verbringen mochte."

Es war also nicht das Wort, sondern es war tatsächlich den Menschen?

"So möchte dieser Wettbewerb unser Bewusstsein für unsere Sprache schärfen, dazu beitragen Sensibilität für sie zu entwickeln."

Warum verzichtet der Deutsche Sprachrat wohl hier auf das hinter „beitragen“ vorgeschriebene Komma? Hier könnte sich die DUDEN-Unterstützung bewähren - etwa mit einem Verweis auf § 77(5) der amtlichen Regelung.


eingetragen von Reinhard Markner am 03.06.2004 um 15.25

Fundsache auf http://www.deutschesprachwelt.de :

"Die DEUTSCHE SPRACHWELT warnt vor einem durch den sogenannten „Deutschen Sprachrat“ ausgeschriebenen Wettbewerb, der Suche nach dem „schönsten deutschen Wort“. Aufgrund der rechtlichen Unsicherheiten, die sich aus den Teilnahmebedingungen des Wettbewerbes ergeben, wird von einer Teilnahme abgeraten. Besonders §6 über die Urheber- und Persönlichkeitsrechte sollte nicht übersehen werden. Demnach erwirbt der Sprachrat alle Rechte an den eingesandten Wörtern, ohne daß den Findern der schönsten deutschen Wörter das Recht eingeräumt wird, namentlich erwähnt zu werden. Andererseits überträgt der Wettbewerbsteilnehmer dem Sprachrat das Recht, seinen vollständigen Namen, eine Photographie seiner Person sowie seine allgemeinen biographischen Daten in allen Medien unentgeltlich zu nutzen. Wer nicht möchte, daß seine Daten unkontrolliert verbreitet werden, sollte nicht an dem Wettbewerb teilnehmen."

Die Rechte an den eingesandten Wörtern verbleiben hoffentlich beim Sprachvolk insgesamt, aber der Duden hätte sicher gerne ein Copyright auf alle deutschen Wörter. Dann wäre man die Wörterbuchkonkurrenz endlich los.

Den gewichtigsten Einwand gegen den Sprachrats-Wettbewerb sollte man über alldem nicht vergessen -- nämlich daß er ein ausgemachter Unfug ist.


eingetragen von Theodor Ickler am 02.06.2004 um 17.17

Ich kann es nicht mehr nachprüfen, aber mir kam es nicht so neu vor. Jedenfalls hat sich der Konzern entschlossen, nunmehr keine Ausgabe zu scheuen, und wer bei irgendwelchen TV-Deutsch-Spielen mitmacht, gibt sich ebenfalls für die Duden-Werbung her, auch wenn er es gar nicht weiß. Übrigens kann ich mir nach wie vor nicht vorstellen, daß der neue Rechtschreibduden, wenn morgen die Kultusminister die Änderungen beschließen, erst im nächsten Jahr herauskommt (wie die Redaktion mal gesagt hat).
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 02.06.2004 um 14.42

Auf der Website des Deutschen Sprachrats prangt neuerdings ein großer Sponsorenhinweis: "Der Deutsche Sprachrat wird unterstützt von [na wem wohl]: DUDEN"


eingetragen von Theodor Ickler am 08.05.2004 um 03.15

Bin gerade auf diese alten Aufzeichnungen gestoßen und will sie nicht einfach wegwerfen.

Dohrn, Antje: 50 leichte Diktate in der alten & neuen Rechtschreibung. 2. Aufl. Berlin: Urania 1997.
(Einführung von Prof. Dr. Christian Stetter.)

S. 7 schreibt Stetter, daß er der Neuregelung in einigen Punkten folgt, in anderen nicht. "Das ist mein gutes Recht, und insofern hat die Neuregelung in jedem Fall ein Gutes: Vieles ist in der Rechtschreibung jetzt nicht mehr einfach 'richtig' oder 'falsch', weil es die Wahl zwischen Varianten gibt." Aber die Wahl zwischen Varianten hat gar nichts zu tun mit Stetters Freiheit, der Neuregelung teils zu folgen und teils nicht. In diesem Sinne gibt es dieselbe Freiheit, die es außerhalb der Schule immer gegeben hat. "Daß nun die Erste Hilfe erste Hilfe und das Ohmsche Gesetz ohmsches Gesetz geschrieben werden sollen, ist kein Fehler der Regelung, sondern der Regelanwendung: In beiden Fällen handelt es sich klarerweise um Eigennamen, und auch nach der neuen Regelung müßten die Wörter erstes und ohmsches hier großgeschrieben werden." (9) - Stetter dürfte der einzige sein, der Erste Hilfe für einen Eigennamen hält. Vgl. übrigens S. 20: brandtsche Ostpolitik, luthersche Thesen.

12: am Sonntag abend, am Montag morgen - das ist nicht die bisherige Schreibweise.
13: Nicht die "Substantive" angst usw. werden in Verbindung mit sein usw. klein geschrieben, sondern einige davon sind ausdrücklich Adjektive (z.B. pleite). "Paarformen" (sic) zur Bezeichnung von Personen - das ist eine Kategorie, die im Regelwerk nicht vorkommt, vgl. meine "Verborgenen Regeln". - "Adjektive in festen Verbindungen werden großgeschrieben" - das trifft auf die Neuregelung nicht zu, vgl. erste Hilfe usw.!
17: machte ihn Bange - das ist falsch, nur beim Dativ kann das Substantiv stehen.
ausser Acht
20/21: auf Englisch schrieb, und ... - dieses Komma ist alt und neu falsch!
24, 25: Wenn / Wenn - was hat sich da verändert?
25: aufs Genaueste - hier müßte die klein geschriebene Variante verzeichnet werden.
35: Platitüde soll gerade keine erlaubte Variante mehr sein (nur Platitude).
36: Happy End war nicht die bisherige Schreibung.
37: Die Trennung Faib-le ist originell (schwäbisch?). - Klub ist keineswegs Neuschreibung! Scharme (im Text und im Kasten) ist falsch (und die Trennung dieses Einsilblers auch).
43: (im Kasten verbleuen
46/47: "Das Zeichenass" - wieso groß geschriebener Artikel?
56: zulasten war bisher keine zulässige Schreibung. verborgenbleiben wurde nicht zusammengeschrieben!
57: im Maschine schreiben (!) - Gewinnbringend kann gerade auch zusammengeschrieben werden!
61: Die Zulässigkeit von weitreichend ist fragwürdig, da die Beliebigkeitsklausel § 36E2 diesen Fall nicht abdeckt.
63: Ob es ihm leicht gefallen ist ... (oblig. Komma fehlt!)
67: Gewinn bringend - s.o.
69: zum Klavier spielen
69: Komma nach erfuhr fehlt!
71: süss (2mal); Leichtathletik-Wettkämpfe konnte auch bisher schon mit Bindestrich gegliedert werden.
71: Oblig. Komma fehlt (5. Zeile v.u.)
77: hängenlassen
89: Türschloß
99: aufs neue ist keine zulässige Variante (nur bei Superlativ)
107: wichtig-sten
110: an manchem Sonntag nachmittag
111: lä-stig
Literaturverzeichnis: Küttel = Nerius und Plüschel = Püschel

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Th. Ickler


eingetragen von gestur am 07.05.2004 um 09.40

Weil innerhalb einer indogermanischen Sprachfamilie, der romanischen, der slawischen, der deutschen und der festlandskandinavischen Sprachen, dieselben grammatischen Strukturen herrschen. Das erleichtert das Erlernen ungeheuer. Man braucht praktisch nur die unterschiedlichen Wortbedeutungen lernen, die dieselben Grundwörter innerhalb einer Sprachfamilie haben. Und natürlich die unterschiedlichen Rechtschreibungen, da sind die größten Unterschiede.


eingetragen von gestur am 07.05.2004 um 08.40

Der Deutsche Sprachrat disqualifiziert sich selbst als sprachliche Autorität, wenn er nicht erkennt, daß mit der Ableitungsendung '-s' Adverbien aus anderen Wortarten gebildet werden, so auch aus Wochentagsnamen. Und Adverbien werden immer noch klein geschrieben. (Siehe 'Der kleine Duden, Deutsche Grammatik', Ausgabe 1988, Abgeleitete Adverbien)
Solche Rechtschreibfehler sind Grammatikfehler. An Grammatikkenntnissen scheint es am meisten zu fehlen, wie ja auch bei den Rechtschreibreformern selbst. Die hätten vor ihrer Berufung in die Rechtschreibkommission einer Prüfung ihrer Grammatikkenntnisse unterzogen werden müssen.
Mit der Stärkung des Bewußtseins für grammatische Richtigkeit kann am meisten gegen die Reform bewirkt werden.


eingetragen von Theo Grunden am 07.05.2004 um 04.58

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der Sprachrat hat sich unsere Kritik zu Herzen genommen und ist von der Dachauer Strasse in die Dachauer Straße umgezogen.
Aber den Hauptgewinnern des Wortwettbewerbs verspricht er weiterhin:

AIR MAURITIUS fliegt Sie Freitags oder Dienstags von Frankfurt nonstop und über Nacht nach Mauritius.

(Mal abwarten, ob sie bald auch wieder freitags oder dienstags fliegt.)


eingetragen von Theodor Ickler am 06.05.2004 um 14.37

Der Sprachrat macht es offenbar wie die Wort-des-Jahres-Jury (und die Unwort-Jury): Das Volk darf sagen, welches Wort es für das schönste hält, aber dann entscheidet eine "Jury" aus mehr oder weniger Prominenten darüber, welches Wort SIE für das schönste hält. Wozu dann überhaupt die Einsendungen, von denen nur Post und Telekom profitieren? Man sollte doch meinen, daß das Sprachvolk selbst die Jury ist und dann nur noch ausgezählt wird. Aber so seriös waren nur die Frauenzeitschriften, die vor Jahren dieselbe Frage an ihre Leser richteten. Damals kamen erwartungsgemäß "Heimat" und "Liebe" auf die meisten Stimmen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Sprachrat "Kopftuchverbot", "Patientenverfügung" oder "Pflegeversicherung" auswählen ließe, aber das ist völlig gleichgültig, denn niemand wird sagen können, die Deutschkundigen im In- und Ausland hätten dies zum schönsten deutschen Wort gewählt. Es wird immer nur das Urteil einer Prominentenriege sein. Noch mal: Warum gibt sich Frau Limbach für so etwas her?
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 06.05.2004 um 03.28

Der Sprachrat hat sich unsere Kritik zu Herzen genommen und ist von der Dachauer Strasse in die Dachauer Straße umgezogen. Auch der Name des amerikanischen Gewährsmannes Dell Hymes ist korrigiert.

Insgesamt sind die Leistungen dieses Sprachrates im ersten Jahr seines Bestehens aber dürftig. Kürzlich traten Limbach usw. bei einer Veranstaltung auf, zu der sie eigens angereist waren, nur um diese Banalitäten um das schönste deutsche Wort zu verkünden. Wir sind einiges gewohnt, sobald TV-Kameras aufgebaut werden, aber daß erwachsenen Menschen in hohen Positionen sich zu solchem Firlefanz hergeben, ist schon bedenklich. Es ist zu hoffen, daß sie sich selbst ein bißchen doof vorkamen. Welche Firmen als Sponsoren "dahinter stecken", sagt der Sprachrat ja ganz offen; an Geld wird es nie mangeln.
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Th. Ickler


eingetragen von Karsten Bolz am 27.04.2004 um 09.45

"Der Deutsche Sprachrat sieht es als seine Aufgabe an, durch Sensibilisierung des Sprachbewusstseins die Sprachkultur [...] zu fördern."

Nachdem ich mal die Seite dieser Institution angeklickt habe, dann die "Sinnlichkeit" und die leere Sponsorseite weggeklickt hatte, stand ich auf der Startseite mit obenstehender ersten Zeile.

Da frage ich mich doch: Bewußtsein kann man stärken, wie aber kann man es sensibilisieren? Na ja, der letzte Satz sagt es: "Der Sprachrat wird auch Bemühungen unterstützen, [...] kreativen Sprachgebrauch [...] als vorbildlich herauszustellen." "kreativer Sprachgebrauch", das wird es wohl sein.

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Karsten Bolz


eingetragen von Rolf Genzmann am 26.04.2004 um 23.33

Ein www Besuch beim „Deutschen Sprachrat“ macht wirklich trübsinnig.

Schon wieder ein neues Unternehmen, das offenbar Staatsknete abzocken will.
Man harrt staatlicher Aufträge und dient sich in einer Presseerklärung dem Steuerzahler an; „aufgrund seiner ausgewiesenen Kompetenz“ werden sogar „konkrete Projektvorschläge“ angedroht.
In Gänsefüßchen folgen die Imponierfremdwörter des „Deutschen“ Sprachrats:
Formalpopulistische „Sensibilisierung“ arbeitet fachkommunikativkompetent bereits mit „Sinnlichkeit“ als „schönstem Wort“, wohl eine funktional-äquivalent initiierte Innovations-Zu-Wort-Kommung.

„Sprachloyalität“, vermutlich das neueste Imponierwort, ich hab’s noch nie gehört, vielleicht kann’s jemand anderen auch noch verblüffen.
Altveteranen: „kreativ“e „Sprachgebrauch“sgrunzbeutel, „internationale Fachkommunikation“srelevanzler, basal-fundamentale „Sensibilisierung“sstukkateure, „entwickelte“ „Sprachkultivierung“sbestarbeiter, faktische „Kritikfähigkeit“s-Sekundärreflektierer, verbale „Sprachkompetenz“sachwalter und spontane „Lesekompetenz“apostel.

Kognitive „Assoziationen“-, „Integration“s- und „Reflexion“s-Designer verstehen sich von selbst.
Progressive “Sprachloyalität”sadjutanten, whats that? Ob es von Jutta kommt?

Die „Sprachkompetenz“ dürfte mindestens hoch drei sein, da drei „große staatlich finanzierte“ Institute, jedes allein schon ein Ass in Superkompetenz, den mit extremster „Fachkommunikation“ bestückten Sprachrat betreiben.

Ansonsten zeigen die paar dürftigen Netztexte der deutschen? Sprachratsakrobaten den reinen Schwachsinn, aber hoch 3, „aufgrund der ausgewiesenen Kompetenz“.

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Rolf Genzmann


eingetragen von margel am 26.04.2004 um 07.25

Was kann man beim Wettbewerb "Schönstes Wort" gewinnen?
1. Preis: Kein Duden

2. Preis: Ein Dudenband nach Wahl

3. Preis: Zwei Dudenbände nach Wahl usw....


eingetragen von Theodor Ickler am 25.04.2004 um 16.52

Der "Deutsche Sprachrat", ein Zusammenschluß jener drei Institutionen, die am meisten zur Sprachverhunzung beigetragen haben, sucht das schönste deutsche Wort. Andere Aufgaben scheint er nicht zu sehen. Er bleibt damit auf dem Niveau der Illustrierten, die solche Suchaktionen auch schon veranstaltet haben.
Wenn man noch Zweifel hat, um was für Banausen es sich hier handelt, braucht man sich bloß eines der Kriterien auf der Zunge zergehen zu lassen: "die Einmaligkeit des Wortes" soll gewürdigt werden. Ich bin kein großer Verehrer von Sternberger/Storz/Süskinds "Wörterbuch des Unmenschen", worin ja "einmalig" einen Ehrenplatz hat, aber ich finde, daß es sich für jeden Menschen von Geschmack verbietet, etwas als "einmalig" zu preisen.
Der Besuch der Seite http://www.deutscher-sprachrat.de kann nicht empfohlen werden, er macht trübsinnig.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 12.03.2004 um 14.34

Seit Jahren bietet Dr. Horst Fröhler in Österreich Seminare zur Einführung in die neue Rechtschreibung an. Er hat ein Buch geschrieben, in dem die Fehler der Neuregelung schonungslos dargestellt werden. In den Seminarankündigungen steht immer noch: "Dr. Horst Fröhler vermittelt Ihnen in diesem Seminar alle neuen Regeln, viele Informationen und auch Hintergrundwissen zur Rechtschreibreform. Er war als einziger österreichischer Sachverständiger im Rahmen des Prozesses um die Rechtschreibreform am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe tätig."
Wahr ist, daß ich am Vorabend der Anhörung Herrn Fröhler in Karlsruhe auf der Straße getroffen habe, aber im Verfahren selbst habe ich ihn nicht erlebt. Vielleicht war er in anderer Weise tätig? Es scheint noch Ereignisse im Hintergrund gegeben zu haben, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren hat.

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2004 um 04.33

Auf den Seiten der Stettens werden noch immer die Tage, Stunden und Minuten gezählt, bis die Schüler und Beamten nach den neuen Regeln schreiben "müssen". Frau Philburn hat vor zwei Jahren auf diese kuriose Sache hingewiesen. Ich fürchte, dem triumphierenden Teufelchen wird sein eigenes Lachen noch peinlich werden. Wir sollten die Stettens aber nicht mit dem Schleier des Vergessens gnädig verhüllen, sondern sie fürs Schwarzbuch vormerken und rechtzeitig auf die Festplatte bannen.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2004 um 04.27

Da sich nun die Schulbuchverleger wieder einmal zu Wort gemeldet haben (s. Nachrichtenseite), möchte ich berichten, daß ich den Geschäftsführer schon 1997 in drei Briefen auf die verhängnisvollen Folgen der Reform hingewiesen und davor gewarnt habe, in den Reformkritikern seine Gegner zu sehen. Es trifft übrigens zu, was Herr Dräger berichtet: Die Schulbuchverleger haben nicht nur die teure Kampagne in Schleswig-Holstein geführt, sondern auch das Pamphlet von Augst/Schaeder gekauft und an alle Bundestagsabgeordneten verteilt (wie Zehetmair und seine Kollegen an alle Schulen) und anschließend jeden einzelnen Bundestagsabgeordneten privat anrufen und im Sinne der Reform bearbeiten lassen. Das muß man bedenken, wenn der Verband nun wieder einmal "Sachlichkeit" anmahnt.
Hier ist der letzte meiner drei Briefe:


8. Dezember 1997

An den Geschäftsführer des
Verbandes der Schulbuchverleger,
Herrn Andreas Baer
Zeppelinallee 33
60325 Frankfurt




Sehr geehrter Herr Baer,
am selben Tage, als Sie den Bundestagsabgeordneten die Broschüre von Augst/Schaeder zustellten, beschloß die Mannheimer Rechtschreibkommission, eine veränderte Fassung der Neuregelung vorzulegen und im kommenden Januar bei einer Anhörung erörtern zu lassen. Was dies für die Schulbücher bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Selbstverständlich sind durchgreifende Änderungen der Reform erforderlich, da die vorschnell umgesetzte Fassung sich bei genauerer Analyse als völlig unmöglich erwiesen hat.
Was von der Broschüre von Augst/Schaeder zu halten ist, habe ich schon Mitte September zu Protokoll gegeben. Ich lege eine aktualisierte Neufassung meiner Stellungnahme bei. Schon bei Ihrer für den 14. Januar geplanten Veranstaltung wird es etwas seltsam wirken, daß Sie eine Werbeschrift empfehlen, deren Verfasser inzwischen selbst nicht mehr dazu stehen. Beachten Sie bitte auch, was ein Kenner wie Prof. Munske kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“ über diese Broschüre gesagt hat (Zitat in meiner beigefügten Schrift).
Wie soll das weitergehen? Niemand kann im Ernst glauben, daß die gegenwärtige entstehende Revision die letzte sein wird. Wie lange wollen die Politiker, wie lange wollen auch die Schulbuchverleger sich noch von dieser Mannheimer Kommission auf der Nase herumtanzen lassen?
Alle diese ärgerlichen und kostspieligen Umstände hätte man sich durch rechtzeitige Berücksichtigung der wohlüberlegten Kritik ersparen können. Das mindeste, was nun zu fordern wäre, ist ein sofortiges Aussetzen der Reform nach niedersächsischem Vorbild. Mehr als Schadensbegrenzung kann nicht mehr erreicht werden.
Immer mehr Beobachter fordern die Auflösung der Mannheimer Kommission wegen erwiesener Unfähigkeit und die Einsetzung einer neuen, aus unabhängigen, nicht mit der Ausarbeitung der Neuregelung befaßt gewesenen Fachleuten aus allen Bereichen der Schriftkultur. Auch dann wäre ein Moratorium selbstverständlich die erste Notmaßnahme.
Keiner der Reformkritiker führt etwas gegen die Schulbuchverlage im Schilde, im Gegenteil: Wir alle wollten die unweigerlich bevorstehenden Fehlinvestitionen nach Kräften verhindern, sind aber leider nicht durchgedrungen. Es hilft jedenfalls nichts, weiterhin auf die angeblich geschäftsschädigenden Kritiker zu schimpfen und andererseits nachweislich falsche Behauptungen über die Reform zu verbreiten, an die die Reformer inzwischen selbst nicht mehr glauben.
Mit den besten Wünschen

Theodor Ickler

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 04.03.2004 um 15.45

Was ein H. Bernecker am 1. 3. 2004 in der taz zum besten gab, verdient an sich natürlich keine Beachtung. Man könnte sich höchstens fragen, welcher Teufel die Zeitung geritten hat, daß sie sich zu solchen Lesern bekennt.
Interessanter ist schon die von B. verbreitete Ansicht, das Schreiben sei früher ein ängstlich gehütetes Privileg der Oberschicht gewesen. Dazu paßt schlecht, daß das Schreiben jahrhundertelang Dienern, ja Sklaven überlassen wurde. Der Adel schrieb nicht, sondern ließ schreiben. Die Mönche kasteiten sich gewissermaßen durch das Abschreiben der Bibel und anderer frommer Texte. Bernecker ist nicht der einzige, der das heutige "Bildungsprivileg" in vergangene Zeiten projiziert.
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Th. Ickler


eingetragen von Wolfgang Wrase am 12.02.2004 um 01.00

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Tagung der DGfS, Univ. Mainz, 24. bis 27. Februar 2004
...
Nanna Fuhrhop & Inga Isele
Schreibungen mit Partizip I: Wissenschaftliche Fundierung und didaktische Umsetzung
Freitag 12:30
...
Viele der Probleme haben eindeutig grammatische Ursachen. Eine wesentliche Ursache liegt in dem Zwittercharakter der Partizipien I. Diese verhalten sich zum Teil wie Verbformen, zum Teil wie Adjektive. Selbst in der attributiven Funktion bewahren sie sich zum Teil ihren verbalen Charakter, indem sie verbale Ergänzungen nehmen. Andererseits können sie auch wie Adjektive Komposita bilden. Das führte systematisch zu einem Nebeneinander von Schreibungen wie die teetrinkenden Frauen – die Tee trinkenden Frauen. Die Reform verbietet bekanntermaßen die erste Schreibung. Aber damit hat die Unsicherheit bei der Schreibung von Verbindungen mit Partizip I extrem zugenommen. ... Diese machen sich die Probleme bewusst, indem sie als sogenannte Sprachdetektive problematische Fälle in Texten suchen, und selbst eine Lösung versuchen.

"Die Reform verbietet bekanntermaßen die erste Schreibung": Die Reformer werden bekanntlich die erste Schreibung wieder einführen. Im letzten Satz taucht auch gleich das "sogenannt" wieder auf, das "bekanntlich" von der Reform verboten wurde, aber demnächst wiederzugelassen werden soll. (Es folgt darauf ein Fehler bei der Kommasetzung, der selbst von der verwahrlosten refomierten Kommasetzung nicht gedeckt ist.)


eingetragen von Reinhard Markner am 11.02.2004 um 23.42

Nein, Utz Maas gehört zu den entschiedeneren Kritikern und auch zu den anerkannten Forschern auf dem Gebiet der deutschen Orthographie. Sein Buch Grundzüge der deutschen Orthographie, Tübingen 1992, war wohl gut genug, um ihn als Mitglied der ZK von vornherein zu disqualifizieren.


eingetragen von meckes am 11.02.2004 um 21.18

Gehört Utz Maas zu den "konstruktiven Kritikern" der Reform, oder weshalb wird sein Abstract in Traditionsschreibung geduldet?


eingetragen von Reinhard Markner am 11.02.2004 um 15.32

Tagung der DGfS, Univ. Mainz, 24. bis 27. Februar 2004

Gerhard Augst
Die orthographischen Regeln zur Bezeichnung der Vokalquantität – geprüft an Laien-Dialektverschriftungen
Donnerstag 10:00

Der Streit um die angemessene Beschreibung der Geminate ist nach wie vor unentschieden.
Beide Theorien – der Silben- und der Quantitätsansatz – sind durch die Komplementarität von Regeln und Ausnahmen beschreibungsangemessen. Beweisstücke für eine explanative Adäquatheit müssen daher von außen kommen. Bisher wurden vor allem die Fremdwortintegration und der kindliche Erwerb ins Feld geführt. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf Laien-Dialektverschriftungen lenken: Laien verschriften ihren Dialekt nach der hochdeutschen Rechtschreibung. Bei allen dialektalen Wörtern, die keine hochdeutsche Entsprechung haben, können sie sich dabei nicht auf Schreibschemata stützen, sondern nur Rechtschreibregeln anwenden. Ich möchte diese Regeln rekonstruieren für die Geminate und (komplementär) für -ie / Doppelvokal / -h. Mit welchem Beschreibungsmodell kann man die Schreibungen am besten erklären? Was folgt daraus für den Rechtschreibunterricht?

Nanna Fuhrhop & Inga Isele
Schreibungen mit Partizip I: Wissenschaftliche Fundierung und didaktische Umsetzung
Freitag 12:30

Die Schreibung von Verbindungen mit dem Partizip I wirft schon immer Probleme auf, seit der Rechtschreibreform verstärkt. So fragen sich viele, wie die teetrinkenden Frauen geschrieben wird oder die arbeitsuchenden Schüler, die ausbildungsplatzsuchenden Schüler, das ernstzunehmende Problem usw.

Viele der Probleme haben eindeutig grammatische Ursachen. Eine wesentliche Ursache liegt in dem Zwittercharakter der Partizipien I. Diese verhalten sich zum Teil wie Verbformen, zum Teil wie Adjektive. Selbst in der attributiven Funktion bewahren sie sich zum Teil ihren verbalen Charakter, indem sie verbale Ergänzungen nehmen. Andererseits können sie auch wie Adjektive Komposita bilden. Das führte systematisch zu einem Nebeneinander von Schreibungen wie die teetrinkenden Frauen – die Tee trinkenden Frauen. Die Reform verbietet bekanntermaßen die erste Schreibung. Aber damit hat die Unsicherheit bei der Schreibung von Verbindungen mit Partizip I extrem zugenommen. Die Neuregelung führt im allgemeinen Sprachgebrauch zu einer Übergeneralisierung der Getrenntschreibung (z.B. Freude strahlend). Es ist nicht weiter überraschend, dass nun auch die Existenz von Wörtern wie arbeitssuchend angezweifelt wird.

In dem Vortrag möchten wir einerseits die Partizip-I-Verbindungen systematisch untersuchen. Offenbar ist die Komposition hier nicht so frei, wie es für wirklich adjektivische Zweitglieder zu erwarten wäre, die meisten sind Rektionskomposita. Andererseits geht es um die konkreten Probleme der Schüler. Diese machen sich die Probleme bewusst, indem sie als sogenannte Sprachdetektive problematische Fälle in Texten suchen, und selbst eine Lösung versuchen.

Die Schüler einer 8. Klasse einer integrierten Gesamtschule sind bereits als Sprachdetektive aktiv; das genannte Problem wird für diesen Vortrag erforscht werden. Anhand der genannten Beispiele möchten wir die Probleme und Lösungsansätze skizzieren und beispielhaft überlegen, wie grammatisches Wissen für den Deutschunterricht genutzt werden kann.

Jochen Geilfuß-Wolfgang
Über den Erwerb der Worttrennung am Zeilenende
Mittwoch 17:30

Zu den Bereichen der deutschen Orthographie, deren Erwerb bisher in nur sehr wenigen Arbeiten genauer untersucht worden ist, gehört neben anderen die Worttrennung am Zeilenende, auch Silbentrennung genannt. So, wie die Worttrennung am Zeilenende geregelt ist, müssen Schreiberinnen und Schreiber, um eine Wortform am Zeilenende richtig zu trennen, diese Wortform in Silben segmentieren können. Sie müssen also nicht nur wissen, aus wie vielen Silben die Wortform besteht, sondern auch die Grenzen dieser Silben erkennen. Dass darin ein großes Problem für Kinder besteht, die die Worttrennung am Zeilenende erlernen, hat unter anderem Hartmut Günther angemerkt: „Während das
mündliche Syllabieren eine durchaus natürliche Fähigkeit ist, die Kinder schon lange vor dem Schuleintritt beherrschen, ist das Bestimmen von Silbengrenzen eine Fähigkeit, die schriftinduziert ist. Die silbische Gliederung des Gesprochenen lässt sich ohne Probleme nichtsegmental kennzeichnen – es ist die Schrift, die Segmente und damit Grenzen fordert.“

Auch empirische Arbeiten zeigen, dass Kinder zwar zu Beginn des Schriftspracherwerbs Wortformen zum Beispiel in Kinderspielen und Liedern unbewusst in Silben gliedern können und auch die Anzahl der Silben angeben können, aber große Unterschiede beim bewussten Silbifizieren dieser Wortformen zu beobachten sind. Da gegenwärtig in den Grundschulen durch mehr oder weniger geeignete Unterrichtsformen zwar das Bestimmen der Silbenanzahl
geübt wird, aber nicht das Bestimmen der Silbengrenzen, ist vor diesem Hintergrund zweierlei zu erwarten: Zum einen sollten Grundschulkinder, wenn sie die Anzahl der Silben einer bestimmten Wortform ohne größere Schwierigkeiten angeben können, auch mehr oder weniger problemlos angeben können, in wie viele Teile diese Wortform getrennt werden kann. Und zum anderen sollten Grundschulkinder, wenn die Silbengrenzen in einer bestimmten Wortform schwerer zu bestimmen sind als in anderen Wortformen, auch größere
Schwierigkeiten haben, diese Wortform orthographisch zu trennen. Um zu überprüfen, ob diese Erwartungen auch erfüllt werden, habe ich im letzten Jahr in zwei Grundschulen in Niedersachsen und Baden-Württemberg 55 Schülerinnen und Schüler aus 3. Klassen und 82 Schülerinnen und Schüler aus 4. Klassen insgesamt 50 Wortformen trennen lassen; zu diesen Wortformen zählten neben anderen Fenster, Wüste, plantschen und Peitsche, die auch Erwachsenen bei der Trennung Schwierigkeiten bereiten. Die Ergebnisse werden der Gegenstand meines Vortrags sein.

Robert Kemp
Unsere Buchstaben. Zur mnemonischen Funktion ihrer Namen und ihrer Ordnung im Alphabet
Mittwoch 16:30

Die Namen bzw. Nennformen der Buchstaben unseres Alphabets enthalten alle einen Lautwert, der für ihre jeweils primäre Verschriftungsfunktion charakteristisch ist. Das darin bestehende mnemonische Potential der Buchstabennamen nutzen wir mit großer Selbstverständlichkeit, und es erscheint uns als angemessen, dass etwa der Name des Buchstaben A nicht [?i:] oder [pi:] oder [töf] lautet, sondern eben [?a:].

Obschon es für Namen generell als überaus ungewöhnlich gelten muss, wenn sie in einer solchen Weise motiviert sind, ist das mnemonische Potential von Buchstabennamen damit aber noch keineswegs erschöpft. Insbesondere korrelieren auch einige Formklassen bei den Buchstabennamen mit lautlichen Klassen der Sprache. So beginnen ausschließlich die Namen solcher Buchstaben mit dem glottalen Verschluss [?], die zur Verschriftung von Dauerlauten dienen: (F, (L, (M; N), R), S); (A, E, I, O, U; Ä, Ö, Ü) X, Y). Schließlich erscheint es sogar möglich, dem Namen einiger Buchstaben Informationen über ihre Kombinatorik zu entnehmen. Dem Buchstaben C etwa muss bei der Schreibung nativer Wörter stets ein weiterer Buchstabe folgen, nämlich entweder K oder H. Unter den Konsonantenbuchstaben sind das wiederum die einzigen, deren Name den Vokal [a:] enthält. Den Buchstaben C könnte man somit als "transitiv" klassifizieren, und die Tauglichkeit von K und H für eine "Selektion" durch C wäre dann durch ein charakteristisches Merkzeichen der Buchstabennamen reflektiert.

Der Vortrag soll Phänomene dieser Art vorstellen und sie in Beziehung zur kanonischen Serialisierung der Buchstaben im Alphabet setzen. Eine Systematik mnemonischer Funktionen, kann nicht nur die Forschung zum Verhältnis von Sprache und Schrift um eine ungewöhnliche Perspektive bereichern, sondern damit auch der Didaktik des Lesens und Schreibens ein bislang unbekanntes Instrumentarium zur Verfügung stellen.

Martin Neef
Ein zweistufiges Modell des Schriftsystems: Graphematik und Orthographie
Donnerstag 9:00

Unter didaktischer Perspektive stellt sich die Orthographie zumeist als das Problem dar, wie lautliche Strukturen in geschriebene Strukturen überführt werden können. Zu dieser Sicht liefert die Linguistik theoretische Rechtfertigungen, die als ‘Abhängigkeitsmodelle’ klassifiziert werden können. Ich möchte demgegenüber ein theoretisches Modell formulieren
und auf seine didaktische Anwendbarkeit hin abklopfen, das die Beziehung zwischen Lautung und orthographischer Schreibung vermittelt sieht über die unabhängige Komponente der Graphematik. Dabei nehme ich an, dass ein Schriftsystem funktional dadurch ausgezeichnet ist, einem Leser das Erlesen fremder Texte zu ermöglichen. Da die gesprochene Sprache so funktioniert, dass lautliche Strukturen ausgetauscht werden, sollte eine schriftliche Repräsentation in der Lage sein, eine solche lautliche Repräsentation aus einer Schreibung erkennbar zu machen. Dadurch definiert sich die graphematische Komponente eines alphabetischen Sprachsystems derart, dass sie einen Mechanismus enthält, mittels dessen Schreibungen in Lautungen überführt werden können. Eine graphematisch lizensierte Schreibung ist folglich eine solche, die geeignet ist, die intendierte Lautung rekodierbar zu machen. Auf diese Weise ist es aber möglich, dass es für eine bestimmte Lautung mehr als eine graphematisch mögliche Schreibung gibt. So kann eine Lautung wie [rait] durch eine Vielzahl von Schreibungen rekodierbar gemacht werden wie z.B. durch , ,
oder < Rheydt>. Die orthographische Komponente des Schriftsystems verfolgt nun das Ziel, dass eine morphologische Einheit nach Möglichkeit immer gleich geschrieben werden soll. Aus dem skizzierten graphematischen Lösungsraum einer morphologischen Einheit mit der Lautung [rait] wählt die Orthographie infolgedessen eine bestimmte Schreibung als konventionell bindend aus. Eine theoretische Erfassung der Orthographie hat danach die Prinzipien zu bestimmen, nach denen auf der graphematischen Basis Schreibungen ausgewählt werden.

Für die didaktische Umsetzung hat diese theoretische Konzeption die Konsequenz, dass der Schrifterwerb in zwei Stufen verlaufen sollte. Dabei ist die graphematische Stufe eng an das Lesen und die orthographische Stufe eng an das Schreiben gekoppelt zu sehen. Für die Vermittlung der Graphematik geht es also darum, diejenigen Regeln zu präsentieren, mittels derer Schreibungen gelesen werden können. Anlauttabellen genügen hierbei freilich nicht, da Buchstaben typischerweise über mehr als eine lautliche Entsprechung verfügen. So wird der Buchstabe s regelgeleitet als [z] rekodiert in der Schreibung des Worts See, als [s] bei bis, als [.] bei Spaß und als Null beim zweiten Vorkommen in Biss. Da hierbei in hohem Maß die phonologische Komponente der Grammatik steuernd eingreift, muss die didaktische Umsetzung auf phonologisches (nicht phonetisches) Wissen der Lerner rekurrieren, das aber zumindest bei Muttersprachlern implizit gegeben ist. Die Vermittlung der Orthographie muss dann auf dieser Basis die Prinzipien bereitstellen, mittels derer orthographisch richtige Schreibungen ausgewählt werden. Dabei ist durchaus auch mit Unregelmäßigkeiten zu rechnen dergestalt, dass eine orthographisch richtige Schreibung gar nicht graphematisch verankert ist wie im Fall von doofe, das graphematisch fundiert nicht mit , sondern nur mit oder mit geschrieben werden dürfte. Orthographische Fehler sind danach von zweierlei Qualität: Wenn das Wort Hase orthographisch fälschlicherweise geschrieben wird, ist dies immerhin graphematisch korrekt, während die Schreibung auch graphematisch ausgeschlossen ist.

Literatur:
Neef, Martin, 2003. Unterdeterminiertheit in der Graphematik des Deutschen. Habilitationsschrift, Universität zu Köln.

Christina Noack
Die Bedeutung phonologischer Dekodierfähigkeit für die Lesekompetenz
Freitag 11:30

In dem gegenwärtig verbreiteten Literacy-Modell, das auch der PISA-Studie zugrundeliegt, wird davon ausgegangen, dass der Leseprozess auf mehreren Ebenen stattfindet (PISA 2000, S. 71ff). Dabei bleibt die basale Ebene, das Dekodieren der Schriftzeichen, gegenüber anderen Modulen in der Studie – wie auch größtenteils in der internationalen Forschungsliteratur, auf die sie sich beruft – eindeutig unterbewertet. Ihre Wichtigkeit für den Leseprozess wird zwar thematisiert, mögliche Folgen einer Störung der Dekodierfähigkeit jedoch ebensowenig erörtert, wie die Möglichkeiten, sie nach der Schrifterwerbsphase zu
beheben.

In meinem Beitrag möchte ich anhand von Leseprotokollen sog. „schwacher Leser“ mithilfe eines phonologischen Analyserasters darstellen, dass die Schwierigkeiten dieser Leser in den Dekodierungsleistungen auf Wort- und Satzebene bestehen. So sind sie nicht in der Lage, • die in der Schrift kodierten Information für Wortbetonung zu entschlüsseln, • eindeutige phonologische Markierungen wie etwa die für den Silbenschnittkontrast (Dehnung, Schärfung) zu erkennen, • Takte und Intonationseinheiten zu artikulieren und damit eine syntaktische (Verbal-/Nominalphrasen) bzw. semantische Analyse (Thema vs. Rhema) vorzunehmen.

Es ist davon auszugehen, dass dieses unzureichend aufgebaute Wissen für die phonologische Dekodierung eine zentrale Ursache der in PISA beschriebenen Defizite deutscher Schüler beim „verstehenden Umgang mit Texten“ (PISA 2000, S. 79) darstellt. Dies wird anhand von Ergebnissen aus einem aktuellen Foschungsprojekt belegt. Abschließend wird ein Konzept für einen stärker linguistisch fundierten Orthographieunterricht in den Grundschulen vorgestellt.

Literatur:
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülern und Schülerinnen im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich 2001

Beatrice Primus
Eine merkmalsbasierte Analyse der Buchstaben unseres Alphabets
Mittwoch 15:00

In den bisherigen graphematischen Analysen von Schriftsystemen, die auf dem modernen römischen Alphabet beruhen, geht man davon aus, dass der Buchstabe die kleinste Beschreibungseinheit darstellt. Arbeiten, die die Buchstaben unseres Alphabets in kleinere Segmente zerlegen und diesen ggf. Merkmale zuordnen, findet man nur außerhalb der Graphematik, etwa im Bereich der maschinellen oder perzeptiven Buchstabenerkennung. Einige Arbeiten sind insofern graphematisch fruchtbringend, als sie merkmalsbezogene Prinzipien oder Beschränkungen formulieren, die die Klasse der Buchstaben charakterisieren (Brekle 1994, 999, Watt 1983) und dazu beitragen, Buchstaben von anderen Einheiten unseres Alphabets, z. B. Ziffern, abzugrenzen (Watt 1983). Eine weiterführende graphematische Analyse, die Buchstabenmerkmale und phonologische Merkmale systematisch in Beziehung setzt, gibt es nicht (wenn man von vereinzelten Beobachtungen wie z. B. in Naumann (1989: 194-195) absieht). M. a. W. wurde noch nie der Versuch unternommen vorherzusagen, welche Buchstabenmerkmale von u, beispielsweise, mit den phonologischen Merkmalen [vokalisch], [hoch] und [hinten], die den Laut /u/ charakterisieren, korrespondieren.

Der Vortrag präsentiert eine systematische merkmalsbasierte graphematische Analyse der Buchstaben unseres Alphabets, die sowohl graphematikinterne Beschränkungen als auch Korrespondenzen zu phonologischen Merkmalen umfasst. Buchstabenvarianten (z. B. Majuskeln) werden durch einige wenige Beschränkungen abgeleitet. Die empirische Basis bilden phonologisch transparente, schriftsystemübergreifend konsistente Buchstabenverwendungen, wobei sich diese Pilotstudie auf das Schriftsystem des Deutschen konzentriert. Das allgemeine theoretische Modell ist der Optimalitätstheorie verpflichtet.

Die Ergebnisse dieser theoretischen Untersuchung sind für die Sprachdidaktik wichtig. Aus der Fülle der gedruckten und handschriftlichen Buchstabenvarianten helfen sie diejenigen Varianten und Merkmale im Unterricht zu fokussieren, die dazu dienen, einzelne Buchstaben systematisch voneinander zu unterscheiden und, was wichtiger ist, Buchstaben nach phonologischen Gesichtspunkten zu klassifizieren.

Literatur:
Brekle, Herbert E. 1994. Die Buchstabenformen westlicher Alphabetschriften in ihrer historischen Entwicklung.
Hartmut Günther & Otto Ludwig (Hgg.) Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Bd. 1. Berlin: de Gruyter, 171-204.
Brekle, Herbert E. 1999. Die Antiqualinie von ca. -1500 bis ca. +1500. Untersuchungen zur Morphogenese des westlichen Alphabets auf kognitivistischer Basis. Münster: Nodus.
Watt, William C. 1983. Grade der Systemhaftigkeit. Zur Homogenität der Alphabetschrift. Zeitschrift für Semiotik 5: 371-399.
Naumann, Carl Ludwig. 1989. Gesprochenes Deutsch und Orthographie. Frankfurt am Main: Peter Lang.

Karl Heinz Ramers
Funktionen der Kommatierung
Freitag/ 13:30

Die neue amtliche Regelung der Orthographie enthält insgesamt neun Paragraphen zur Kommasetzung (§71 - §79), die auf nur zwei Grundprinzipien zurückführbar sind:
1. Abgrenzung gleichrangiger Teilsätze, Wortgruppen oder Wörter (Koordinationsfunktion)
2. Markierung einer Satzgrenze innerhalb eines übergeordneten Satzes (Demarkationsfunktion).
Das erste Prinzip wird in §71 und §72 des orthographischen Regelwerks klar zum Ausdruck gebracht, das zweite dagegen wird nicht expliziert, sondern durch die Nennung verschiedener Beispielgruppen (Nebensätze; Infinitiv, Partizip- oder Adjektivgruppen; Zusätze oder Nachträge; Anreden, Ausrufe oder Ausdrücke einer Stellungnahme) regelrecht verdeckt.

Im Vortrag wird – in Anlehnung an Überlegungen von Primus (1997) – die Demarkationsfunktion näher beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen dabei die folgenden Fragen:
• Welche Wörter und Wortgruppen konstituieren zusammen einen Satz bzw. eine satzwertige Konstituente im syntaktischen und/oder semantischen Sinne?
• Welche Wörter und Wortgruppen stehen außerhalb des Kernsatzes und werden deshalb mit Komma(s) abgegrenzt?
• Unter welchen Bedingungen bilden Sätze selbst Konstituenten eines übergeordneten komplexen Satzes und nicht unabhängige Teile eines Textes?

Auf der Grundlage der genannten theoretischen Überlegungen zu syntaktischen Funktionen der Kommatierung soll zusätzlich geprüft werden, inwieweit eine Explikation des Satzbegriffs im Rechtschreibunterricht das Erlernen der Kommaregeln unterstützen kann.

Christa Röber-Siekmeyer
Auffälligkeiten in frühen Kinderschreibungen als Indikatoren für phonetische Wahrnehmungsmuster und orthographische Regelbildung der Kinder
Donnerstag 11:30

Seit Jahren ist es üblich, Kinder schon früh, oft schon zu Beginn der 1. Klasse, aufzufordern, eigene Texte zu schreiben. Die unterrichtlichen Hilfen, die sie für diese Aufgabe in den Lehrgängen erhalten, bestehen in der Darbietung der Schrift in einem 1:1-Verhältnis zwischen Laut und Buchstabe. Da diese Lehre unzureichend ist, geben die Versuche der Kinder, ihr Gesprochenes graphisch zu repräsentieren, Aufschluss • über ihre analysierende Wahrnehmung des Gesprochenen. Deren ´Materialisierung´ in den Schreibungen ist gleichzeitig für eine empirische Kontrolle der Validität von linguistischen Segmentierungsmodellen nutzbar • über ihre sich langsam entwickelnde orthographische Kompetenz als Resultat ihrer Beobachtungen an geschriebenen Texten. Sie ist gleichzeitig als Beleg für die Funktionalität der Systematik in der deutschen Orthographie zu sehen.

Diese beiden sowohl linguistisch als auch didaktisch relevanten Möglichkeiten, Kinderschreibungen zu interpretieren, werden mit mehreren Beispielen belegt. Gleichzeitig werden Methoden zur Analyse und Interpretation der Kinderschreibungen dargestellt, die einen Nutzen vor allem als didaktisches Instrumentarium haben.

Utz Maas
Sprachwissenschaftliches know-how und Lehrerausbildung: Schrift, Schriftsprache, Orthographie
Mittwoch 10:30

Das Verhältnis zwischen professioneller Sprachwissenschaft und der Schule ist traditionell prekär: Es konstituiert eine endemische Konfliktkonstellation, bei der sich Vertreter einer Position, die „akademische“ Konzepte in die Schule bringen wollen, und Didaktiker, die alle systematische Reflexion als nicht schulpraxisadäquat ablehnen, wechselseitig bestätigen. Vor dem Hintergrund der wieder einmal in das öffentliche Blickfeld geratenen „Krise der Schule“ muß die universitäre Sprachwissenschaft ihr Aufgabenfeld neu justieren, zu dem vorrangig auch die Lehrerausbildung gehört, d. h. der Aufbau von Qualifikationen künftiger Lehrer, die ihren Schülern im sprachlichen Bereich Hilfestellung leisten sollen, insbesondere beim Erwerb der Voraussetzungen für den kompetenten Umgang mit der Schriftsprache. Der Erwerb dieser Kompetenzen nutzt das in der gesprochenen Sprache aufgebaute sprachliche Wissen für ein anderes Praxisfeld, das der Schriftsprache. Während die Erweiterung der mündlichen Kompetenz in der Regel „spontan“ über die Partizipation an zunehmend komplexeren Formen der Sprachpraxis erfolgt, erfordert der Aufbau schriftsprachlicher Kompetenz eine explizite Unterstützung, die sprachwissenschaftliche Qualifikationsanforderungen hat. Dazu gehört es, die Besonderheiten der Schriftsprache bestimmen zu können, von denen die orthographischen Regularitäten nur der sichtbarste Teil sind.

Obwohl in diesem Bereich die Forschung seit einiger Zeit erhebliche Fortschritte gemacht hat, spiegelt sich das noch kaum in der Lehrerausbildung. Als zusätzliche Schwierigkeit kommt hinzu, daß die Sprachwissenschaft hier mit anderen Disziplinen konkurriert, deren Forschungen in diesem Feld ebenfalls einen Schwerpunkt haben, wie es insbesondere bei der Psychologie der Fall ist. Insofern geht es auch darum, den spezifischen Ort der Sprachwissenschaft in diesem Gesamtfeld zu bestimmen. Dieser ist insbesondere dadurch definiert, daß in der sprachwissenschaftlichen Forschung die sprachspezifischen strukturellen Voraussetzung in den Blick genommen werden, die bei disziplinär anders orientierten Forschungen ausgeblendet bleiben. Im Vortrag sollen daher Beispiele zur Verdeutlichung dienen, die typologische Besonderheiten des Deutschen bei der Fundierung der Orthographie aufgreifen. Dem Bau einer akzentdominierten Sprache, deren Silbenstruktur akzentgesteuert ist, entspricht im Deutschen eine Orthographie, deren Sondergraphien in diesen prosodischen Verhältnissen fundiert ist – im Gegensatz zu silbenhomogenen Sprachen, deren entsprechend anders gebaute Orthographie fälschlich (aber gerne) als Reformmodell gehandelt wird (was den Blick auf die Verhältnisse im Deutschen versperrt). Die Möglichkeiten zur didaktischen Umsetzung solcher struktureller Anlysen sollen im Vortrag angesprochen werden.

Auf einer theoretischen Ebene sind die erforderlichen Systematisierungen solcher praktisch nutzbarer Wissensbestände mit den leitenden Konzepten der Modellierung sprachlichen Wissens in der derzeitigen Sprachwissenschaft abzugleichen. Das gilt insbesondere für die in der generativistischen Tradition gerne benutzten Vorstellungen von der „orthographischen Tiefe“ (bzw. der für jede Orthographie zu bestimmenden Relevanzebene der orthographischen Verankerung) gegenüber beobachtungsnäheren („oberflächenorientierten“ Konzepten, die es erlauben, widersprüchlichen Faktoren der Sprachpraxis Rechnung zu tragen. Hier geht es insbesondere um die Ausbalancierung von Fundierungen der orthographischen Schreibungen in phonologischen (prosodischen) Strukturen auf der einen Seite, der Repräsentation grammatischer Strukturen auf der anderen Seite, und schließlich auch traditionellen „ästhetischen“ Anforderungen im konnotativ besetzten Feld der Schriftkultur.


eingetragen von Theodor Ickler am 25.01.2004 um 06.20

Aus einer Tagung, an der ich teilgenommen habe, ist eine Broschüre hervorgegangen: "Germanistische Kompetenzen on Studium und Referendariat" (Bayreuth 2003). Herausgeber Peter Klotz schreibt in fehlerhafter Reformorthographie, Professor Jan Dirk Müller in bewährter Orthographie und Duden-Preisträger Eroms in korrekter Reformschreibweise, die er eigentlich ablehnt und die schon seine Deutsche Syntax verdorben hat. Eroms schreibt also: Für die Sprachwissenschaft in der Germanistik gilt im Besonderen Folgendes ... Eigentlich kann er dafür nur Verachtung übrig haben, aber er fügt sich, ja, er schreibt sogar: "Gerade für zukünftige Lehrer und Lehrerinnen ist es wichtig, die generellen graphematischen Prinzipien und die aus der Geschichte der deutschen Sprache zu verstehenden idiosynkratischen Entscheidungen des deutschen orthographischen Systems kennen zu lernen." Natürlich würde er lieber kennenzulernen schreiben, wie es den idiosynkratischen Entscheidungen des deutschen Systems entspricht, aber er traut sich nicht. Und man würde auch erwarten, daß nicht nur die idiosynkratischen, sondern auch die idiotischen orthographischen Entscheidungen für Lehrer und Lehrerinnen wichtig sind. Aber auf der ganzen Tagung wurde dieser Punkt, der doch für die Deutschlehrer tagtäglich zum Problem geworden ist, mit keiner Silbe erwähnt. Ministerialrat Krimm war nämlich auch anwesend. Damit ist die Lage der Germanistik in Deutschland hinreichend gekennzeichnet. Man könnte den ganzen Laden dichtmachen, und das kommt ja auch bald. Ich werde es nicht bedauern, das Fach ist überflüssig.
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 05.01.2004 um 15.51

Ernst Horat rühmt sich, die neuen Regeln »hirngerecht« unterrichten zu können und wirbt dafür sogar in der NZZ (Ausgabe vom 3./4. 1. 2004).
http://www.rechtschreibung.ch


eingetragen von Theodor Ickler am 03.01.2004 um 13.43

Zum Schutz meines Informanten möchte ich das Land und das GI nicht näher bezeichnen. Ich habe aber keine Zweifel an der Richtigkeit der Nachricht und bitte um Verständnis.
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Th. Ickler


eingetragen von Theo Grunden am 03.01.2004 um 11.09

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Aus einem anderen europäischen Land wird berichtet, daß die Leiterin des dortigen Goethe-Instituts darauf drängt, möglichst rasch alle Bücher in "alter" Rechtschreibung aus der Institutsbibliothek zu entfernen.

Unglaublich.
Aus welchem Land wird solches berichtet?
Woher stammt diese Information?


eingetragen von Matthias Dräger am 02.01.2004 um 14.45

Damit die Verbrennung des sicher umfangreichen Buchbestandes des Goethe-Instituts nicht ohne pädagogischen Nutzen bleibt, möchte ich der Leiterin des Institutes einen passablen Vorschlag für das Abfackeln der Bücher in alter Rechtschreibung geben:

Der Tag sollte mit Bedacht gewählt werden. Erste Wahl wäre der 22. März, Goethes Todestag.

Die Schüler versammeln sich auf dem Markplatz der Stadt, Beginn der Aktion: 22.00 Uhr. Im Schein der Fakeln hält die Institutsleiterin eine Ansprache, in der noch einmal alle Widerwärtigkeiten und Unsäglichkeiten der alten Rechtschreibung pointiert zusammengetragen werden.

Sodann dürfen die Schüler die bereits am Markplatz aufgestapelten Bücher des Instituts auf einen bereits entzündeten Scheiterhaufen werfen. Hierbei sollte aber eine gewisse Form gewahrt werden.

Der Schüler nimmt z. B. eine Werkausgabe Thomas Manns mit beiden Händen, tritt an das Feuer und ruft: Ich übergebe den Flammen die Werke in alter Rechtschreibung von (Sprechpause!) -Thomas Mann!

Der nächste:
Ich übergebe den Flammen die Werke in alter Rechtschreibung von - Hermann Hesse!

Der nächste:
Ich übergebe den Flammen die Werke in alter Rechtschreibung von - Günter Grass!

....

Der letzte:
Ich übergebe den Flammen die Werke in alter Rechtschreibung von - Goethe!


eingetragen von Theodor Ickler am 02.01.2004 um 06.02

Aus einem anderen europäischen Land wird berichtet, daß die Leiterin des dortigen Goethe-Instituts darauf drängt, möglichst rasch alle Bücher in "alter" Rechtschreibung aus der Institutsbibliothek zu entfernen. Sie soll die Verbrennung vorgeschlagen haben.
Mich überrascht das nicht, denn ich habe in der Münchner Zentrale schon vor 25 Jahren erlebt, daß regelmäßig Tausende von Büchern aussortiert und dann nicht etwa dem Antiquariatshandel angeboten oder wenigstens verschenkt, sondern gleich in große Müllcontainer geworfen wurden. Wer zufällig davon wußte, konnte sich zum Teil sehr wertvolle Bände herausfischen.
Es ist ökonomisch verantwortungslos und kulturell barbarisch, aber solche Leute werden dafür bezahlt, die deutsche Kultur im Ausland zu verbreiten.
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Th. Ickler


eingetragen von Martin Reimers am 05.08.2003 um 11.56

Bliebe noch zu ergänzen, daß die „Fußoten“ aus der „Welt“ vom 2. August auf S. 8 das Thema streifen. Ein Tiefpunkt der ganzen Diskussion - derart wirres Zeug hätte ich von dieser Zeitung dann doch nicht erwartet.
Wenn erfahrene Sprachpraktiker wie die Korrektoren, denen der „Tagesspiegel“ eine Seite „frei geräumt“ hat, vier Jahre nach der Umstellung davon berichten, „wie oft sie selbst noch nachschlagen müssen“, dann ist das für mka vor allem ein Zeichen von „sympathischer Ehrlichkeit“, nicht für das Scheitern der Reform. Daß im Kulturressort des „Tagesspiegel“ weit mehr Fehler gemacht werden als im Sport, findet er „interessant“, ohne das näher zu erläutern - oder am Ende danach zu fragen, ob die Schieflage nicht damit zusammenhängt, daß das Chaos dort am größten ist, wo man immer noch die Möglichkeiten einer entwickelten Wortbildung schätzt. Am schönsten die Forderung, „dass wir uns viel mehr über Schwächen bei Grammatik und Ausdrucksfähigkeit unterhalten sollten als über die Feinheiten der Getrennt- und Zusammenschreibung.“ Von welcher Sprache ist hier die Rede? In der deutschen jedenfalls hängt beides sehr eng miteinander zusammen.

Wie mka bemerkt, wird in dem FAZ-Artikel „zum Jubiläum der Rechtschreibreform (...) deren angebliche Unsinnigkeit“ an der reformierten Steigerung von „Besorgnis erregend“ illustriert. Gefallen tut die ihm auch nicht: „Mag ja sein, dass das widersinnig ist.“ Widersinnig kann es also durchaus sein, die Unsinnigkeit der Rechtschreibreform ist für mka dagegen nur eine angebliche. Andererseits errege es am meisten Besorgnis „dass die FAZ überhaupt meint, solche monströsen und semantisch hanebüchenen Wörter schreiben zu müssen – und dann nach Regeln dafür verlangt.“ Da bleibt einem die Spucke weg – im Gegensatz zu anderen Zeitungen glaubt die FAZ ja wohl eben nicht, so schreiben zu müssen (ebenso wie auf derselben Seite der „Welt“ die wackere Kolumnistin Iris Hanika) und wird daher von Leuten als „exotisch“ hingestellt, die wahrscheinlich nur zweimal im Jahr eine Buchhandlung aufsuchen.



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Martin Reimers


eingetragen von Heinz Erich Stiene am 05.08.2003 um 11.12

Eine glänzende Analyse über das Phänomen niedlicher Selbstgleichschaltung und ein vernichtendes Urteil über die Erbärmlichkeit der Journaille. Schon Edgar Allan Poe wußte: "Wir müssen uns vor Augen halten, daß es im allgemeinen mehr die Absicht unserer Zeitungen ist, Aufsehen zu erregen und Eindruck zu machen als die Sache der Wahrheit zu fördern." Mag es im vorliegenden Fall auch weniger um das Erregen von Aufsehen gehen, die Sache der Wahrheit betreiben die Zeitungsleute zum allerwenigsten. Übrigens: Gestern übersandte ein Kollege mir den Sonderdruck eines soeben erschienenen Artikels – in herkömmlicher Rechtschreibung. Vor drei Wochen erhielt ich ein Ende Juni auf den Markt gekommenes Buch als Besprechungsexemplar – in herkömmlicher Rechtschreibung.
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Heinz Erich Stiene


eingetragen von Theodor Ickler am 05.08.2003 um 06.39

Umgestellte Journalisten

Zum Jubiläum der Rechtschreibreform

von Theodor Ickler


Die Beiträge der Zeitungen zum fünften Jahrestag der Rechtschreibreform veranlaßten einen Beobachter zu der Bemerkung: "Psychologisch interessant ist, daß kaum ein Journalist die Reform gut findet und trotzdem alle so tun, als sei etwas Wünschenswertes und Überfälliges gegen mancherlei Widerstand zum guten Ende gebracht worden." Mit wenigen Ausnahmen trifft das zu. Wahrscheinlich ist es kaum erträglich, jahrelang etwas tun zu müssen, was man für falsch hält. Allmählich wird man finden, daß es so schlimm gar nicht ist, zumindest erträglich, vielleicht sogar ganz gut, jedenfalls besser als das Alte. Leider gibt es dann immer noch einige Starrköpfe, die den lieben Frieden stören und einem das eigene Nachgeben gegenüber der Macht unangenehm gegenwärtig halten. Das verlangt Gegenmaßnahmen. Eine Handvoll Argumente wiederholt sich auffallend beständig, nicht erst seit gestern. Hier sind sie:

Die Sache ist gelaufen
Viele Journalisten stellen fest, die Reform habe "sich durchgesetzt" - was insofern nicht zutrifft, als ihre Einführung, soweit bekannt, von keiner Redaktion aus freien Stücken beschlossen, sondern "von oben" angeordnet worden ist. Die Nachrichtenagenturen und Zeitungsverleger hatten dafür einen Termin vereinbart, den 1. August 1999, der von den meisten auch eingehalten wurde. Die Rückkehr der FAZ zur bewährten Orthographie gilt als ärgerlich und wird regelmäßig bespöttelt: "Nur die Frankfurter Allgemeine (FAZ) tanzt einsam aus der Reihe." Die Journalisten schlagen hier denselben Ton an wie die Rechtschreibkommission, zu deren Sprachrohr sie sich geradezu machen. Kein Journalist allerdings, sondern ein Germanistikprofessor höhnt in der Nordwest-Zeitung: "Ein paar beharrliche Altschreiber wirken bereits exotisch. Das Satiremagazin 'titanic' Seit' an Seit' mit der 'FAZ' und der 'DBZ' (Deutsche Briefmarken Zeitung) als Hort der guten alten Rechtschreibzeit, das wirkt erheiternd." "Die FAZ an der Spitze einer revolutionären Bewegung! Die Macher gefielen sich in der Rolle, auch wenn es sich um eine Konterrevolution handelte." (Berliner Zeitung) Die FAZ war immerhin großzügig genug, in ihren Spalten den bayerischen Kultusminister und Reformdurchsetzer Hans Zehetmair als "fremde Feder" raunen zu lassen: "Ganz deutlich muß gesagt werden, daß die 'Verwirrung' welche die Reformgegner immer wieder bei Alt und Jung ausmachen, unter anderem darauf zurückzuführen ist, daß auch eine renommierte Tageszeitung sich der neuen Rechtschreibung noch nicht angeschlossen hat." (Man beachte die kapriziöse Logik: Wenn die Verwirrung nur von den Reformgegnern ausgemacht wird, dann existiert sie vielleicht gar nicht - in welchem Falle auch die Schuld der FAZ sich in Grenzen hielte ...) Eine Horrorvorstellung scheint es für die Journalisten zu sein, daß die Reform zurückgenommen werden könnte: Man fürchtet offenbar, wie der nackte Kaiser dazustehen, nachdem das Kind die simple Wahrheit ausgesprochen hat. Das darf nicht sein, und darum beteuern auch kritische Beobachter wieder und wieder: "Ein Zurück wird es nicht geben." (Nürnberger Nachrichten u. a.) Die Einführung ist "endgültig", "unumkehrbar" (Hamburger Abendblatt).

"Experten"
"Am fünften Jahrestag der Einführung der Rechtschreibreform haben Experten eine überwiegend positive Bilanz gezogen." So die Deutsche Presse-Agentur, die bekanntlich federführend bei der Umstellung der Presse-Orthographie war. Als ersten dieser "Experten" zitiert sie Klaus Heller, den Geschäftsführer der Rechtschreibkommission und Mitverfasser der Neuregelung. Daß er sein eigenes Werk "überwiegend positiv" beurteilt, sollte niemanden überraschen. Auch Rudolf Hoberg wird in diesem Sinne zitiert, ein weiteres Mitglied der Kommission. Der österreichische Reformer Franz V. Spechtler ist ebenfalls hoch zufrieden (die Tiroler Tageszeitung gibt ungeprüft seine unwahre Behauptung weiter, aus 52 Kommaregeln seien fünf oder sechs geworden; Spechtler weiß natürlich, daß die Kommaregeln - bei gleichem Umfang - nur anders numeriert wurden). Solche "Experten" wie die Vertreter des Bundeselternrates und des Deutschen Philologenverbandes, die sich weniger den Verbandsmitgliedern als den Kultusministerien verbunden fühlen, werden auch völlig kritiklos mit der Behauptung zitiert, an den Schulen gebe es mit der Neuregelung keinerlei Probleme. Die Spatzen pfeifen unterdes von den Dächern, daß dem nicht so ist. Man könnte es wissen, will aber nicht.

Schulbücher
Als Beleg für den Erfolg der Reform wird angeführt, daß "Schulbücher zu 100 Prozent in der neuen Rechtschreibung" erscheinen. Das ist allerdings kein Wunder, denn die Kultusminister haben schon 1996, zwei Jahre vor dem Inkrafttreten der Reform, bekanntgegeben, daß sie ab sofort nur noch Schulbücher in Reformorthographie zulassen würden. Welcher Schulbuchverleger würde unter diesen Umständen nichtumgestellte Bücher herausbringen? Es wäre glatter Selbstmord.

Jogurt, Karamell, Schiffahrt
Wie kann man sich über Vereinfachungen wie das weggefallene h in "Jogurt" oder das doch recht logische dritte f in "Schifffahrt" aufregen? In Wirklichkeit regen sich die Kritiker darüber auch gar nicht so sehr auf; die ernsthafte Kritik gilt den willkürlichen, zum Teil grammatisch falschen Getrennt- und Großschreibungen und der rücksichtslosen Einebnung von Bedeutungsunterschieden einerseits (bis hin zur Beseitigung von Wörtern aus den Wörterbüchern), den unnötigen Komplizierungen andererseits. Die sind aber meist zu schwer zu verstehen, als daß Journalisten, die sich ja auch meist um das Studium des amtlichen Regeltextes drücken und lieber im Duden nachschlagen, sie zu durchschauen vermöchten.

Zauberwort "Reform"
Reformen abzulehnen scheint von vornherein eine reaktionäre Haltung zu sein. Reform - oder was sich so nennt - ist an sich gut. Mit diesem naiven Sprachzauber wuchern die Veränderungswilligen; schon in den siebziger Jahren sollte an der Veränderung der Rechtschreibung die Veränderbarkeit der Gesellschaft demonstriert werden. Politiker haben manchmal die Rechtschreibreform als Testfall für die Reformfähigkeit des wiedervereinigten Deutschland bezeichnet (so Kultusminister Hans-Joachim Meyer vor dem Bundestag). "Mit Reformen tun wir uns alleweil schwer hier zu Lande." (Nordwest-Zeitung) Nach Peter Schmachthagen (Hamburger Abendblatt) "ist es fast ein Wunder, dass es in unserem reformscheuen Deutschland eine Rechtschreibreform gegeben hat." Gern verschweigen die Zeitungen auch, daß die "Verbindlichkeit" der neuen Schreibweisen nur für die Schule gilt; dadurch scheint die Verantwortung der Presse geringer.

"Glaubenskrieger" gegen "Reförmchen"
Wer auf etwas so Lächerliches wie die Grammatik Wert legt, muß ein Fanatiker, Fundamentalist, Glaubenskrieger, Eiferer, Korinthenzähler, Streber usw. sein. Dabei ist die Reform doch nur ein Reförmchen. Das von den Kritiker (wann und wo eigentlich?) vorausgesagte "Chaos", der "Untergang des Abendlandes", die "Apokalypse" (Die Welt) sei nicht eingetreten. Dem dpa-Redakteur Karl-Heinz Reith springt etwas so Unwichtiges wie "der Erhalt von Konsonanten bei Wort-Zusammensetzungen wie 'Pappplakat' oder 'Sauerstoffflasche' in die Augen" (Heilbronner Stimme), sicher kein Grund zur Aufregung, denn just diese Wörter wurden schon vor der Reform so geschrieben.

Die armen Schüler
Schon die dreiste Annullierung des schleswig-holsteinischen Volksentscheids durch eine Allfraktionen-Koalition des Landtags wurde von einer gefügigen Presse mit dem Argument entschuldigt, damit seien die Schüler dieses Bundeslandes von einer "Rechtschreibinsel" heruntergeholt worden (während man sie in Wirklichkeit gemeinsam mit allen deutschen Schülern auf eine solche Insel deportierte; denn außerhalb der Schule wird die amtliche Regelung nirgendwo angewendet). Noch immer zieht das Argument, man müsse auf die Schüler Rücksicht nehmen:
"Das Abendblatt hat die Rechtschreibreform nicht mitgemacht, weil es von einem Änderungswahn befallen gewesen wäre, sondern weil es die Schreibweise bieten wollte, wie sie in den Schulen gelehrt wird." So verteidigt Peter Schmachthagen sein Hamburger Abendblatt. Dann müßte allerdings in der Zeitung die amtliche Regelung und nicht die in wesentlichen Punkten abweichende, die Schüler daher irreführende Agenturschreibung verwendet werden.

Alte Knacker
Wer noch "Handkuß" schreibt, pflegt auch den Handkuß noch: "ein paar Konservative" im Umkreis der FAZ. Das hat Brenda Strohmaier erkannt (Berliner Zeitung). Ihre Ausführungen über die angeblich so reaktionäre Zeitung aus Frankfurt schließt sie mit den selbstentlarvenden Worten: "Heute sehen 'Fluß', 'Prozeß' und 'Biß' nur noch altmodisch aus. Wie ein Handkuß eben." Man fragt sich, was die Verfasserin eigentlich liest. Gregor Dotzauer hat im "Tagesspiegel" herausgefunden: "Reformgegner sind nicht automatisch von gestern. Die Frage der Lernfähigkeit stellt sich für sie aber in besonderem Maß. Dass es zwischen ihnen und dem nichtdigitalisierten Teil der deutschen Bevölkerung frappierende Überschneidungen gibt, ist dafür ein wichtiges Indiz." (Kurioserweise stellt dpa-Redakteur Reith gerade umgekehrt fest, daß die Reformgegner ihren Kampf "vorwiegend im Internet" führen.) Ein Trost: die Unbelehrbaren sterben aus. "Es ist verständlich, dass Leute wie Giordano, Reich-Ranicki, Grass, Kempowski oder Gertrud Höhler nichts Neues mehr lernen wollen, aber die Reform hat sich dennoch weitgehend durchgesetzt - wenn auch nicht in verträumten Dichterstuben, sondern vor allem bei denjenigen, die das Lesen und Schreiben neu lernen. Und davon gibt es immer mehr. Diese Schülerjahrgänge wachsen nach." (Peter Schmachthagen im Hamburger Abendblatt) Noch brutaler sagt es Matthias Heine in der "Welt": "Die Tatsache, dass so viele noch an der alten Rechtschreibung festhalten, beweist nur den menschlichen Unwillen, einmal Gelerntes infrage zu stellen. Dass Marcel Reich-Ranicki und Walter Kempowski mit 80 nichts Neues mehr lernen wollen, ist sehr verständlich. Viele sehr alte Leute schreiben bis heute noch Sütterlinschrift. So wie diese wird vermutlich auch die alte Orthographie verschwinden, spätestens wenn das FAZ-Herausgebergremium nur noch aus Leuten besteht, die in der Schule die neuen Regeln gelernt haben." Was dieses "Neue" taugt, scheint gar keine Rolle mehr zu spielen.

Doofe Schriftsteller
Was von den berühmten deutschen Schriftstellern zu halten ist, hat der damalige Direktor des Instituts für deutsche Sprache, einer selbsternannten Propagandazentrale für die Rechtschreibreform, schon vor sechs Jahren vorgegeben. Im gleichen Ton sagt heute der Geschäftsführer der Rechtschreibkommission, Klaus Heller: "'Was viel gelesen wird, erscheint in neuer Rechtschreibung'. Anders sei es mit der, nun, 'Höhenliteratur'. Autoren wie Grass, Lenz, Kunze 'fühlen sich als Wahrer der deutschen Sprache, verstehen auch die Unterscheidung von Sprache und Schreibung nicht', sagt er kämpferisch." (Berliner Zeitung) Daß Reiner Kunze nicht zwischen Scrift und Sprache zu unterscheiden wüßte, ist eine wahrhaft bodenlose Unterstellung, aber es wird kommentarlos weitergereicht.

Friedhofsruhe
Nicht ohne Zufriedenheit stellen manche Zeitungsschreiber fest, daß es um das Thema Rechtschreibreform still geworden sei. Sie wissen genau, daß die Zeitungen selbst es sind, die darüber bestimmen, was diskutiert wird und was nicht. Das reicht von redaktionellen Beiträgen bis zur Auswahl der Leserbriefe. Anhand von Jahrgangs-CD-ROMs läßt sich nachweisen, daß zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung nach dem 1. August 1999 das Thema Rechtschreibreform regelrecht unterdrückt hat. In manchen Zeitungen werden sogar die Todesanzeigen zwangsweise auf die neue Schreibung umgestellt, damit jede Erinnerung an die "alte" möglichst rasch verlorengeht (schriftlich bestätigt von der Nordbayerischen Anzeigenverwaltung). Außerdem ist es angenehm, daß man sich mit einem peinlichen Gegenstand, der "kein Thema" mehr ist, auch nicht länger zu beschäftigen braucht.

"Es gibt Wichtigeres" oder: Reden wir von was anderem!
Rechtschreibreform? Gibt es nichts Wichtigeres? Zum Beispiel die Fremdwörter ("Anglizismen"), das Schwinden des Sprachgefühls... "Können wir jetzt bitte wieder über die Gesundheits- und die Rentenreform reden?" Auch diese Rhetorik trägt zur Themenvernichtung bei, und wieder übernehmen die Zeitungen wortgetreu die Taktik der Reformer selbst: Jahrzehntelang hatte sie die überragende Wichtigkeit einer Rechtschreibreform behauptet; sobald die Sache unter Dach und Fach war, schnitten sie jede Diskussion mit dem Hinweis ab, es gebe Wichtigeres.

Schlußbetrachung
Der Verleger Walter Lachenmann kommt nach Lektüre zahlreicher "Jubiläums"-Artikel zu folgendem Schluß: "Die Quintessenz der Betrachtungen zum 5. Jahrestag der Reformeinführung scheint zu sein: Die Reform ist zwar ohne jeden Zweifel ziemlich mißraten, hat sich aber dennoch durchgesetzt, was mit einiger Genüßlichkeit festgestellt wird. Weshalb das ganze Experiment veranstaltet wurde und welche Folgen es in den verschiedensten Bereichen hat (die Schule ist davon ja nur ein sehr vordergründiger und eher nebensächlicher), scheint kaum einen dieser Kommentatoren zu interessieren. Dabei hat man den Journalisten ihr ureigenstes Handwerkszeug so verdorben, daß sie tagtäglich Absonderlichkeiten schreiben, für die man sie vor fünf Jahren ausgelacht hätte. Ähnliches gilt für ihren Umgang mit Wahrheit und Vernunft, als deren Wächter sie sich ansonsten gerne betrachten."

(Alle Zitate stammen aus Zeitungen um den 1. August 2003 herum; einige sind grammatisch an den Kontext angepaßt, im Wortlaut aber unverändert. Es gibt natürlich - das sei ausdrücklich festgehalten - auch weiterhin gute, kenntnisreiche Beiträge, auf die hier nicht eingegangen wurde, zum Beispiel von Dankwart Guratzsch, Heike Schmoll, Burkhard Müller-Ullrich und Michael Wittler.)
– geändert durch Theodor Ickler am 06.08.2003, 19.16 –
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Th. Ickler


eingetragen von margel am 04.08.2003 um 13.22

Heute im Wirtschaftsteil der FAZ: Rolf Müller (Langenscheidt-Verlagsleiter) und Philipp Haußmann(Geschäftsführer der Klett Sprachen GmbH) sind beide der Meinung, daß "die Deutschen viel zu selten ein neues Wörterbuch kaufen". Ja, ja - die sind schlau, die Deutschen...


eingetragen von Theodor Ickler am 30.07.2003 um 12.29

Rechtschreibung. Orthographie und Interpunktion. Otus Verlag S. Gallen 2003. Herstellung und Organisation: Dr. Christian Zentner. Mitarbeiter: Daniela Kronseder, Dr. Nora Wiedenmann.

Das Buch enthält auf 470 Seiten eine reine Wortliste in neuer Rechtschreibung; bei Substantiven sind der Artikel und Angaben zum Genitiv und Plural zu finden. Außerdem ist das amtliche Regelwerk abgedruckt. Es gibt aber weder ein Vorwort noch sonstige Hinweise zu Anlage und Zweck des Buches. Nur auf dem hinteren Einbanddeckel kann man etwas lesen:

"Schreibweise, Silbentrennung, Artikel, Pluralbildung und Beugung sind die elementaren Kennzeichen der Orthographie. Alphabetisch geordnet und übersichtlich dargestellt, konzentriert sich das vorliegende Nachschlagewerk auf über 100.000 Begriffe, so dass die richtige Orthographie bei strittigen Fragen in umfassender Weise zur Selbstverständlichkeit wird.
Darüber hinaus lassen die amtlichen Regeln der heutigen Rechtschreibung keinen Zweifel über die korrekte Interpunktion in all ihren Varianten aufkommen, die für ein gutes Deutsch unerlässlich sind."

Das ist alles, aber man muß sich diesen Galimathias Wort für Wort auf der Zunge zergehen lassen, um ihn recht zu genießen.
Werfen wir einen Blick in das Wörterverzeichnis! Auf den ersten Blick fällt auf, daß Allerweltswörter wie ab, an, bei, er, du, ich, es, so einfach fehlen! Es fehlen natürlich auch Wörter wie wiedersehen, wohltun, so daß man die richtige Schreibweise nicht erschließen kann (unter wieder steht auch nichts weiter). Manchmal ist die alte Schreibweise eingetragen: Stengel > neu: Stängel, manchmal stehen beide Schreibweisen einfach an verschiedenen Stellen ohne jeden verbindenden Hinweis: Stendelwurz, Ständelwurz, hartgesotten, hart gesotten. Aus getrennten Einträgen wie leid und Leid, das kann man nicht entnehmen, wie leid tun jetzt geschrieben werden soll.
Ein geradezu unheimliches Eigenleben entwickelt der lebende Seitentitel. Über der Seite "Gasel bis gebietend" lautet er plötzlich "Brot - Brunnen", und über der Seite "synodisch bis Tafelberg" wiederum "Brot - Brunnen"! Auch auf der Seite Zerevis ff. ist der lebende Titel verrutscht.

Manche Wortgruppen sind alphabetisch dort eingetragen, wo vor der Rechtschreibreform die unzerteilten Wörter hätten stehen müssen: Blut bildend (aber blutstillend, während blutsaugend ganz fehlt), Besorgnis erregend, gleich lautend, nichts sagend (vielsagend fehlt ganz), nicht leitend, Hand voll (dagegen fehlt Mundvoll in jeder Gestalt). Varianten sind ohne Verweis auf einander als verschiedene Stichwörter eingeordnet: Bofist, Bovist usw. Der Plural von Säulenfuß soll Säulenfüsse sein, der Plural von Advocatus Dei ist als Advocati Die verdruckt. Die Zisterzenserin ist falsch geschrieben und dann "richtig" eingeordnet, also vor Zisterzienser. Graphologe steht vor Grafologie. Der Eintrag Halo beginnt mit einem Punkt. Was bedeuten die auf einanderfolgenden Einträge anordnen [.] und anordnen [.]?
Die Silbentrennung ist nur sehr rudimentär angegeben, und die Trennungen sind sehr ungleich behandelt: A-narchie, An-alphabet usw. Tee-na-ger soll nur so getrennt werden. Bei etlichen Einträgen sind die Trennungen schlicht vergessen: Westnordwest, Colloquium, Communiqué, Tiebreak . Fremdworttrennungen sind grundsätzlich immer in der dümmsten Variante und nur so angegeben: Hendi-adyoin, Herost-rat usw.
Das Wort Belustigen kommt nur in Großschreibung vor, halogen nur als Adjektiv.
Die grammatischen Angaben sind zum Teil nicht nachvollziehbar. Hinter Zugpersonal steht "nur Mehrz.".

Man könnte noch lange fortfahren, um dieses Machwerk zu charakterisieren, aber das mag genügen. Bisher habe ich Götzes Bertelsmann von 1996 für das schlechteste deutsche Wörterbuch gehalten, aber jetzt werde ich schwankend.
– geändert durch Theodor Ickler am 03.08.2003, 10.40 –
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 15.06.2003 um 16.59

Der Kölner Stadt-Anzeiger gab im August 1999 einen Sonderdruck „Die neue Rechtschreibung“ heraus. Durchaus nicht unkritisch, aber:

„Wehren gegen die Rechtschreibreform kann sich niemand, der am öffentlichen Leben teilhaben will.“
„Die Presseagenturen halten sich ans neue System der Rechtschreibung seit dem 1. August. Den Zeitungen bleibt keine andere Wahl, als mit den Wölfen zu heulen.“

Während also die Agenturen behaupten, die Reform auf Wunsch der Zeitungen eingeführt zu haben, berufen sich die Zeitungen auf das Vorangehen der Agenturen. Unterm Strich bleibt, daß alle kuschen. Der Vorgang ist denkwürdig.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 28.05.2003 um 03.12

Als sei es eine Neuerscheinung, stellt W. P. Klein in der heutigen FAZ ("Geisteswissenschaften") das 1999 erschienene Machwerk "Förderung der Sprachkultur in Deutschland" vor. Wie die Besucher dieses Forums wissen, ist der Band von GfdS (Frank-Cyrus) und IDS (Annette Trabold) herausgegeben. Darin werden obskurste Vereine (Deutscher Verein zur Rettung des Konjunktivs) ausführlich dargestellt, aber keine der Vereinigungen gegen die Rechtschreibreform. Natürlilch werden Bertelsmannstiftung und Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung gefeiert. Eine der Mitarbeiterinnen hat das später durch einen Aufsatz wiedergutzumachen versucht, aber Tatsache bleibt, daß ein staatlich finanziertes Herausgebergespann die Wirklichkeit und Wahrheit in dieser ideologischen Weise verzerrt hat. Gehört ins "Schwarzbuch".
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Th. Ickler


eingetragen von Henning Upmeyer am 21.05.2003 um 10.06

könnte auch als "die ortsübliche Schreibweise" (mit "o" als Fugenelement) gedeutet werden, zumindest von Spaßvögeln. Mischwörter aus verschiedenen Sprachen brauchen ja nicht durch Bindestriche gekennzeichnet werden.


eingetragen von Theodor Ickler am 21.05.2003 um 03.39

Die drei genannten Sprachen bilden in der Tat eine Gruppe, die sich durch ihre sozusagen historische Orthographie von den meisten anderen unterscheidet. Man hätte sich ein Einschwenken auf die phonographische Schreibweise denken können, aber heute ist das prakisch nicht mehr möglich, zumal es sich mehr oder weniger um Weltsprachen handelt.
Übrigens war Katastrofe 1995 ja im offiziellen Regelwerk vorgesehen; manche behaupten, es sei nie angedacht gewesen. Seltsam unentschlossen wirkt Orthografie.
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Th. Ickler


eingetragen von Peter Schubert am 20.05.2003 um 16.12

Es wäre aber auch keine Katastrophe, wenn das Wort mit f geschrieben würde. Es wird, mit Ausnahme von Deutsch, Englisch und Französisch, in allen lateinisch schreibenden Sprachen, das ist eine vierstellige Zahl von Sprachen, mit f geschrieben.


eingetragen von J.-M. Wagner am 20.05.2003 um 10.38

»Die Schreibweise von Fremdwörtern nach den "neuen" Regeln« wird erläutert unter http://www.textelle.de/04-2003.html.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Jörg Metes am 18.03.2003 um 09.54

Die GAL ist ihren eigenen Angaben zufolge der zahlenmäßig größte Fachverband (ca. 1.000 Mitglieder) der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Association Internationale de Linguistique Appliquée (AILA). Die GAL schreibt reformiert, und das offenbar mit dem Einverständnis einer ganzen Reihe von Sprachwissenschaftlern.
Auch in der von ihr herausgegebenen ZfaL - Zeitschrift für angewandte Linguistik wird reformiert geschrieben; im Leitfaden für ZfaL-Manuskripte heißt es: 10. Die Beiträge sind nach der neuen deutschen Rechtschreibung zu verfassen.
Andererseits liegt die Redaktion der ZfaL in den Händen von Dr. Hajo Diekmannshenke von der Universität Koblenz, der über Schriftspracherwerb, orthographische Normen und ihre Entwicklung einen recht interessanten Aufsatz geschrieben hat, in welchem er die strenge Handhabung orthographischer Normen eigentlich insgesamt infrage stellt: "Bloß keine Fehler machen!" - Linguistische Betrachtungen zu Rechtschreibfehlern und ihrer Analyse (das Erscheinungsjahr ist nicht angegeben, ich tippe auf 1999 oder 2000). Diekmannshenke selber schreibt in diesem Aufsatz wie auch in seinen aktuellen Seminarankündigungen unreformiert (Abschlußklausur, weitgehend). Im Sommersemester veranstaltet er ein Hauptseminar, in dem ein erstes Fazit der Reform gezogen werden soll.
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Jörg Metes


eingetragen von Theodor Ickler am 25.02.2003 um 07.07

XY-Zeitung, 5. 2. 2003
Sehr geehrter Herr W.,
besten Dank für Ihren Brief vom 30. Januar 2003. Die Einführung der so genannten neuen Rechtschreibung liegt mittlerweile Jahre zurück, und alle, die mit Schriftsprache umgehen, haben unterdessen einen Modus gefunden, mit dieser ungeliebten Reform umzugehen. Das gilt auch für meine Redaktionen, die sich mitnichten in "vorauseilendem Gehorsam, unterwürfig und unkritisch" mit diesem Phänomen arrangierten. Da wir partiell von Nachrichtenagenturen abhängig sind, die kollektiv auf neue Schreibweisen setzen, wir andererseits aber auch im Anzeigenbereich Kundenwünsche erfüllen müssen, die ebenfalls den neuen Regeln folgen, haben wir gar keine Wahl. Ich schließe nicht aus, dass meinen Kollegen und mit immer mal wieder Mischformen unterlaufen. Allerdings sehen wir uns damit in guter Gesellschaft aller vergleichbaren Blätter.
Über Zufälligkeiten hinaus gelingt es uns auf diesem Weg allerdings auch immer wieder, die schlimmsten Ungereimtheiten dieses Reformwerks auszubalancieren.
Mit freundlichem Gruß
K. B.
(Chefredakteur)

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An diesem Brief läßt sich mancherlei studieren, sogar Nationalpsychologisches.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 23.02.2003 um 20.47

Immerhin war diese Versteigerung bei eBay einigermaßen öffentlichkeitswirksam, so daß gestern im Nachrichtensender MDR info sogar mit einem kurzen Interview darüber berichtet wurde; Tenor: Weg mit den Anglizismen!

Ich habe große Lust, dem zuständigen Mitarbeiter (leider habe ich den Namen nicht genau mitbekommen) einen entsprechenden Brief zu schreiben und ihn auf die Rechtschreibproblematik hin anzusprechen. Mir schwebt vor, u. a. ein paar Fragen vorzuführen, die seit Jahren von offizieller Seite nicht oder nur unzureichend beantwortet werden.

Ob ich wirklich dazu kommen werde, weiß ich noch nicht; vielleicht wird es eine spontane Entscheidung. Wer aber Vorschläge für derartige Fragen hat, kann sie mir ruhig schicken bzw. hier einstellen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Michael Krutzke am 20.02.2003 um 12.00

Laut SPIEGEL online haben einige Krämerseelen bei eBay die deutsche Sprache erfolgreich versteigert.

Initiator dieser A(u)ktion ist - man ahnt es leicht - der VDS mit seinem Vorsitzenden Walter Krämer. (VDS-Pressemitteilung dazu)

Laut SPIEGEL wurde auf einige Vorzüge des angebotenen Produkts hingewiesen (Möglichkeit der Bildung zusammengesetzter Hauptwörter), auch Nachteile wurden benannt: Anglizismen natürlich. Dumm nur, daß diese redlichen Sprachwahrer und -schützer einen weiteren Mangel verschwiegen haben: abgeschaffte und verstümmelte Wörter beispielsweise. Davon wollen sie - jedenfalls vereinsamtlicherseits - ja nichts wissen und schmeißen jeden aus ihrem Forum, der darauf hinweisen will. Das qualifiziert sie hinreichend für eine Mitgliedschaft in den hier behandelten Hilfstruppen.

Zur Zeit wird die deutsche Sprache übrigens erneut versteigert (endet am 21.02.03 22:56:09 MEZ). Zu den Mängeln des Produkts wird erwähnt, es habe durch fahrlässigen Gebrauch vor allem in letzter Zeit einigermaßen gelitten und weise ziemlich viele Anglizismen auf. (Deutsche Sprache bei eBay) Infos dazu erhält man über den Link http://www.bbv-net.de/news/kultur/2003-0214/deutsch.html, der aber nicht zum VDS, sondern zum "Online-Dienst des Bocholter-Borkener Volksblattes" führt.

Na dann: Alaaf und Helau!



Der SPIEGEL-Beitrag zum Thema

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Michael Krutzke


eingetragen von Michael Krutzke am 11.02.2003 um 12.56

Zunehmend beobachtbar ist, daß - offenbar aus eigener Ratlosigkeit - die Entscheidung über die richtige oder falsche Schreibweise an das Korrekturprogramm der Textverarbeitung (überwiegend Microsoft) delegiert wird. Das ist "gesellschaftsfähig" und bietet jedwede Ausrede, wenn mal etwas nicht stimmt. Geschäftsführer Werner Kreutter aus dem Peißenberger Rathaus bringt es auf den Punkt. (Immerhin kümmert sich dort noch jemand mit eigenem Kopf um die Trennungen, da wird es dann wohl doch zu peinlich.) Außerdem läßt sich immer - hilfsweise - der Zeitdruck anführen, der die Benutzung der Korrekturfunktion nun einmal unumgänglich gemacht habe.

Ich kann mir vorstellen, daß die Unterstützung der Reform durch die "Hilfstruppen" der Korrekturprogrammentwickler weitaus stärker ist als alle Reformpropaganda.
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Michael Krutzke


eingetragen von Heinz Erich Stiene am 14.01.2003 um 15.40

Betrachtet man die Einlassungen der Reformverfechter (ich meine nicht die gewöhnlichen Mitläufer), dann hat man grundsätzlich ein Spektrum vor sich, das überaus genau bemessen ist: Es reicht exakt von beseligender Unbedarftheit auf der einen bis zu brummender Dummheit auf der anderen Seite. Auf diese Spezies werden Reformgegner folglich immer einreden wie auf ein totes Pferd. Gepriesen sei die Tugend der Geduld, gepriesen seien aber auch jene, denen der mit ihr verbundene Faden zuweilen reißt.
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Heinz Erich Stiene


eingetragen von Theodor Ickler am 14.01.2003 um 14.52

Der Freiburger Germanist Jürgen Dittmann, der Kurse zur neuen Rechtschreibung gibt und Bücher zu ihrer Verbreitung schreibt (und daher zu den Trittbrettfahrern zu zählen ist), hat einen Sammelband herausgebracht: Über Wörter, Grundkurs Linguistik. Freiburg: Rombach 2002. Darin auch ein Beitrag von Schaeder über "Orthografie" (im ganzen Buch nur so geschrieben, also die Nebenvariante).
Das Buch ist politisch korrekt, feministisch: der Sprecher, die Hörerin, der Sender, die Empfängerin usw. immer abwechselnd. Bei einigen Beiträgern herrscht das Binnen-I vor, obwohl es ja gegen die Neuregelung verstößt, woraus man schließen kann daß die politische Korrektheit noch schwerer wiegt als die Unterwerfungsgier in orthographischen Fragen. Lustig ist der Salto mortale "'Spontanes Sprechen' kann bedeuten, dass die InformantInnen sich mit Interviewern bzw. InterviewerInnen über ein beliebiges Thema unterhalten.".
(Mittelmäßigkeit verschafft sich seit je einen Vorteil durch politische Korrektheit.)

Sehen wir uns die Rechtschreibung an.

im allgemeinen

mei-stens, er-sten, ohne Weiteres (alles aus dem Beitrag von Schaeder!)

Auch sonst: späte-stens, Chri-stian usw.

Noch schwerer ist es festzulegen, welche ... (Mit dem neuen obligatorischen Komma hatte Dittmann schon früher Probleme.)

vielbeschworene Ost-West-Probleme, letztere, auf letzteren, keinen zufriedenstellenden Erklärungsansatz,
ich weiss



In diesem Buch findet man endlich auch einmal das archisierende in Sonderheit:
sprachliche, in Sonderheit textliche Bedürfnisse

In Fremdwörtern wie Nomen agentis, Nomen actionis müßte der zweite Teil jetzt immer groß geschrieben werden, das wird durchweg unterlassen.

Im Kapitel über Wortbild bespricht N. R. Wolf flöten gehen, sitzen bleiben, ernst nehmen, aufwärts gehen, man weiß nicht recht, warum.

Die Verfasser scheinen uns nicht recht ernst zu nehmen, sich selbst wohl auch nicht!

Von der neuen Kommasetzung wird nie Gebrauch gemacht.

Übrigens enthält dieser "Grundkurs Linguistik" ausdrücklich keinen Teil über Syntax. Auch ein Novum.

Die Komparation der Adjektive und Adverbien wird wieder mal zur "Flexion" gerechnet, was einerseits zur Folge hat, daß Adverbien flektierbare Wörter sind, andererseits, daß flektierte Adjektive nochmals flektiert werden. Stark gewöhnungsbedürftig.

Schaeder schreibt:
"Grundregel: Grundsätzlich werden Wörter, die im Text unmittelbar benachbart vorkommen, voneinander getrennt geschrieben. Regeln in diesem Bereich haben demnach nur anzugeben, in welchen Fällen abweichend von dieser Grundregel zusammenzuschreiben sind." (180)
- Davon ist aber das amtliche Regelwerk weit entfernt. Außerdem werden nach dessen Voraussetzungen überhaupt keine benachbarten "Wörter" je zusammengeschrieben, denn das Regewerk sieht ja in Verbzusätzen keine Wörter, sondern Teile von Zusammensetzungen.
"Für die Interpunktion lässt sich eine derartige Grundregel nicht ohne Weiteres (!) angeben; es sei denn, man unterstellt, dass - wie es etwa in frühen deutschen Texten zu beobachten ist - ein Text normalerweise ohne jede Interpunktion geschrieben wird. Danach würde die Grundregel lauten: Grundsätzlich werden Texte ohne Interpunktion geschrieben. Zu regeln bleibt demnach, in welchen Fällen abweichend von dieser Grundregel jeweils welches Interpunktionszeichen zu setzen ist." (180f.)
Welchen Sinn hat dieses Gedankenspiel? Könnte man nicht auch annehmen, normalerweise werde überhaupt nicht geschrieben, und Regeln seien nur für den Ausnahmefall anzugeben, daß jemand schreiben will?
– geändert durch Theodor Ickler am 16.01.2003, 17.05 –
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 14.01.2003 um 14.26

"Die Lernenden sollten für Kontrollen das Rechtschreibwörterbuch nutzen lernen; die verständlichere Gestaltung der amtlichen Regelung 1996 dürfte nunmehr diesen Zugriff leichter möglich machen." (H. Küttel in Nerius: Deutsche Orthographie. Dudenverlag 2000, S. 418)
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 08.11.2002 um 19.45

FLORIAN KRANZ: Eine Schifffahrt mit drei f. Positives zur Rechtschreibreform. Kleine Reihe V&R. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998. 112 pp. DM 19,80.

This slim volume appeared in 1998 as debates surrounding the spelling reform raged. Its title makes the author's agenda clear: Kranz wishes to put a positive face on the spelling reform and counter opposing arguments from intellectuals and politicians. He approaches his task logically, differentiating spelling (norms for writing) from language itself, setting the historical context for the spelling reform and countering practical arguments against it. He seeks to dispel misconceptions about the supposedly 'natural' development of the German language in its written form. The book is intended for a general audience not equipped with a specialized knowledge of language or linguistics. It is an attempt «das Ausmaß der durch die Reform stattfindenden Veränderungen in ein der Realität angemessenes Verhältnis zu bringen, Proportionen and Dimensionen zurechtzurücken» (5). According to Kranz, the lively debates surrounding the reforms were dominated by the arguments of opponents to reform. It is therefore time, he argues, «‹die andere Seite› sachlich and allgemein verständlich vorzustellen» (6).

Kranz's general reader will not be overwhelmed by his 100-plus pages of text. After a brief foreword, the six chapters (plus notes and bibliography) are divided into short sections ranging from one to five pages long. This organization makes his text very readable. The bulk of these short sections are titled with phrases, such as «Haben wir wirklich nichts Wichtigeres zu tun?» or «Aber unsere Rechtschreibung ist doch historisch gewachsen! » giving the reader a connection to the text via phrases and protest formulas, already commonly heard in reform debates. His chapter organization is | logical-chronological. In the first chapter, «Zum Einstieg,» he points out that the uproar in the face of impending reforms comes in part from a lack of knowledge about reform history in the German language and in other European languages. To counter arguments that the reform is unusual or too far-reaching, he presents a catalog of late twentieth-century reforms in other languages that make it clear first, that the Germans are not alone with their most recent reform and second, that other nations have survived their reforms with little apparent hullabaloo. Further, he carefully distinguishes between language and spelling for those readers who fear their very language may be endangered by the spelling reform: «Sprache ist das, was war sprechen, Rechtschreibung ist aber nicht das, was wir schreiben, sondern eine Leitnorm für das Schreiben» (17). Because spelling reforms are more common than one might have thought, he argues, the impending reform is not a break with tradition, but a continuation of it.

In the chapter which follows, on the history of German spelling, Kranz shows how early attempts at richtig schreiben or Rechtschreibung came as spoken language was first put on paper in the Middle Ages. Because Germany did not have the same clear cultural centers that France did, the language in its written form had many regional variations. With the increasing use of the printing press, there was greater need for precision in spelling. Konrad Duden stepped in with his Buchdrucker-Duden, and many of the forms detailed in it were eventually subsumed into the standard Duden. The reader will be interested to learn in this chapter about the numerous failed and successful, politically or practically motivated spelling reforms in the twentieth century, such as those attempted during the Nazi regime and after the division of Germany. Seen in this context, the frequent response to reform «Warum jetzt auf einmal?» is clearly out of place. The current reform is the culmination of efforts that began in the 1970s.

In chapter three, titled «Die Autoritäten,» Kranz examines the various bodies of authority which either made reform policy or opposed it. Interestingly, he observes that opponents to reform both demanded an authoritative language institution and objected to its recommendations as top-down coercion to change. Whereas changes in language might come from below, it is not within the nature of spelling (which has a norming function) to evolve naturally from below. Ultimately, he profiles the various late-stage attempts to curb or stop reforms (1996–1998), showing how reform plans were amended in response to legal complaints or the objection of politicians.

Kranz profiles practical aspects of reform implementation in his chapter titled «Die Konsequenzen.» These appear in sections such as «Ich seh nicht ein, dass ich noch mal umlernen soll!» and «Dann müssen alle Bücher neu gedruckt werden!» He counters these reactions patiently, with clearly reasoned and informative arguments. If they do not already know it, readers will discover that the spelling reform has an implementation phase of seven years extending until August 2005. During this phase, neither old nor new forms are wrong. In schools, old forms are merely considered outdated, but are not marked as errors. The ‹old› forms are considered ‹wrong› starting in August 2005 in schools and in the writing of government documents.

The reader who has followed Kranz through the first four chapters will have felt a little impatient – and now relieved finally to read in chapter five «Zum Inhalt der | neuen Rechtschreibung.» Here the author becomes a little – but only a little – more technical as he explains the reasoning behind certain types of major changes or lastminute adjustments to the reform. Nevertheless, the reader will not become bogged down in historical linguistics, for Kranz gives just enough background and plenty of examples. This reader was very interested to understand principles such as Stammschreibung (88–89) which, in the context of the current reform, means it is not important where a word comes from, but rather to which stem group it belongs now. Following this logic, the German verb plazieren becomes platzieren to match Platz, despite the French origins of the previous verb spelling. Numerieren, becomes nummerieren to be consistent with Nummer and Greuel, Greueltat, and greulich become Gräuel, Gräueltat and gräulich to be like grausen, grauen, Graus and grausam. A final chapter comforts readers – or warns them – that the current reforms were not so far-reaching that there is no material left for future reforms.

This book is well-suited for the lay person or even the teacher or faculty member who wants to gain a better understanding of the reasoning behind the most recent spelling reform. It clearly places this reform within the context of a tradition of reforms over previous centuries and in the twentieth century. By conveying the principles behind the reforms, as well as the limits of reform (Orthographie will not, after all, become Ortografie – at least not yet), it provides a sound basis for learning the new forms. Kranz's clear writing style and solid organization contribute to what will be a handy volume for many. Even though we are now well into the «transitional period», reading the book is worthwhile, especially for teachers who may face panicked students and parents confused by the coexistence of ‹old› and ‹new› forms. Kranz seeks to reassure his readers that the reform is not as formidable as it has been portrayed, and he does a convincing job. In his foreword, Kranz states that the book itself is written using the new forms. This reader was reassured to find that the new forms hardly standout, reinforcing Kranz's arguments once again. The most noticeable difference for this reader was the omission of the now-optional comma with extended infinitive phrases (infinitive+zu with an object), a subject barely thematized in the text itself.

Teachers of German will want to visit the web site Kranz recommends as the best online resource on the new spelling reform: http://www.wuerzburg.de . . . It provides a very brief synopsis of the reforms accompanied by images cleverly designed to function as mnemonic devices for the various types of changes. A series of additional resources for language teachers, including ready-to-use work sheets and quizzes, can be accessed at: http://www.wuerzburg.de . . .

Western Kentucky University
Laura McGee
http://www.wku.edu/~mcgeelg/CV.html

Erschienen 2002 in Colloquia germanica 34 (2001), 66-68


eingetragen von Theodor Ickler am 30.10.2002 um 17.16

Wolfgang Steinig/Hans-Werner Huneke: Sprachdidaktik Deutsch. Erich Schmidt Verlag Berlin 2002

"Dass die Rechtschreibung den Menschen als hohes Gut gilt, wurde auch in der Diskussion um die Rechtschreibreform von 1996 deutlich, in deren Verlauf höchste Gerichte bemüht wurden und die veränderte Rechtschreibung in einem norddeutschen Bundesland schildbürgerhaft sogar per Volksentscheid vorübergehend wieder zurückgenommen wurde. Selbst namhafte Schriftsteller nutzten wohl eine Schaffenspause und engagierten sich gegen die bescheidene Reform.
Diese hohe Wertschätzung einer eher technischen Fertigkeit überrascht, zumal es sich nicht etwa um ein traditionsreiches Kulturgut handelt - eine amtlich geregelte, einheitliche deutsche Orthographie gibt es ja erst seit der Zweiten Orthographischen Konferenz zu Berlin im Jahre 1901, sie ist also gerade mal ein Jahrhundert alt." (S. 125)

(Die Verfasser bilden Deutschlehrer aus.)
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 17.10.2002 um 08.58

Schon vor fünf Wochen habe ich bei amazon.de die "erste Online-Rezension" zum dtv-Wahrig eingereicht, wozu man ja ausdrücklich aufgefordert wird. Sie ist bis heute nicht erschienen, so daß ich allmählich den Verdacht hege, reformkritische Äußerungen seien dort nicht erwünscht. Sonderbar sind die vielen oberflächlich-lobenden Besprechungen von Studenten ("amazon an der Uni") zu allen möglichen Machwerken, die offensichtlich überhaupt nicht gelesen worden sind.
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 18.09.2002 um 15.04

Prof. Clemens Knobloch (Siegen !) hat, wie ich erst heute bemerke, seinen bereits im »Sprachdienst« der GfdS publizierten Verriß des Buches »Rechtschreibreform und Nationalsozialismus« auch in den »Beiträgen zur Geschichte der Sprachwissenschaft« untergebracht (2/2001). Daß diese erweiterte Fassung in bewährter Rechtschreibung abgedruckt wird, läßt den Schluß zu, daß dem Verfasser die Orthographie des Deutschen im Grunde völlig egal ist.


eingetragen von Reinhard Markner am 16.09.2002 um 21.33

Aus der Vorlesung von Wolfgang Wildgen (Univ. Bremen): Grundbegriffe der Grammatik des Deutschen
http://www.fb10.uni-bremen.de/homepages/wildgen/ws0001/EinfSprachwKap2.pdf.

»Rechtschreibreform
Das deutsche Schriftsystem geht im Wesentlichen auf die lateinische Alphabetschrift (Alternativen sind Silbenschriften und logographische Schriften) zurück. Die Form der Grossbuchstaben [sic] geht auf die Kapitalschrift der römischen Antike zurück, die kleinen Buchstaben werden seit ca. 400 Jahren verwendet [!!]. Die Normierung der Orthographie (Rechtschreibung) begann praktisch vor etwa 250 Jahren, erhielt ihre erste Festlegung im Orthographischen Wörterbuch von Konrad Duden im Jahre 1880 [!!] und ihr Regelwerk in der 2. Orthographischen Konferenz 1901. Reformvorschläge wurden seit 1931 ausgearbeitet [!!]. 1980 wurde ein Internationaler Arbeitskreis Rechtschreibreform" in Basel gegründet. Die Wiener Gespräche (1986 und 1990) bereiteten den Weg und die Internationale Orthographiekonferenz in Wien (22.-24.11.1994) fasste die entscheidenden Beschlüsse, die bis 2001 umgesetzt werden sollten (Deutschland, Österreich, Schweiz). Am 10.08.1996 wurde in zehn Bundesländern die neue Rechtschreibung an Grundschulen eingeführt. Nach langer öffentlicher Diskussion und Prozessen bis zum Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 14.07.1998) trat am 1.08.1998 die neue Rechtschreibung an den Schulen in Deutschland in Kraft (für die Schulen und den Schriftverkehr der Landesbehörden). Die Übergangsfrist läuft bis zum Ablauf des Schuljahres 2004/2005. Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen führten die neue Rechtschreibung zum 1.08.1999 ein, der Schriftverkehr der Bundesbehörden wurde ab 1.08.1999 auf die neue Rechtschreibung umgestellt.
[. . .]
Wie diese wenigen Beispiele zeigen, ist die historisch gewachsene Rechtschreibung ein komplizierter Kompromiss, der sowohl für die didaktische Umsetzung in der Schule (für das Rechtschreiben) als auch für das Verstehen der Prinzipien und Entscheidungsgrundlagen ein großes Problem darstellt. (Die Frage der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung kann im Kontext der Morphologie und Wortbildung diskutiert werden.)«

(Anm.: In seinen Texten trennt der Autor u. a. »Di-alekte«, »Sansk-rit«.)


eingetragen von Elke Philburn am 04.09.2002 um 12.27

Den Kindern soll die deutsche Rechtschreibung nicht als etwas Willkürliches und undurchschaubares nahe gebracht werden,

Ein nicht unerheblicher Anteil der Schülerinnen und Schüler in deutschen Schulen kann nicht mit der selben Sicherheit und Bewusstheit mit deutscher Sprache umgehen, wie deutsche Muttersprachler das tun. Neben der pädagogischen Möglichkeit, die sprachliche Vielfalt in der Klasse als Chance aufzufassen, kann nur eine genaue Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeit der beiden Sprachen oder dialektalen Varianten einen Weg aufweisen, diese Kinder so zu fördern, dass sie dieselben Chancen wie die anderen Schüler erhalten.

Quelle


eingetragen von Reinhard Markner am 04.09.2002 um 11.22

http://www.akot.de/


eingetragen von Theodor Ickler am 04.08.2002 um 11.32

Der Menschheit ganzer Jammer greift mich an, wenn ich bei Google "Volkshochschule Rechtschreibung" eingebe und dann auf die vielen örtlichen Geistesverwirrungskurse stoße, von denen allerdings, wie man hört, die meisten mangels Interesse nicht mehr zustande kommen.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 31.07.2002 um 15.25

Das F.A.Z.-Institut veranstaltet auch Seminare für Rhetorik und neue Rechtschreibung. Kosten für zwei Tage: 986 Euro. Da möchte ich gern mal Mäuschen sein und mitkriegen, nach welcher Version eigentlich unterrichtet wird. Sollte mich nicht wundern, wenn einer unserer bekannten Reformer sich so ein Zubrot verdient. Ein Mitglied der Rechtschreibkommission hat ja vor Jahren auch dem Gerling-Konzern geholfen, sich die neue Rechtschreibung anzueignen.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 30.07.2002 um 13.28

Gewisse Beobachtungen bringen mich auf folgende Hypothese: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, die Reformschreibung zu praktizieren, und der Bereitschaft, sich den feministischen Sprachregelungen zu unterwerfen; schließlich auch noch, vor allem bei Linguisten, andere Merkmale der politischen Korrektheit zu übernehmen, z. B. indoeuropäisch statt indogermanisch zu sagen und natürlich niemals von "Zigeunern" zu sprechen. (Heute las ich übrigens etwas über eine geplante "Gypsy Night" - auf englisch geht es dann wieder.)
Der gemeinsame Nenner ist offenbar der Wunsch, Fortschrittlichkeit und Gutheit zu demonstrieren. Wie Vater Staat es wünscht. Es muß ein angenehmes Gefühl sein, sich in diesem Brechtschen "Einverständnis" zu wissen.
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.07.2002 um 19.13

Wer bei Google den Begriff »Graue Eminenz« eingibt, stößt an erster Stelle auf einen Eintrag, der zumindest vom Umgangston her zu unserem Freund Vitzliputzli ganz gut paßt:

Kranker Scheiss
Willkommen auf Kranker Scheiss dem Portal für kranke Seiten im Netz.
Ihr habt genug von dem ewig gleichen Scheiss im Netz?

Usw.

Seltsame Sachen gibt's!
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Walter Lachenmann


eingetragen von s.stirnemann am 27.07.2002 um 18.56

Das Geheimnis der Grau-grauen Eminenz
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 8, Spalte 2080 (grau A 4 b a): "speziell die graue eminenz. zuerst als l’eminence grise von dem kapuziner pére Joseph, Richelieus berater: wohl von 4 a her [im betreffenden Abschnitt sind Belege eingeordnet unter dem Interpretament "vornehmlich von bestimmten mönchsorden nach der grundfarbe ihrer tracht"], aber zugleich mit dem beisinn des unheimlich im hintergrund wirkenden, von da her auf politiker ähnlicher artung übertragen, so auf Friedrich v. Holstein (gest. 1909), vgl.: J.v. Kürenberg, die graue eminenz (2. A.1934)."

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stefan stirnemann
Tigerbergstr.10
9000 St. Gallen


eingetragen von Theodor Ickler am 27.07.2002 um 18.22

Ich hatte Herrn Vogl ("Sehr geehrter Herr Vogl ...") auf seinen Irrtum hingewiesen , und er hat ihn heute per E-Mail ("Ickler, Sie Trottel..." - so ist halt der Umgangston bei diesen Leuten!) zugegeben.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 23.07.2002 um 12.38

Unser alter Freund Vitzliputzli alias Christian Vogl (Obere Kanalstr. 9, 90429 Nürnberg) hat auch einen Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung geschrieben, weitgehend identisch mit dem, was er im Forum der Märkischen Allgemeinen schon geschrieben hatte. Leider hat die SZ ihn wohl nicht abgedruckt, und so bleibt der Öffentlichkeit die grundstürzende Entdeckung vorenthalten, daß "Graue Eminenz" ein "Beiname des Kapuziners Père Joseph, Fr. von Holstein (!), des engsten Vertrauten von Kardinal Richelieu" war. Das steht nämlich in diesem Leserbrief, den mir die Zeitung freundlicherweise zugeschickt hat, damit ich sehe, mit was für Koryphäen ich es zu tun habe.
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 03.06.2002 um 20.37



Wie lange noch?

1184 Tage, 32 Stunden, 16 Minuten und 29 Sekunden

dann müssen Schüler, Lehrer und andere Beamte
nach den neuen Regeln schreiben!


(Nach welchen?)


eingetragen von Theodor Ickler am 03.06.2002 um 15.24

Zu den verläßlichsten Stützen der Reform gehört bekanntlich die Internet-Darbietung von Klaus Stetten: http://www.wuerzburg.de/rechtschreibreform/o-aktuel.html

Ich habe nach langer Zeit wieder mal hineingesehen. Unter "Aktuelles" wird sehr zuverlässig nur Reformgünstiges angegeben. Auch sonst wirkt alles wie Auftragsarbeit - aber wer bezahlt das Ganze?

In der Leserbriefspalte habe ich zu meiner Überraschung alte Bekannte wiedergetroffen, die ich schon längst auf dem Altenteil wähnte. Sie reden sich und anderen immer noch ein, die RSR habe sich durchgesetzt. Die Rückbaumaßnahmen werden einfach totgeschwiegen. Also ganz der Stil der Kommission selbst. Oder Bertelsmann. Oder Duden.
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Th. Ickler


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